piwik no script img

Lage an der Grenze Belarus und PolenEU will Asylregeln aussetzen

Die EU-Kommission plant, für Polen, Lettland und Litauen das Asylrecht vorübergehend aufzuweichen. Menschenrechtler kritisieren das Vorhaben.

Hier gibt es kein Asyl: Polnische Soldaten an der Grenze zu Belarus am 26. November 2021 Foto: Lukasz Glowala/reuters

Brüssel taz | Angesichts der Lage an der Grenze zu Belarus will die EU-Kommission Polen, Lettland und Litauen erlauben, bestimmte Schutzrechte von Migranten vorübergehend auszusetzen. Am Mittwoch präsentierten Kommissionsvize Margaritis Schinas und die für Migration zuständige Kommissarin Ylva Johansson einen Vorschlag zur Aufweichung einiger EU-Asylregeln. Dieser würde es den Ländern erlauben, den Asylprozess zu verlängern und Abschiebungen zu vereinfachen. „Grundrechte werden nicht angefasst“, versicherte Johansson. Menschenrechtsorganisationen widersprachen dieser Einschätzung.

Die Maßnahmen sollen zunächst für sechs Monate gelten. Der Vorschlag sieht vor, dass Behörden der Grenzländer länger Zeit haben, um Asylanträge zu registrieren – vier Wochen statt maximal zehn Tage – und Registrierungen nur an bestimmen Grenzübergängen stattfinden. Dies ließe auch zu, fast alle Asylbewerbungen direkt an der Grenze abzufertigen. Der Asylprozess dürfte nach dem Willen der Kommission bis zu 16 Wochen dauern.

Das könnte bedeuten, dass Menschen solange in Auffangzentren nahe der Grenze untergebracht werden und diese nicht verlassen dürfen. Außerdem will die Kommission einfachere und schnellere Abschiebungen erlauben. Die Maßnahmen sollen nun von den Mitgliedstaaten angenommen werden.

Die Ankündigung wurde von Menschenrechtlern kritisiert. „Dieser Vorschlag schwächt die Grundrechte von Asylsuchenden“, sagte Erin McKay von der Organisation Oxfam. „Menschen, die in Europa Schutz suchen, zu stoppen, festzunehmen und zu kriminalisieren bricht internationales Recht und europäisches Asylrecht.“ Die Organisation Pro Asyl nannte den Vorschlag „zutiefst beunruhigend“. „Das Paket zeigt, dass die Hardliner in Europa mittlerweile die Brüsseler Agenda bestimmen.“

Seit Wochen versuchen mehrere Tausend Menschen, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU wirft dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Personen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • @GLEICHSTELLUNGSBEAUFTRAGTER:

    "...nachvollziehbar".

    Nö. Sie ist kleinlich, ängstlich und tritt die vielbeschworenen "Europäischen Werte" mit Füssen.

    Wie lange noch wollen wir uns eigentlich von diesen paar dummen Populisten am Nasenring durch die Manege ziehen lassen?

  • Nachdem so viele Migranten ganz offen sagen, dass sie Polen und der Rest der EU nicht interessiert und sie unbedingt nach Deutschland wollen, sind die Konsequenzen der EU schon nachvollziehbar.

    Solange die Asylprüfung fair abläuft, würden hier keine Rechte verletzt. Was aber Sorge macht, ist der Mangel an Pressefreiheit in dem von Polen eingerichteten "Sperrgebiet". Die Behandlung der Menschen muss nachprüfbar und transparent sein! Wenn das gewährleistet ist, dann ist auch gegen schnelle Rückführung nichts einzuwenden, wenn tatsächlich kein Asylgrund vorliegt. Das fordert ja sogar der neue Koalitionsvertrag der Ampel mit der "Rückführungsoffensive".

  • Aha, die EU in Brüssel zieht formell offiziell nach und setzt das Recht auf Asyl aus.



    Die Menschenrechte sind ja auch in Afghanistan vorübergehend ausgesetzt.



    Wie weit wird diese Entwicklung noch so weitergehen?

  • Da bin ich ja erleichtert, dass Rechte nur aufgehoben werden, wenn es um Leben und Tod geht. Ansonsten müsste man vielleicht beunruhigt sein.

  • Die EU ist kaputt.

    Nach ungeschriebenen Völkerrecht ist es das Recht eines jeden Landes Grenzen zu schließen und selbst zu bestimmen, wer hinein darf. Diese Kompetenz haben die Länder nicht auf die EU übertragen.Im Zuge des Schengenabkommens haben sich die Mitliedsländer untereinander verständigt, auf innereuropäische Grenzkontollen zu verzichten. Das war eine einstimmige Konsenzentscheidung.

