Änderung der Grundsteuer: Nebenkosten sind keine Nebensache
Die Immobilienpreise steigen, doch für die höhere Grundsteuer sollen Mieter:innen aufkommen. Gerechter wäre die Besitzer:innen zahlen zu lassen.
D ie „Grundsteuererklärung bringt ältere Nutzer zur Verzweiflung, es fließen sogar Tränen“, schlagzeilte der Münchner Merkur. Groß ist die mediale Aufregung, weil Hausbesitzende bis zum 31. Oktober ein Onlineformular des Finanzamtes über ihre Immobilie ausfüllen müssen. Die Abgabe auf Grundbesitz soll sich künftig am aktuellen Verkehrswert der Häuser und Wohnungen orientieren – und nicht mehr an den längst überholten „Einheitswerten“, die in Westdeutschland aus dem Jahr 1964 stammen, im Osten gar seit 1935 unverändert geblieben sind.
Wer Grund und Boden besitzt, gehört in der Regel zu den Wohlhabenden im Lande. Nach Finanzkrise und Euroturbulenzen sind die Immobilienpreise durch die Decke gegangen. Diese Gewinne steuerlich stärker abzuschöpfen, ist sinnvoll. In vielen Nachbarländern zählt die Grundsteuer zu den wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen. Die deutsche Regelung enthält hingegen einen Makel, über den kaum berichtet wird.
Der frühere Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz ließ nämlich bei der Reform 2019 zu, dass Vermieter:innen die Abgabe wie bisher zu hundert Prozent auf die Miete abwälzen können. Das dürfte, gemeinsam mit den Preissprüngen bei Strom und Gas, zu neuen sozialen Schieflagen führen. Die Neubewertung der Finanzbehörden orientiert sich demnächst am sogenannten Bodenrichtwert. Dieser zeigt an, wie attraktiv der Standort einer Immobilie ist.
In bürgerlich geprägten Wohngebieten und in den zentral gelegenen Vierteln liegt er besonders hoch, an der urbanen Peripherie und im ländlichen Raum meist niedriger. Viele, die in der Innenstadt zur Miete wohnen, werden daher künftig mehr Grundsteuer zahlen müssen – obwohl das Wohnen durch Spekulantentum, Inflation und Energiekrise schon teuer genug ist. Die einst bagatellisierend als „Nebenkosten“ bezeichneten Zusatzlasten sind nicht länger nebensächlich. Sie werden zur zweiten Miete.
Unbezahlbare Mieten in Metropolen
In den Metropolen, aber auch in manchen Universitätsstädten oder touristisch attraktiven Gegenden verschlingen neu bezogene Zwei- oder Dreizimmerwohnungen die Hälfte des Monatseinkommens auch von Menschen, die eine relativ gut bezahlte Stelle haben. Wenn zu einer Kaltmiete im vierstelligen Bereich noch mehrere hundert Euro für Gas, Strom, Wasser, Grundsteuer, Müllabfuhr und Straßenreinigung hinzukommen, werden schnell die Belastungsgrenzen erreicht.
Nicht nur gering Verdienende, auch Familien mit mehreren Kindern und entsprechendem Platzbedarf müssen dann umziehen – in die weniger beliebten Trabantenstädte, oder gleich in strukturschwache Regionen. Anders als an den Tankstellen, wo die Preissprünge auf großen Tafeln am Straßenrand sichtbar sind, wirkt beim Wohnen ein psychologischer Verzögerungseffekt. Denn abgerechnet wird meist mit Verzug.
Eine Aufstellung der Nebenkosten erhalten viele Betroffene erst im Folgejahr. Die Energieversorger erheben zwar Abschläge, die schockierend hohe Nachzahlung aber wird frühestens nach dem Heizen im Winter fällig. Die Finanzbehörden fangen zwar jetzt an, die Grundsteuer neu zu bestimmen, auf Basis der veränderten Sätze eingefordert wird sie jedoch erst ab 2025.
Drastische Erhöhungen bei den Kosten für Basisbedürfnisse sind stets ein Warnsignal an die Politik. Das gilt sogar für Diktaturen, und umso mehr für Demokratien, die auf die Loyalität der Regierten stärker angewiesen sind. Die Historie erzählt von Brotaufständen, von Revolten gegen Getreidemangel oder in neueren Zeiten von militanten Protesten allein aufgrund hoher Spritpreise.
Immobilien sind eine lukrative Geldanlage
Das Problem steigender Mieten schlummert im Vergleich dazu eher im Verborgenen – schon deshalb, weil nicht alle, auch nicht alle Einkommensschwachen, in gleichem Maße betroffen sind. Wer zum Beispiel relativ günstig in der Provinz lebt und nicht mit Gas, sondern vorrangig mit einem alten Kaminofen heizt, spürt die neue Belastung weniger als andere.
Die Mietpreise steigen seit mehr als zehn Jahren überdurchschnittlich. Viele können sich nicht mehr leisten, dort zu leben, wo sie arbeiten, vor allem nicht in den teuren Großstädten. Wer zu wenig verdient, weicht auf günstigere Orte aus. Doch auch im Umland der Ballungsräume sind die Preise gestiegen, zudem rauben längere Anfahrtswege Zeit und Kraft, von der zusätzlichen Belastung für die Umwelt ganz zu schweigen.
Die Bundesregierung unternimmt wenig. Das Wohngeld ist viel zu niedrig, das angekündigte (auch noch zu versteuernde) Energiegeld von einmalig 300 Euro ein schlechter Witz. Auch bei der Grundsteuer muss dringend nachgebessert werden. Der DGB und der Deutsche Mieterbund fordern seit Jahren, dass Hausbesitzende die Abgabe nicht mehr bequem auf die Bewohner:innen abwälzen können. Für Vermögende ist das sprichwörtliche „Betongold“ immer noch eine sehr lukrative Form der Geldanlage.
ist promovierter Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln.
Neben den privatisierten Wohnungskonzernen tummeln sich auf dem Markt internationale Fonds und Investmentfirmen. Wer Millionen oder gar Milliarden Euro in ein Mietobjekt stecken kann, um daraus Profit zu schlagen, dem tut eine höhere Besteuerung nicht weh. Die Interessenvertretungen der Immobilienwirtschaft aber laufen Sturm gegen alle Vorschläge, die ihre Klientel belasten. Die einflussreiche Lobby warnt vor „mehr Bürokratie“ oder unkt, Eigentümer:innen würden dann einfach die Kaltmiete weiter erhöhen.
Es ist sozial gerecht, jene zur Kasse zu bitten, die Häuser oder Grundstücke besitzen. Das Umlageverbot auf die Miete ist ein notwendiger Schritt im Verteilungskampf und das Recht auf preiswertes Wohnen. Konservative und Neoliberale wollen davon nichts wissen. In der Vorgängerregierung hat sich Olaf Scholz dem Koalitionspartner CDU gebeugt. In der Ampel sollte der SPD-Kanzler mehr sozialpolitisches Profil zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen