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Belarus, die Geflüchteten und die EUPutins Werk, Lukaschenkos Beitrag

Kommentar von Barbara Oertel

Was dieser Tage an der belarussisch-polnischen Grenze passiert, sorgt zu Recht für Empörung. Doch die Ursache sitzt in Moskau.

Der Präsident und sein Vasall: Wladimir Putin (r.) mit Alexander Lukaschenko Foto: reuters

A lle Welt regt sich zu Recht über den belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko auf. Der Mann hat nicht nur sein eigenes Volk in Geiselhaft genommen, sondern benutzt jetzt auch wehrlose Geflüchtete, um einen Rachefeldzug gegen die Europäische Union zu führen.

Doch wer ist eigentlich Alexander Lukaschenko? Ein Vasall Russlands. Jeder weiß: Es bedürfte nur eines Fingerschnippens von Wladimir Putin und Lukaschenko wäre weg vom Fenster.

Deshalb muss sich dieser Tage der Blick vor allem nach Russland richten. Dort kann Putin die jüngsten Ereignisse mit Genugtuung betrachten, für ihn läuft alles nach Plan. Mit der Unterzeichnung eines 28-Punkte-Plans, gemeinsame Militärdoktrin inklusive, ist in der vergangenen Woche die seit Jahren von Moskau forcierte Eingemeindung des Nachbarn ein gutes Stück nähergerückt.

Doch es kommt noch besser: Die Präsenz von nur ein paar Tausend Geflüchteten hat die Schwachstellen in der Europäischen Union wieder einmal gnadenlos offengelegt. Ein Ausdruck dessen sind zwei Anrufe der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau, in denen sie an Putin appelliert, auf Lukaschenko mäßigend einzuwirken. Ja, warum sollte er?

Hybrider Krieg gegen den Westen

Schließlich geht es nicht um ein paar geschundene Seelen, mit denen Putin vorgeblich genauso wenig zu tun hat wie mit den prorussischen Kämpfern in der Ostukraine. Nein, dies ist eine weitere Facette des langfristig angelegten hybriden Krieges mit dem Ziel, den Westen zu destabilisieren.

Leider könnte diese Strategie ein Stück weit aufgehen – dank Polen. Warschau rüstet massiv an der Grenze zu Belarus auf. Dorthin werden weder humanitäre Hilfe noch Jour­na­lis­t*in­nen durchgelassen, damit Menschenrechtsverletzungen wie Pushbacks möglichst nicht öffentlich werden. Genau das spielt dem Kreml in die Karten. Es ist doch nichts schöner, als den verrotteten Westen in eine Lage zu bringen, in der er seine eigenen Werte verrät.

Was das anbetrifft, hat Polen ja schon einiges auf der Habenseite – siehe der Konflikt mit Brüssel über die Justizreform. Die folgt dem Grundsatz: Autoritär durchregieren und dafür Grundsätze wie Gewaltenteilung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit über Bord werfen.

Was das in letzter Konsequenz bedeutet, kann Warschau jetzt vor der eigenen Haustür besichtigen. Was folgt daraus? Im besten Fall dämmert in Warschau langsam die Erkenntnis, den eigenen Kurs innerhalb der EU zu überdenken.

Europa darf sich nicht weiter auseinanderdividieren lassen. Zumal die nächste Attacke aus dem Osten, in welcher Form auch immer, folgen wird. Darauf braucht es Antworten. Eine davon ist Geschlossenheit. Eine Mauer zu bauen, ist es nicht.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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34 Kommentare

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  • Die Hauptursache des Konflikts liegt nicht in Moskau, sondern in Washington. Die Geflüchteten stammen aus Staaten, welche die USA und ihre Willigen nach 9/11 in einem Rachefeldzug zerstört haben.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Thomas Müller:

      Ohne die Unterstützung Russlands wäre Assad gestürzt worden oder hätte verhandeln müssen, das würde die Rückkehr von Millionen Syrern erlauben. Der Iraq ist nicht zerstört er ist dysfunktional, weil von pro-iranischen Milizen dominiert, das war er vor den Amerikanern auch schon, im Grunde seit der Gründung 1920, die Herrschaft einer sunnitischen Minderheit die sich in Deutschland einige als Stabilität schön reden war eigentlich immer das Gegenteil, jetzt muss er unter schiitischer Herrschaft eine Stabilität finden, dafür müssen die Menschen aber vor Ort bleiben und für Demokratie kämpfen.

