piwik no script img

Keine Fahrraddemo auf der A39Das Grundrecht aufs Autofahren

Kommentar von Jan Zier

Das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat eine Fahrraddemo gegen VW auf der Autobahn verboten. Es sieht die „Leichtigkeit des Verkehrs“ in Gefahr.

Eine Raddemo auf der geheiligten Autobahn? Doch, das geht, so wie hier auf der A 100 Foto: Christophe Gateau/dpa

G ibt es in Deutschland ein Grundrecht auf ungehinderten Autobahnverkehr? Die Frage ist nur auf den ersten Blick fernliegend; oder sogar abstrus.

Am Sonntag sollte es ja auf der Autobahn 39 eine Demonstration geben, grob gesagt: zwischen Braunschweig und Wolfsburg. Aktivist:in­nen hatten dort eine Protest-Radtour angemeldet, weil sie gegen den Ausbau selbiger Autobahn und auch das geplante „Trinity“-Werk von Volkswagen sind, also die vom VW-Konzern geplante neue Fabrik für E-Limousinen.

Die Stadt Wolfsburg hat die Demo auf der Autobahn jedoch untersagt, was – polemisch gesprochen – noch nicht überrascht, und dabei nicht nur vom Verwaltungsgericht Braunschweig, sondern jetzt auch vom Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg Recht bekommen.

Zwar kommen die Rich­te­r:in­nen anfangs durchaus zu dem Schluss, dass eine Bundesautobahn „nicht von vornherein der Nutzung zum Zwecke einer Versammlung entzogen ist“. Soll heißen: Man dürfte da eigentlich schon demonstrieren. Zumal die verfassungsgemäß protestierenden Bür­ge­r:in­nen „selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen zur Geltung bringen“. Und das auf der A39 zu tun, war hier ja naheliegend.

Die „öffentliche Sicherheit“ ist in Gefahr

Am Ende urteilt das OVG dann aber doch, dass die „öffentliche Sicherheit“ in Gefahr war, also keinesfalls auf der A39 demonstriert werden darf! Denn die „öffentliche Sicherheit“, bei der es in der Regel um Leib und Leben geht, mindestens aber um Freiheit, Ehre und Eigentum, die öffentliche Sicherheit also erstrecke sich auch auf die „Leichtigkeit des Verkehrs“. Die war in Gefahr. Also nix Demo und so.

Gefahren für Au­to­fah­re­r:in­nen und auch Demonstrierende seien „kaum zu bestreiten“, heißt es im Urteil, es könnte sich ja am Ende des Radkorsos ein Stau bilden, der zu Unfällen führen könnte. Und wenn die Au­to­fah­re­r:in­nen dann wegen der Demo vielleicht nur 60 Stundenkilometer hätten fahren dürfen, sei das doch eine „sehr unübliche Geschwindigkeit“ und damit erst Recht eine Unfallgefahr.

Das alles hätte sich natürlich durch Absperrungen, Umleitungen und andere polizeiliche Maßnahmen durchaus regeln lassen, wenn man denn politisch gewollt hätte. Bei anderen Demos geht das ja auch. Und bei Baustellen kommt es sonst durchaus vor, dass man halt nur 60 fahren darf, oder nicht mal das. Und weil das Urteil das alles doch sehr allgemein begründet, kann man, wie die Demo-Anmelder:innen, durchaus zum dem Fazit kommen, dass das OVG hier „faktisch ein Totalverbot“ von Demos „mindestens für alle Autobahnen“ begründet.

Das Urteil fällt in eine Zeit, in der einerseits Baumbesetzer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen werden, weil sie sich für den Klimaschutz – ein Staatsziel, übrigens! – einsetzen. Andererseits aber sorgen die oft als „Klima-Kleber“ verfemten Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation für Entsetzen, Empörung und Haftstrafen, vor allem, wenn sie sich mal wieder einer Autobahn nähern. Auch das OVG sagt: „Stop Trinity“ kann ja auch anderswo „öffentlichkeitswirksam“ demonstrieren, auf Landstraßen oder so.

Natürlich können Grundrechte miteinander im Konflikt liegen, und dann muss man entscheiden, welches höher wiegt. Da ist auf der einen Seite also das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Und auf der anderen Seite? Nicht mal das OVG geht so weit, sich anzumaßen, ein Grundrecht auf flüssigen Autobahnverkehr zu postulieren. Auf die Berufsfreiheit der Be­rufs­kraft­fah­re­r:in­nen beruft es sich aber auch nicht.

Bleibt also eigentlich nur die Religionsfreiheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

JAN ZIER, Jahrgang 1974, Lokalredakteur, Chef vom Dienst & Fotograf in Bremen, 2004 - 2023 bei der taz in Bremen. Schwerpunkte: Parteipolitik, Recht & Justiz, zeitgenössische Kunst & Kultur Promotion über die Rolle der Nationalen Parlamente in der EU
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Ich freue mich auf das Urteil zur nächsten Treckerblockade durch unsere lieben LandwirtInnen. Da braucht man auch nur 15 Hanseln um 1km Autobahn zu blockieren. Praktisch.