    Die angebliche Verpflichtung, Schutzsuchende an den Grenzen ein Asylverfahren zu ermöglichen und die Länder damit zu verpflichten diese ohne eigne Wahl einreisen zu lassen, ergibt sich lediglich aus einer Richtlinie der EU aus dem Jahr 2013. Zum Erlass einer so weitgehenden Richtlinie hatte die EU keine Kompetenz und jedes Verfassunggericht eines Landes an der Außengrenze könnte dementsprechend entscheiden.

    Daher sollten die Organe der EU lieber stillschweigend und kommentarlos zusehen, was an der Außengrenzen passiert.

    • @DiMa:

      Grundsätzlich hat kodifiziertes Recht Vorrang vor ungeschriebenem Gewohnheitsrecht.



      "Die angebliche Verpflichtung, Schutzsuchende an den Grenzen ein Asylverfahren zu ermöglichen" ist keine EU-Richtlinie und auch keine Behauptung, sondern eine Tatsache die sich aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ergibt.

      • @Ingo Bernable:

        Zunächst, ungeschriebenes Völkerrecht gilt vollumfänglich.

        Und die EU kann halt außerhalb ihrer Kompetenzen keine Rechte setzen.

        Also ist in diesem Bereich vollkommen belanglos, was die EU so von sich gibt.

        • @DiMa:

          Wie ich oben schon schrieb geht es hier gar nicht um EU-Recht, das übrigens natürlich auch in einen Mitgliedsland wie Polen gilt, sondern um internationales Recht das auch von Polen ratifizirt wurde.



          Dass die Pushbacks die dort aber auch an der griechischen Grenze stattfinden gegen internationales und Menschenrechet verstoßen ist mE allgemein unstrittig, daran ändert auch ungeschriebenes Völkerrecht nichts dessen konkreter Inhalt demgegenüber in vielen Punkten durchaus umstritten und interpretierbar ist.

          • @Ingo Bernable:

            Nochmals es geht in meinem Beitrag nur um das Recht, Grenzen zu schließen (ausdrücklich im ersten Beitrag "Grenzen zu schließen").

            Gegen welches internationale Recht sollte Polen also verstoßen, wenn es Grenzen schließt?

            - Genfer Flüchtlingskonvention, nope



            - EU Charta der Menschenrechte, nope



            - Europäische Menschenrechtskonvention, nope

            Die einzige Vorschrift, die einen Zwang zur Aufnahme von Flüchtlingen an der Grenze enthält ist eine Richtlinie der EU aus dem Jahr 2013. Diese haben die Mitgliedsstaaen nicht ratifziert. Damit darf jedes Land seine Grenzen verteidigen.

            Nochmals, ich spreche nicht von Pushbacks (ausdrücklich im ersten Beitrag "Grenzen zu schließen"), sondern lediglich von der Verteidigung der Grenze gegen den unberechtigten Grenzübertritt (ausdrücklich im ersten Beitrag "Grenzen zu schließen").

            • @DiMa:

              Ich sehe, dass sie von ihrer höchst eigenwilligen Interpretation nicht abzubringen sind. Möglicherweise ist aber selbst ihnen der Gedanke zugänglich, dass es in extremen Maße unmenschlich ist, seine Grenzen Hilfesuchende Menschen in Not zu schließen und zwar selbst dann wenn dies bedeutet dabei zuzusehen wie diese Menschen im Niemandsland sterben.

              • @Ingo Bernable:

                Höchst eigenwillige Interpretation? Gerne können Sie eine geltende Rechtsquelle benennen, aus welche sich eine Pflicht zur Grenzöffnung ergibt. Bisher Fehlanzeige.

                Solche moralischen Entscheidungen haben doch ausschließlich die jeweiligen Mitgiedsländer zu treffen und vor ihren Wählern zu verantworten. Die Länder können im Rahmen ihrer Souveränität abwägen, ob sie die Menschen aufnehmen - oder halt nicht. Das ist keine Entscheidung der EU und die EU sollte sich insoweit auch nicht einmischen.

  • Die EU verabschiedet sich von ihren menschenrechtlichen Grundlagen. Damit verspielt sie das Recht, andere Staaten wegen deren Menschenrechtsverstößen zu verurteilen, wenn die EU selbst Menschenrechte mit Füßen tritt.