      Die Menschen fliehen in der Masse vor Armut und Korruption, die gab es schon lange vorher vor 9/11 nur heute gibt es mehr Informationen und Wege nach Europa.

  • Erst ma Menschlichkeit. Also müssen die Menschen auf Europa verteilt werden - soviele sind es nicht.



    Lieber endlich klare Analysen und klare Außenpolitik wie Flüchtlinge verhindert werden können. Schlielich killen Kriege nicht nur heute, schaffen weltweit Chaos, sondern sind auch klimapolitisch eine Katastrophe. Und diei Unkosten durch die Flüchtlinge-: alles anschreiben lassen wie früher beim Bäcker um die Ecke und später die Belarussen oder die Russen zahlen lassen - das geht bestimmt- die Rechnung kann später aufs Tablett gelegt werden.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @StefanMaria:

      Die Fluchtursachen haben lokale Gründe die schwerlich von Europa abgestellt werden können. Zentralasien bspw. wird auch ohne menschengemachten Klimawandel trockener seit der letzten Eiszeit d.h. Afghanistan wird so oder so Probleme bekommen seine Bevölkerung zu ernähren die Taliban verschärfen das Problem nur.

  • Warum öffnet Polen die Grenze nicht? Das fordert Seebrücke jetzt.

    • @nzuli sana:

      Wenn dies nur so einfach wäre, in aller Konsequenz. (Ich gehe nicht davon aus, dass eine sofortige Aufnahme alle Beteiligten davon abhalten wird genau so weiter zu machen. Die Geflüchteten flüchten weiter. Lukaschenko pflegt weiterhin sein mafiösen Strukturen. Polen wird sich weiter von der EU entfernen. Und Putin geniesst die für ihn immer günstiger werdende Position.)



      Ich persönlich sähe zum aktuellen Zeitpunkt nur die Möglichkeit, die Geflüchteten, so hart es auch ist, auf belarussischer Seite zu lassen. Diese jedoch mindestens mit überlebenswichtigem lückenlos zu versorgen. Und das Ganze mit Russland/Polen/Belaruss und EU sofort und nachdrücklich zu klären und in den Herkunftländern der Geflüchteten die Fluchtgründe abzustellen. Das würde jedoch ein krasser diplomatischer Eierlauf werden. Und sogar internationale Bemühung bedeuten. Also stirbt die Hoffnung wie immer zuletzt, nach den Geflüchteten an der Grenze und denen, die auf dem Weg dort hin sind.

      • @humussapiens:

        es ist leider wirklich nicht einfach, aber wenn niemand einlenkt erfrieren die meschen im winter...



        glaubt wer, dass sie lukaschenko zurück fliegt??

    • @nzuli sana:

      Vereine wie Seebrücke mit ihren fatalen, falschen Signalen zur Massenmigration sind doch der Grund für das Chaos und nicht die Lösung. Zudem gibt es für einen Staat wenig Gründe, staatszersetzende Forderungen eines Vereins zu erfüllen.

      • @Chutriella:

        Die Menschen aus den klassischen Fluchtländern in Afrika und Asien sind mit ihrer Region, Kultur, Religion usw. stärker verbunden als wir das von unserem Sofa aus wahrhaben wollen. In vielen afrikanischen Ländern gibt es z.B. keinerlei staatlichen Schutz; Menschen sind dort praktisch vogelfrei. Es muss u.a. schon viel passieren. dass man seine eigenen Kinder alleine auf eine solch lebensgefährliche Route losschickt (bevor sie etwa von einer durchgeknallten Miliz zwangsrekrutiert werden...).



        Also bitte bitte etwas mehr sich mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in solchen Ländern beschäftigen und den NGOs zur See den moralischen Rücken stärken.

      • @Chutriella:

        Das stimmt nicht. Die Menschen flüchten nicht deshalb weil hier NGOs auf die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten pochen, sondern weil es handfeste Gründe für eine Flucht gibt. Einfach mal eine Sekunde darüber nachdenken was für Umstände es bräuchte damit sie sich zu Fuß und mit minimalen Mitteln zu einer lebensgefährlichen Flucht auf einen anderen Kontinent auf machen.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Chutriella:

        Geht’s noch? Jetzt fehlt nur noch “das Boot ist voll” .

      • @Chutriella:

        Ooh Mann!! Die "SEEBRÜCKE" argumentiert doch human! Im Sinne der U.N.O.,im Sinne der Allgemeinen Menschenrechte! ... gegen das Chaos an der EU Ostgrenze!



        Einige Menschen, Migranten, sind dort bereits gestorben! Wie siehts dort aus mit der Covid19 Situation?



        Wenn die Barbarei dort siegt, was dann?



        Schiessen auf Migranten? Pushbacks als legitimes Mittel zum Schutz des EU Wohlstands?

    • @nzuli sana:

      Seebrücke wird kein Land sehen.



      Ist halt nur eine See- und keine Landbrücke

  • Von russischer Seite lässt sich der offenbarte Zynismus kaum mehr überbieten. Da springt Putin aus strategischem Interesse dem syrischen Machthaber bei, rettet seine Macht, in dem er den berechtigten Widerstand der syrischen Opposition im Bombenhagel bricht, „produziert“ dadurch weitere 100000e Flüchtlinge, die sich vor Assad in Sicherheit bringen müssen, weigert sich natürlich die selbst verursachten Flüchtlinge in seinem Reich aufzunehmen und nun werden u.a diese Menschen gezielt dazu benutzt den Westen zu diskreditieren. Das perfide daran – Putin hat sich nie als moralischer Leuchtturm inszeniert wie der Westen, hat also wenig zu verlieren und er erscheint auch als Autokrat in gewisser Weise ehrlicher als der Westen. Der Westen inklusive dem „migrationsskeptischem“ Polen dagegen kann weiter viel an Glaubwürdigkeit verlieren. Nachdem er schon in Afghanistan weitgehend versagt hat, indem er Menschen an die Taliban verraten hat wird er nun von Lukaschenko (in Vertretung von Putin) ein weiteres Mal vorgeführt. Wir werden in Zukunft wohl ziemlich kleine moralische Brötchen backen müssen und reflektieren wie weit wir dazu bereit sind als Union zu Menschenrechten zu stehen und danach zu handeln. Ich sehe da ziemlich schwarz…

    • @Winfried Burger:

      Und soll man nun ebenfalls auf Menschenrechte und Menschlichkeit pfeiffen und eine ebensolche Politik betreiben wie Putin? Oder könnte man vielleicht auch aus gemachten Fehlern lernen und eine humanitäre Linie auch dann durchhalten wenn es dafür mehr erfordert als schöne Worte.

      • @Ingo Bernable:

        Ich kann nicht so recht verstehen worauf Sie hinaus wollen. Das Duo Putin/Lukaschenko zeigt auf die Hybris des Westens: Menschenrechte predigen, aber Grenzen mit ALLEN Mitteln abdichten egal wieviel im Mittelmeer ertrinken oder im Grenzgebiet PL - Belarus unversorgt frieren. Vor der Weltöffentlichkeit ensteht so der Eindruck, dass der Unterschied zwischen Putin und seinen Vasallen einerseits und dem Westen andererseits (in Bezug auf Achtung der Menschenrechte) eigentlich gar nicht so groß sei wie der Westen propagiert.



        Und ja klar, damit wird auch die Spaltung/Uneinigkeit in der EU zur Flüchtlingsfrage weiter forciert.

        • @Winfried Burger:

          Ich will darauf hinaus, dass man endlich (wieder) die Menschenrechte einhalten sollte, statt "kleine moralische Brötchen backen" zu wollen.

          • @Ingo Bernable:

            Ihr frommer Wunsch ehrt Sie! Doch Sie sollten unterscheiden zwischen Ihrer guten Haltung zu Menschenrechten und dem was sich gerade noch politisch durchsetzen lässt, wofür man gerade noch eine Mehrheit bekommt bevor man seinen moralischen Anspruch als Land nach außen trägt. (Als Individuum kann ich das sehr wohl.) Ansonsten wirkt ein Land (ein System) unglaubwürdig und letztlich zynisch aus Sicht derer, bei denen es ums Überleben geht. Insofern ist es ehrlicher

          • 8G
            83379 (Profil gelöscht)
            @Ingo Bernable:

            Will man die menschenrechte wirklich einhalten muss man sie auch in Syrien etc. Durchsetzten.

            • @83379 (Profil gelöscht):

              Ja, das hätte man mE tun müssen.

  • Was interessiert mich Lukaschenko oder Putin? Was interessiert mich Orban oder Erdogan oder sonst wer? Was wir brauchen ist eine geschlossene EU! Und alle Mitgliedsstaaten, die nicht mitziehen, wie Ungarn oder Polen, sollte man heraus schmeißen. Gegen eine geschlossene EU mit einer gemeinsamen Außenpolitik, Verteidigungspolitik und einheitlichen Steuern usw. sind wir auf Staaten wie Russland oder Türkei nicht mehr angewiesen sondern eher umgekehrt !Die sind angewiesen auf uns, auch würden wir uns vielleicht von den USA und China entkoppeln

    • @Andrew Bear:

      Eine gemeinsame Außenpolitik bedeutet in Zusammenhang mit dem Thema des Artikels, dass Deutschland seine großzügige Linie in der Flüchtlingspolitik aufgibt.

      Die meisten Staaten der EU wollen nicht mehr Migration und würden die polnische Lösung wählen.

      Merkels "Wir schaffen das!" war ein Alleingang.

  • Ich habe nicht den Eindruck, dass die EU gerade destabilisiert wird. Ich habe eher den Eindruck, das Polen Unterstützung der EU-Staaten erhalten wird. Vielleicht nicht aus Deutschland, aber der Rest der EU sieht die Flüchtlingsfrage kritisch. Auch Seehofer (ja, ich weiß eher kritisch bzgl. der Flüchtlinge) hat signalisiert, dass Polen bei der Grenzsicherung Unterstützung braucht.

  • Dieser Artikel beweist leider ein weiteres Mal, dass ein mit simplen Zuspitzungen und Dämonisierungen operierender politischer Manichäismus kaum ausreicht, um politische Konflikte in unserer Nachbarschaft (geschweige denn in der restlichen Welt) zu verstehen. Schon die Behauptung, Putin könnte Lukaschenko mit einem Fingerschnipp aus dem Amt entfernen, ist im freundlichsten Falle naiv: die außenpolitischen Folgen für Russland (nicht: für Putin!) wären fatal: denn selbst wenn dadurch Belarus nicht destabilisiert würde, bestände die Gefahr, dass eine neue Regierung eine Wende nach Westen vollzieht – und die Nato mittelfristig noch näher an Russlands Grenzen rückt. Das würde Moskaus Sicherheitsinteressen (über die man nachdenken sollte, statt alles mit Putins persönlicher Bosheit zu erklären) massiv entgegenstehen. Aus dem selben Grund ist es auch zu einfach, zu glauben, Putin würde hinter der gegenwärtigen Krise stecken. Die Drohungen, Gaslieferungen etc. zu unterbrechen, schaden Russland. Der Punkt ist also eher der, dass sich auch Lukaschenko bewusst ist, dass Russland keine wirkliche Ausweichmöglichkeit hat, und er daher die Situation zu seinen Gunsten nützt.

    • @O.F.:

      da sind wohl einige strategische Zusammenhänge von Putin nicht erkannt.



      Putin dreht uns nicht den Gashahn zu um uns zu schaden, sondern um unseren Einfluss auf Eroberungsstaaten klein zu halten; z.b. Ukraine.



      Auch wird eine "neue Regierung" in Belarus unter Putins Gnaden nicht zum Eroberungsland für die Nato.



      Unter der "Fuchtel" von Putin konnte zuletzt die Demokratiebewegung unterdrückt werden, da der Rest der Welt sich bei Unterstützung durch Putin nur mehr kleinlaut wurde.



      Solange die demokratische Welt bereits bei Flüchtlingsproblemen keine Problemlösung zustande bringt und im Falle von Belarus wochenlang herum eiert, kann sich Putin sicher sein, seine Ziele erreichen zu können.

      Wir sollten uns statt in Rüstung zu investieren, uns besser auf Fluchtbewegungen und -ursachen strategisch vorbereiten und in energietechnologische Unabhängigkeit investieren - z.B. regenerative Energien, statt Gas und Öl aus Rußland zu beziehen. Das verbessert nicht nur unsere CO² Reduktion, sondern macht uns weniger angreifbar auch ohne Waffensysteme. Gleichfalls steigert sich die politische Souveränität unseres Staates.

