Tönnies wirbt ukrainische Geflüchtete an: Aus der Not Profit schlagen

Der Schlachtbetrieb Tönnies rekrutiert in Polen ukrainische Geflüchtete als Arbeitskräfte. Nur gegen Arbeitsvertrag gibt es Transport und Unterkunft.

Eine Gruppe Frauen am Bahnhof

Am Bahnhof der polnischen Kleinstadt Przemysl kommen jeden Tag tausende Menschen aus der Ukraine an Foto: Christoph Reichwein/dpa

Bremen taz | Einen Shitstorm in den Sozialen Medien erfährt gerade Deutschlands größter Schweine-Schlachtbetrieb, die Tönnies-Holding. Dieses Mal geht es nicht um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, mangelnden Coronaschutz für Mit­ar­bei­te­r:in­nen oder die Massentierhaltung in Zulieferbetrieben. Sondern um etwas, was der Konzern als großzügiges Hilfsangebot für ukrainische Geflüchtete auffasst – und andere als Arbeits-Prostitution.

Worum geht's? Seit zehn Tagen, so bestätigt es auch Konzernsprecher Fabian Reinkemeier der taz, sind drei Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Konzerns im polnischen Przemyśl, einer Stadt an der ukrainischen Grenze nahe Lwiw. Dort befinden sich zwei Aufnahmezentren für Geflüchtete, sie können sich dort registrieren und weiterreisen. Die Tönnies-Mitarbeiter:innen, so Reinkemeier, wollten von dort Menschen mitnehmen, die bereit sind, für das Unternehmen in Deutschland zu arbeiten. Konkret geht es um Arbeit als Pro­duk­ti­ons­hel­fe­r:in­nen in der „Convenience Herstellung“, also der Weiterverarbeitung von Fleisch, am Standort Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen. So steht es in dem Tönnies-Schreiben, das auf Twitter kursiert und der taz als Foto vorliegt.

Miete wird vom Gehalt abgezogen

Dort sind auf Deutsch auch die Arbeitsbedingungen erklärt: Elf Euro brutto pro Stunde plus steuerfreie Zuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld, 24 Tage Urlaub. Und: Eine Unterkunft wird gestellt, die Miete von 254 Euro pro Person wird vom Gehalt abgezogen. Es seien Dienstwohnungen, Angehörige wie Kinder könnten dort nicht mitwohnen, sagt Reinkemeier. In der Regel würden vier bis sechs Personen auf rund 100 Quadratmetern leben. „Wir streben an, dass sich höchstens zwei Personen ein Schlafzimmer teilen.“

Die Aufregung in den Sozialen Medien entzündet sich nun daran, dass Tönnies den Transport von Geflüchteten nach Deutschland an die Bedingung knüpft, dass sie dort einen Arbeitsvertrag unterschreiben. 72 Leute sollten zunächst mitgenommen werden – so erzählt es Patrick Walkowiak, ein Student. Er hat mit Freun­d:in­nen zu Beginn des Krieges eine Hilfsorganisation gegründet, um Geflüchtete nach Deutschland zu bringen.

Seit Samstag ist er im Aufnahmezentrum in Przemyśl und versucht dort zu helfen, was angesichts der Vielzahl von Helfenden nicht so einfach sei, wie er sagt. Immerhin spreche er als einer der wenigen Hel­fe­r:in­nen polnisch. Dabei sei der Transport nach Deutschland das geringere Problem – diese Erfahrung haben schon andere gemacht, die spontan an der Grenze helfen wollten.

Keine Alten und Kinder, nur Arbeitskräfte

Das größte Problem, sagt Walkowiak, sei, in Deutschland eine Unterkunft zu finden. „Deshalb dachte ich auch erst, ich habe den Jackpot geknackt, als ich von dem Angebot hörte, Arbeit und Unterkunft für so viele Menschen.“ Gehört hatte er davon von Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Aufnahmelagers, die skeptisch gewesen wären und ihn zu einem Gespräch mit zwei Frauen – die ebenfalls polnisch sprachen – und einem Mann hinzugebeten hätten. Im Gespräch habe sich herausgestellt, dass diese für Tönnies arbeiteten und sie keine Alten und Kinder mitnehmen würden, nur potentielle Arbeitskräfte ohne Familie.

„Mich hat das so wütend gemacht“, sagt Walkowiak, „die nutzen die Not der Leute aus“. Es sei bekannt, dass Tönnies ausländische Mit­ar­bei­te­r:in­nen nicht gut behandle. Etwa 80 Prozent der Ar­beit­neh­me­r:in­nen in der Produktion haben nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) keine deutsche Staatsangehörigkeit, die Fluktuation ist hoch. Das Schreiben von Tönnies hatte Walkowiak fotografiert und Freun­d:in­nen aus der linken Szene geschickt, die es dann auf Twitter teilten. Unter anderem verbreitet es das Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“.

Der russische Präsident Wladimir Putin (r) und Clemens Tönnies, damaliger Aussichtsratsvorsitzender des Bundesligavereins Schalke 04, halten ein Schalke-Trikot mit der Aufschrift des Sponsors Gazprom.

Haben sich in der Schalke-Verbindung gut verstanden: Clemens Tönnies und Wladimir Putin 2006 Foto: Astakhov_Dmitry/dpa

Wütend ist auch der Tönnies-Sprecher Fabian Reinkemeier. „Ich bin schockiert, dass ein paar Schwachmaten mit dem Leid der Menschen gegen uns Politik machen“, sagt er. Schließlich würde Tönnies „eine Zukunftsperspektive“ bieten. Etwa ein Dutzend Personen aus der Ukraine hätten sie bereits an zwei Standorten angestellt, allerdings seien diese auf anderen Wegen nach Deutschland gekommen. Dabei müssten „nicht alle am Band stehen“, wie er sagt, sie suchten auch ITler und BWLer, eine Lebensmitteltechnologin hätten sie bereits angestellt. Und dass die Geflüchteten „sehr dankbar“ seien.

„Wir hatten mehrere Interessentinnen, die gerne für uns gearbeitet hätten“, sagt Reinkemeier. Dann aber seien die drei Mit­ar­bei­te­r:in­nen von einer Gruppe deutscher Freiwilliger angegriffen und verjagt worden. „Wir wissen jetzt nicht, ob wir dort weiter machen können.“

Kurz nach dem Gespräch mit Reinkemeier meldet sich der Geschäftsführer der Tönnies-Tochter „Zur Mühle“, Axel Knau. Auch er ist wütend. „Das sind mündige Menschen, die für sich selbst entscheiden können und nicht bevormundet werden wollen“, sagt er. Manche wollten jetzt einfach arbeiten, um unabhängig zu bleiben und vielleicht ihre Familie zu unterstützen. „Die wissen,was sie sie tun.“

Das bezweifelt allerdings Dominique John, Leiter des DGB-Beratungsnetzwerks Faire Mobilität. „Für die Geflüchteten geht es zuerst darum, sich und ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen.“ Die Unternehmen würden „die Not als Gelegenheit sehen und die schwache Situation der Menschen ausnutzen“.

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