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Die steile TheseUrlaubsreisen sind überbewertet

Waltraud Schwab
Kommentar von Waltraud Schwab

Die Menschen glauben, dass sie reisen müssen, um zu sein. Ein Irrtum, gerade in Zeiten der Pandemie. Daheimbleiben bietet hingegen Offenbarung.

Mit den „schönsten Wochen des Jahres“ ist der Urlaub gemeint und der ist zur Ware verkommen Foto: Westend61/getty images

W as ist mir von Bangkok in Erinnerung geblieben? Die hohen Fußgängerbrücken über schlimm befahrene vielspurige Straßen.

Was von Athen? Das Hotelwaschbecken, in dem alle Klamotten ausgewaschen werden mussten, weil auf dem Flug das braune Tiroler Nussöl, ein Sonnenschutzmittel, im Koffer auslief.

Was fällt mir bei London ein? Die Wand voller Cornflakes im Sainsbury’s-Supermarkt – ein Kulturschock.

Als ich vor den Regalen im Supermarkt stand, habe ich kapiert: Freiheit ist die Wahl zwischen dem, was die Warenwelt mir bietet. In London habe ich immerhin drei Jahre gelebt. Da hätte mir spontan auch etwas anderes einfallen können.

Wie auch immer, für diese Welterfahrungen hätte ich nicht wegfahren müssen. Die Reisen sind schon lange her, aber die Frage, was vom Reisen bleibt außer Anekdoten, die bestenfalls für Smalltalk taugen, wird immer drängender. Gerade jetzt, wenn es keine Reisen gibt ohne Fragen nach dem Infektionsrisiko.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Es gibt Leute, die unstet sind, die an keinem Ort lange bleiben können. Leute, die sich und die Welt nur spüren, wenn sie in Bewegung sind. Unglückliche eigentlich, wenn man Olga Tokarczuk, der Nobelpreisträgerin 2018 folgt, die ein Buch geschrieben hat, das „Unrast“ heißt. Darin spricht eine getriebene Ich-Erzählerin, eine, die sich verorten will und für die alle Verortung doch nur Vorwand ist, um weiterzugehen. Solche Leute machen keine Urlaubsreisen, sie sind Suchende, die nie das finden, dem sie auf der Spur sind.

Die Eltern dieses von Unrast getriebenen, erzählenden Ichs im Roman dagegen machen genau das, was erwartet wird: Sie machen jeden Sommer eine Reise, und es ist mehr Pflichterfüllung als Begehren. Für zwei, drei Wochen wird losgezogen. Das Ziel: wieder heimzukehren; erst zu Hause sind sie glücklich. Die Eltern des erzählenden Ich sitzen einem Irrtum auf. Sie meinen, dass sie verreisen müssen.

Ein Irrtum, der sich durchgesetzt hat

Dieser Irrtum hat sich durchgesetzt und kommt als Selbstverständlichkeit daher, wie früher die Annahme, man müsse sonntags in die Kirche. Der Irrtum ist eine Glaubenssache, und das ist wichtig, denn eine Riesenindustrie hängt daran, die Tourismusbranche, und der nutzt es, wenn die Notwendigkeit des Reisens ein Dogma ist. Dogmen haben einen normativen Wahrheitsanspruch. Dahinter muss man nicht zurück. Das wird angesichts einer durch Urlaubsreisen gefördeten zweiten Coronawelle gerade zum Problem.

Wer die superlativlastige Wortkombination „die schönsten Wochen des Jahres“ in einer Suchmaschine im Netz eingibt, bekommt Hinweise, die belegen, dass die Phrase synonym und unwidersprochen für Urlaubsreise benutzt wird. Wer will da Einhalt gebieten, wenn es doch die schönste Zeit ist? Die Hinweise im Netz bestätigen aber auch den Warencharakter des Reisens.

Auf tourismusanalyse.de, wo der Reisemarkt 2019 unter die Lupe genommen wurde, steht: „Singles und Jungsenioren ließen sich die schönsten Wochen des Jahres etwas kosten.“

Der Deutschlandfunk informiert über Rechtsfragen im Urlaub: „Paragrafen für die schönsten Wochen des Jahres“.

Die Spardabank hilft bei der Finanzierung: „Genießen Sie die schönsten Wochen des Jahres mit SpardaCleverReisen“,

Der Stern wiederum fragte coronabedingt im März 2020: „Müssen die schönsten Wochen des Jahres in diesem Jahr ausfallen?“ Nein, wie man sieht.