      • @Sonnenhaus:

        1. Russland (noch einmal: nicht Putin) dreht "uns" überhaupt nicht den Gashahn zu; damit würde es sich ökonomisch und außenpolitisch immens schaden.



        2. Eine neue Regierung in Belarus wäre eben nicht automatisch eine Regierung von Putins Gnaden; Lukaschenko hat nicht nur die pro-westliche Opposition unterdrückt, sondern auch eher nach Russland orientierte Konkurrenten kleingehalten. Russland hat schlichtweg keine andere Karte, auf das es setzen kann.



        3. Sie unterschätzen völlig die banale Tatsache, dass Lukaschenko kein reiner Befehlsempfänger ist, der auf Anweisungen auf Moskau wartet, sondern ein eigenständiger Akteur ist, der durchaus weiß, Spielräume und Gelegenheiten in seinem eigenen Sinne zu nutzen.



        Wie ich schon geschrieben habe: politischer Manichäismus verstellt den Blick auf die Komplexität der Situation im postsowjetischen Raum.

        • @O.F.:

          Sie haben nicht gelesen wie Putin die letzten Wochen am Gashahn gedreht hat? er hat nicht "zugedreht" aber er hat an der Menge und damit an er Preisschraube. Daher die Diskussionen um die steigenden Energiepreise. Und da wir, erst recht Weißrußl oder Moldawien, immer noch nicht auf erneuerb Energien umgestellt haben und zu einem gut Teil von russ. Gas abhängig sind, kann er mit uns ein wenig spielen, die Preise treiben, uns das Leben schwer machen, und rechtzeitig bei Einsicht der Kunden in ihrer Politik ggü Russl sich wieder von seiner wohlwollenden Seite zeigen.

          Wenn Wrussld nicht auf die Politik des Kremls eingeht, können ihm schnell die Gaspreise erhöht werden- auf das aktuelle Niveau Moldawiens 300-400% über dem Preis für andere. Vorher konnte L noch zw. Russland u der EU lavieren, hat auch Geld bekommen, Investitionen, wenn er sich in Sachen MR-Politik wieder ein klitzekleines bisschen kooperativer zeigte. Aber der Bogen scheint nun überspannt. Und wenn es Spitz auf Knopf kommt, ist die Souveränität Weißrusslands keinen Heller mehr wert. Dann können ganz schnell russ Truppen einmarschieren, ein Referendum à la russe abhalten und es ist vorbei mit Wrusslands Unabhängigkeit. Dass würde Putin oder Russland schaden? i wo. So lange die EU abhängig vom russ. Gas ist, kann die EU gar keine echten Sanktionen verhängen. Alle Sanktionen die bislang verhangen wurden wg Krim u Donbass sind absolut zahnlos geblieben. Russische Supermärkte etwa sind aktuell besser gefüllt als britische, wie es scheint. (Evidenz YT). Dem Westen fehlt es aktuell einfach an Politikern, die strategisch spielen können- alles was ihnen einfällt ist Dialog, was anderes haben sie nicht gelernt, selbst wenn die andere Seite nicht im Traum daran denkt sich zu irgendetwas überreden zu lassen, wie jahre- u- jahrzehntelange Erfahrung zeigt, u wir gar kein Druckmittel haben. Auch P betrachtet die postsow. "Komplexität" nur durch die Linse des Machtpokers, u im postsow Raum ist er der King.

          • @ingrid werner:

            1. Sie haben sicher auch gelesen, dass Russland (wie sogar Merkel bestätigt hat) alle Lieferverträge einwandfrei erfüllt hat und inzwischen sogar zusätzliches Gas geliefert hat. Die gestiegenen Preise haben vor allem etwas mit dem Weltmarkt, nicht zuletzt der erhöhten Nachfrage in Asien zu tun; hinter allem russische Intrigen zu vermuten, ist mir doch ein bisschen zu viel James Bond...