    Ob die auch 30 Tage in "Gewahrsam" müssen?

  • Die A39 ist übrigens in Braunschweig gerade gesperrt.



    Wo ist dann das Problem mit einer Demo?

  • Kurz: Das OVG hebelt Grundrechte aus. Neuer Art. 1 GG: Die Würde des Autofahrers auf Autobahnen ist unantastbar.

    • @Dorian Müller:

      Da kann ich Ihnen leider nur zustimmen. Noch gravierender finde ich, dass die Regierung derzeit de facto von Seiten des Verfassungsgerichts aufgefordert ist, die Emissionen im Verkehrssektor zu senken (anders sind die Ziele im Klima Gesetz nämlich nicht zu erreichen). Aber das wird von der FDP blockiert. Sprich das Recht auf jede Form überdimensionierter Autos steht in D-Land sogar über der Verfassung. Und das ist nicht nur ein Skandal..!!!..es ist buchstäblich verrückt...

      Irgendwas in den Köpfen hierzulande tickt nicht mehr im Grünen Bereich...will aber keiner wahrhaben...lieber sperrt man dafür Klimaaktivisten weg...

  • Ich werd das irgendwann mal besser darstellen...aber die Kurzform lautet:

    -> der deutsche Autofetisch/Kult sorgt dafür daß eine Menge Leute ganz offensichtlich einen Teil ihres Verstandes verlieren...

  • Die A39 hat dort doch eh genug Geschwindigkeitsbegrenzungen. Morgens ist das alles dicht, weil alle zum Werk fahren. Da scheint es ja ok zu sein, wenn der Verkehr nicht fließt. Eine Demo wäre da schon OK.

  • Ein klassischer Fall für die zumindest nächste Instanz, oder später Verfassungsgericht. Es gibt keine grundrechtsfreien Räume. Auch auf Autobahnen nicht. Das Demonstrationsrecht gilt überall.

  • Freeclimbing an Hochhäusern, Motorradrennen in der Fußgängerzone, Schwimmen im Rhein, Nachtwanderungen auf Eisenbahnschienen…wo bleibt die Freiheit?

  • Diese A39 ist noch nicht einmal eine richtige Autobahn für den Fernverkehr mit überregionaler Bedeutung, sondern nördlich der A2 mehr ein Zubringer von der A2 nach Wolfsburg, der dann in eine einfache Landstraße übergeht.

    Das OVG hätte ein salomonisches Urteil sprechen können, wonach eine Nutzung der Autobahn erst ab 1000 Demo-Teilnehmern verhältnismäßig wäre. Das hätte bestimmt gut mobilisiert.

  • Berufsfreiheit der Be­rufs­kraft­fah­re­r:in­nen ist übrigens durch Feiertags-, Sonntagsfahrverbot wöchentlich befristet eingeschränkt.

    "Bleibt also eigentlich nur die Religionsfreiheit."



    Selbst die ist nicht uneingeschränkt sicher, da christliche Kirchen im deutschsprachigen Raum als Autobahnen zum Glauben an Gott gelten. Wer da christlichen Bischöfen, EKD Vorsitzenden katholische Kardinälen, gar dem Papst wenn der in Deutschland tourt mit subventioniertem Dienstwagen Privileg all inklusive Chauffeur Fahrdienst rund um die Uhr auf Autobahnen durch Demonstrationen auf Autobahnen deren Autobahnfahren Leichtigkeit beim Hochhalten von argumentativen Stolpersteinen auf Plakaten ins Stottern bringt, die Furcht vor Klima Göttern lehren will, wird sein blaues OVG Lüneburg Urteil Wunder in letzter Instanz erleben, mit Hinweis auf sofortige Autobahnausfahrt zugunsten subventionierter deutscher Automobilbranche erleben, haben sich doch selbst deutscher Richter*nnen subventioniertem Dienstwagenprivileg der S Klasse all inklusive Chauffeur Fahrdienst rund um die Uhr unterworden

  • Nein, es gibt in Deutschland kein explizites Grundrecht auf ungehindertes Auto fahren. Es gibt auch kein explizites Grundrecht darauf, eine öffentliche Toilette wieder verlassen zu dürfen - aber implizit ist mir durch andere Gesetze verboten, draußen einen Stuhl unter die Türklinke zu treten, um jemanden am Verlassen zu hindern.



    Wenn man Auto fahren anderer also einschränken will, und dafür gibt es ja viele dringende Gründe, dann ist der Weg, dieses durch Gesetze einschränken zu lassen, und die entstehen durch Einsicht der Mehrheit in deren Notwendigkeit. Man muss also aufklären, auch öffentlich, und das Recht dazu ist sinnvoll geregelt.