Es sind nur Beispiele, sie lassen sich beliebig fortsetzen. Die Frage aber, woher man wissen will, dass es „die schönsten Wochen des Jahres“ sind, wird weder gestellt noch beantwortet. Darum geht es auch nicht, denn einzig der Konsum von Reisen ist das Muss. Dass das so hingenommen wird, daran zeigt sich die Manipulierbarkeit der Menschen. Bilder von blauem Himmel, blauen Bergen, blauem Wasser, uniformen Palmen und Sonnenschirmen sind die Ikonen der Moderne.

Urlaub ist also längst eine Ware?“, fragte die SZ schon vor zehn Jahren den Psychologen und Dozenten für Tourismuswissenschaft Jürgen Kagelmann. Und der antwortete: „Ja, denn er wird häufig gekauft wie eine Packung Müsli oder eine Dose Cola.“ Am Anfang der Coronakrise glaubte Kagelmann noch, dass das Virus das Reisen nachhaltig verändern werde, dass es weniger und teurer werde. Die aktuellen Bilder aus Mallorca oder vom Wolfgangsee sprechen dagegen. Urlaubsreisen sind so wichtig, dass in Kauf genommen wird, dass die Zahl der Infizierten – und damit die gesellschaftlichen Folgekosten – wieder steigen.

„Reiseglück“ ist ein weiteres Wort mit interessanter Genese. Vermutlich einst einfach Beschreibung, hört es sich beim Tourismusforscher Horst Opaschowski kürzlich im Merkur nach kausalem Zusammenhang an: „Reisen ist die populärste Form von Glück“.

In seiner Erklärung, warum Reisen notwendige Glückserfüllung sei, verweist er auf den Philosophen Blaise Pascal, der im 17. Jahrhundert lebte und gesagt haben soll, alles Unglück sei darauf zurückzuführen, dass die Leute nicht still in ihrem Zimmer sitzen können.

Mit dieser Pascal’schen Beobachtung die Notwendigkeit des Reisens zu begründen, ist bizarr. Weshalb sollen die Leute im Zimmer hocken, als wäre es eine Zelle? Sie sollen rausgehen, aber nicht aus idiotischem Konsumbedürfnis und wider jede gesellschaftliche Vernunft bis ans andere Ende der Welt.

Welterfahrung im Kleinen

Es gibt einen Weg, mit dem die Zwangsläufigkeit des Reisens durchbrochen werden kann: Man muss sich den Daheimbleibenden zuwenden. Sie suchen die Welterfahrung im Kleinen, sehen das Neue im Bekannten, finden, „Jedes Buch ist besser als Urlaub“, wie Sigrid Grajek, Schauspielerin, Comedian, Nichtreisende, mir auf Twitter schrieb.

Dableibende wie sie stellen die Anstrengung, die Reisen bedeutet, infrage. Denn auf der Suche nach Erfüllung vergeht Lebenszeit an Check-ins und Rezeptionen, in Hotelzimmern, an Schnellstraßen und Tankstellen, in Bahnhöfen und Transithallen. Die Dableibenden machen das nicht mit, und ich habe schon lange auch keine Lust mehr darauf. Gern allerdings gehe ich dahin, wo Freunde sind.

Der portugiesische Dichter Fernando Pessoa soll ein großer Daheimbleiber gewesen sein. Er hat darüber geschrieben, dass das Leben das sei, was wir daraus machen. „Die Reisen sind die Reisenden. Was wir sehen, ist nicht, was wir sehen, sondern was wir sind.“ Sein bekanntestes Buch heißt: „Das Buch der Unruhe“. Hier ein Zitat daraus:

„Reisen? Existieren ist reisen genug. Ich fahre von Tag zu Tag wie von Bahnhof zu Bahnhof im Zug meines Körpers oder meines Schicksals und blicke auf Straßen und Plätze, auf Gesichter und Gesten, immer gleich und immer verschieden, wie auch Landschaften es sind.

Was ich mir vorstelle, sehe ich. Was anders tue ich, wenn ich reise? Nur eine äußerst schwache Vorstellungskraft rechtfertigt einen Ortswechsel, um empfinden zu können.“

Niemals hätte ich das so schön sagen können. Aber jetzt sind mir doch noch zwei Erinnerungen gekommen: In Thailand bin ich im Linienbus den Mekong entlang an der Schulter eines mir unbekannten Menschen eingeschlafen.

Und im Londoner Vorortzug, es war in einem Winter vor über dreißig Jahren, habe ich mit eiskalten Händen, ohne hinzuschauen, nach einem Haltegriff über mir gegriffen. Meine Hände so steif, dass ich nicht merkte, dass ich das Handgelenk eines Menschen umfasste. Er hielt still. Es war etwas wie Liebe.

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Waltraud Schwab
taz-Redakteurin
Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art
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41 Kommentare

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  • Reisen ist tödlich...



    ... für Vorurteile !