            2. Vermutlich könnte Russland Belarus militärisch unter Kontrolle bringen, aber das wäre ein schwerer Brocken (zumal kaum abzuschätzen ist, wie groß der Widerstand dagegen wäre - und das ist ein wesentlicher Unterschied zur Krim). Russland ist hier also in einer Zwangslage und das weiß auch Lukaschenko - und nutzt die Gelegenheit entsprechend. Es ist schlichtweg zu einfach, jeden Regierungschef, der mit Russland verbündet ist, als Marionette zu betrachten. Das sind eigenständige Akteure.

            • @O.F.:

              James Bond ist in Rente, Putin noch nicht. Und nein, hinter ALLEM vermutet niemand russ. Intrigen. Aber es ist definitiv gesünder bei diesem autoritären Russland, dass bei Gelegenheit auch mal Gebiete annektiert, auf alles vorbereitet zu sein. Nach dem im Artikel verlinkten 28- Punkteplan ist ja ohnehin schon ein Referendum für den nächsten Februar vorgesehen. Das allein beweist doch sehr deutlich, dass Russland zu allem bereit ist und offenbar ihre Ängste nicht teil.

  • Sehr richtig. Ja, ich ärgere mich auch über Lukaschenko. Ja, ich sehe es auch so, dass das für Putin nur noch eine Spielfigur mehr auf dem Schachbrett ist, wie Fancy Bear, die Giftanschläge mit Polonium oder Nowitschok, Wagner in Syrien oder Nordafrika, und, und.

    Am meisten ärgere ich mich aber über uns, die wir uns ins Hemd machen wegen ein paar Zehntausend flüchtlinge. Auch über Nordstream 2 (das hätte Putin *viel* teurer bezahlen müssen, wenn überhaupt! -- ich meine, das hätte nie genehmigt werden sollen).

    Nähmen wir sie auf, liefe diese ganze Aktion ins Leere. Aber nein, wir scheinen alle in der Schockstarre, die Laschet in einen Satz gegossen hat: "2015 darf sich nicht wiederholen". Wegen der paar Pegidioten!?

    Das ärgert mich tatsächlich am meisten.

    • @tomás zerolo:

      "Nähmen wir sie auf, liefe diese ganze Aktion ins Leere." So einfach.... ist es leider doch nicht. Durch die letzte Flüchtlingswelle haben wir die AfD in den Parlamenten u nicht zu vergessen auch der PiS (und vielen anderen rechten Parteien) haben die Flüchtlinge in die Karten gespielt, durch 2015 kam die PiS wieder an die Macht. Ein bisschen mehr Realismus muss schon sein. Angbl landen in Weißrussland jetzt jede Woche 40 Flüge, der Flughafen Grodno soll noch ausgebaut werden. Dies ist die Perspektive bis März April. Hochgerechnet sind das dann schon über 500.000 Flüchtlinge u da bekommen auch die Mitglieder aller Parteien Muffensausen vor einem weiteren Anstieg von AfD, Le Pen etc. (nächstes Jahr sind Präsidentschaftswahlen in FR, was Le Pen im Verein mit Orban u Kaczinski mit der EU macht, sollte sie gewinnen, über Bande mit Putin, können sie sich selbst ausmalen). Ja, die dummen Wähler, zumindest sehr viele davon wählen dann nun mal die. Wenn es nach Ihnen und mir geht, lassen wir die Flüchtlinge einfach rein, und geben ihnen ein herzl. Willkommen. Aber es geht nun mal nicht allein nach Ihnen und mir. Realitätscheck. Und dann sind wir noch immer zu abhängig von russ. Gas. Einfach von heut auf morgen aussteigen geht auch nicht. Wir sind auch hier viel zu spät dran. Und wer zu besteht kommt...

    • @tomás zerolo:

      Mich ärgert noch mehr, dass Menschen (Flüchtlinge) mit Versprechungen (sie können nach Deutschland/in die EU) in ein Land gelockt werden, um sie dann an die Front (Grenze) zu schicken und zu "verheizen", da sie niemand haben möchte, am wenigstens das Land, das sie eingeladen hat. Diese Menschen wollten nie politisch aktiv sein und werden jetzt benutzt. Und das unterscheidet sie von den Personen, die politisch öffentlich aktiv werden und sich bewusst einem Risiko aussetzen (nicht das ich die Gewalt gegen diese relativieren möchte oder gar gutheiße).

      Nordstream 2 sehe ich im Vergleich dazu fast schon entspannt.