  • GOTTFRIED BENN - Reisen

    Meinen Sie Zürich zum Beispiel



    sei eine tiefere Stadt,



    wo man Wunder und Weihen



    immer als Inhalt hat?



    Meinen Sie, aus Habana,



    weiß und hibiskusrot,



    bräche ein ewiges Manna



    für Ihre Wüstennot ?



    Bahnhofstraßen und Rueen,



    Boulevards, Lidos, Laan −



    selbst auf den Fifth Avenueen



    fällt Sie die Leere an −



    Ach, vergeblich das Fahren!



    Spät erst erfahren Sie sich:



    bleiben und Stille bewahren



    das sich umgrenzende Ich.

  • Das ich den Klimawandel als Fake sehe, lesen Sie aus meinem Beitrag?

  • "Die Frage aber, woher man wissen will, dass es „die schönsten Wochen des Jahres“ sind, wird weder gestellt noch beantwortet."

    Was ist daran so schwer? Man hat je nach Arbeitgeber 20-30 Tage Urlaub. Die müssen ja schöner sein, als die anderen 220 Tage Lohnarbeit. Wenn diese 220 Tage schön wären, müsste man ja nicht irgendwo hin um sie zu vergessen. ;)

  • Berlin, München, Hamburg oder die Nachbarstadt. Bleibt zuhause.

  • Wenn das Ihre Urlaubserinnerungen sind, tun Sie mir wirklich leid. Wenn Sie davon auf die Allgemeinheit schließen wollen, sind Sie auf dem Holzweg. Meine Reiseerinnerung sind überwiegend schön und positiv. Einige Dinge musste ich zwar als schmerzhafte Erfahrung verbuchen, aber warum soll man darüber lamentierten?



    Keine Punkte für diesen Artikel von mir.

  • So steil finde ich die These nicht.

    Man kann natürlich nicht alle Urlauber über einen Kamm scheren. Ich unterscheide mindestens diese Grundtypen:



    Leute, die im Urlaub nur in der Sonne rumliegen,



    Leute, die nur Sehenswürdigkeiten anschauen,



    Leute, die sich hauptsächlich besaufen und begatten,



    Leute, die den maximalen Kick suchen,



    Leute mit speziellem geografisch abhängigem Sport (Surfen, Tauchen, ...),



    Leute, die tatsächlich Natur und Landschaft erkunden (vorzugsweise fernab von Tourismuspfaden)



    Leute, die sich mit Einheimischen anfreunden,



    usw.



    Natürlich gibt's auch jede Mischung davon.

    Der größte Teil ist, denke ich, auf der Flucht vor dem Alltag. Also tendenziell die ersten vier Kategorien.

    Flucht macht oft wenig Sinn, wenn man wieder zurück muss. Geld und Energie könnte man bei manchem besser in einen angenehmeren Alltag investieren.

    Die Flucht ist oft auch das unerträgliche Selbst, weswegen der Urlaub oft aus möglichst viel Ablenkung oder Betäubung bestehen muss.

    In sagen wir den letzten 50 Jahren ist auffällig, dass die Ziele immer weiter weg sein müssen und immer exotischer. Gymnasiasten müssen heute anscheinend in Neuseeland oder Australien gewesen sein. Früher war Spanien schon ziemlich gut.

    Wer schon einmal tief mit sich selbst in die Natur eingetaucht ist und dabei die innere Ruhe erfahren hat, weiß wohl was der Standardurlauber gerade nicht will (und an vielen Orten auf der Welt durch seine Anwesenheit unmöglich macht).

  • ich möchte die erfahrungen meiner 17 weltumrundungen davon 2 echte weltreisen nicht missen.ma stelle sich vor ma müste alles glauben was journalisten schreiben.... ohne selbst vor ort gewesen zu sein....

  • nun wenn sich das auch die touris sagen die nach berlin fahren brauchen wir die bespassungsindustrie da auch nicht mehr....

  • Zum einen:

    Museen für zuhause: artsandculture.google.com/

    Zum anderen, zu den Reisen:

    Es gibt mindestens zwei Arten von Urlaub:



    - Auf einem Strandtuch verbrennen, ab und zu ins Wasser gehen, saufen und fressen, nicht aus dem Clubhotel herauskommen



    - Gegenden bereisen, Menschen treffen, interessante (alte) Dinge anschauen

    Diese Arten haben sicherlich einen qualitativen Unterschied.

  • Ich gestehe, ich gehöre auch zu denen, die ab und zu weg müssen. Dieses Jahr wollte ich zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren ins Ausland. Mit meiner Schwester für vier Tage nach Polen, um das Dorf zu sehen, in dem unser Papa geboren wurde (1929), um die Landschaft zu erleben, die für ihn Heimat war, nach der er sich Zeit seines Lebens sehnte, von der er fliehen musste. Er hat seine Heimat nie wiedergesehen und meine Schwester und ich wollten nun nach seinem Tod diese Reise antreten. Ging nicht wegen Corona. Aber ich hatte Fernweh! Und ich hatte nun diese eine Woche Urlaub! Da ergab es sich, dass ich eine Freundin auf Ihrer Lieblingsinsel an der Nordsee besuchen konnte. Ich hatte Sehnsucht nach Meer und es war zu einer Zeit, als die meisten Bundesländer noch keine Schulferien hatten, also dachte ich: Wer weiß, wie lange das Reisen noch erlaubt ist, wenn ich Meer will, dann JETZT! Gesagt getan, ich setze mich in meinen alten Opel und fahre los. Nach vier Minuten stehe ich auf der Stadtautobahn: Unfall, Vollsperrung. Es dauert über eine Stunde. Erste Gedanken, ob das nicht ein Zeichen ist, ob ich nicht lieber umkehren sollte. Gut, dass ich alleine fahre, mein Mann wäre schon ausgeflippt. Aber dann geht es weiter. Nicht lange, denn auf der A7 kurz hinter der Raststätte Göttingen (wo ich Gotte sei dank noch mal auf dem Klo war), macht mein Opel die unverkennbar letzten Geräusche seines langen Lebens. ADAC, Abschleppwagen, Ende in Bockenem. Und jetzt? Doch lieber nach Hause? Nur kurz kommt wieder der Gedanke, ob es nicht vernünftiger wäre, die Reise abzubrechen. Aber dann: Immer wieder die Sehnsucht nach Meer. "Ich will auf die Insel", sage ich zu mir und zu der freundlichen Dame von der Autovermietung. Mit ihrer Hilfe (und mit 600 Euro für den schnellen Mietwagen) gelingt es mir, 10 Minuten vor Abfahrt der letzten Fähre am Hafen zu sein. Ich hüpfe auf das Schiff und der Urlaub beginnt. Ja, ich gestehe, ich gehöre zu denen, die ab zu weg müssen.

  • Ja, erstaunlich emotionale Reaktionen. Genau wie bei denen, die glauben, dass man ihnen jeden Moment ihr Auto wegnehmen würde wenn man denn könnte. Meine Frau und ich sind auch Nichtreisende. Man kommt ja auch mit Fortbildungen, Verwandtenbesuchen und gelegentlichen Veranstaltungen einigermaßen viel rum. Als ich noch ein junger "Individualtourist" war die wichtigste Erkenntnis, dass ich überhaupt nicht dort hingehöre wo ich grade war, selbst dann nicht wenn ich versucht habe, mich irgendwie nützlich zu machen. Die "Tourismusindustrie" verachte etwa genau so wie die Finanzindustrie. Beide produzieren die absurdesten Fehlanreize.

  • Wenn ich von mir aus gehe, haben einige Reisen in fremde Kulturen mein Leben bereichert und verändert. Die erste Reise in einen anderen Kontinent zu einer Zeit, in der ich in einer tiefen Depression steckte, hat mich dermaßen überwältigt, dass sich die Depression für immer verabschiedet hat. Eine andere große Reise hat mich meine Stärke und Kompetenz spüren lassen. Auf einer Reise meinen Partner aus einem anderen Kontinent kennen und lieben gelernt. Aus einigen der Reisen sind Freundschaften geblieben. Fazit: Reisen kann zur Erweiterung des eigenen Blickwinkels beitragen oder aber ein reiner Konsum sein.

  • Interessant, wie die emotionalen Wogen hier hochschlagen.

    Es scheint doch eine Menge Menschen geben, die der Ideologie "Reisen macht zu einem besseren/interessanteren/lebenserfahreren Menschen" anhängen.

    Tatsächlich sind unter den Vielreisern in meiner Bekanntschaft die eher unreflektierten Zeitgenossen in der Mehrzahl.

    Und nicht zu vergessen: Der Mehrheit der Menschheit ist gegenwärtig diese scheinbare Selbstverbesserung verwehrt, historisch war es das fast allen. Was sagt das über diese aus?

  • Hier wird das typische Sankt-Florian-Prinzip wieder sehr klar. Man ist für alles was die Umwelt schützt, CO2 vermindert, usw..., AUSSER es werden Dinge verlangt, die einen selber betreffen. Ohne gravierende Einschnitte wird es keinen Wandel geben, und da steht das Statussymbol Urlaub zu recht in der Kritik. Aber es ist halt leichter andere zu kritisieren, als sich selber an die Nase zufassen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Reisen bedeutet herauszufinden, dass alle Unrecht haben mit dem, was sie über andere Länder denken.

    Reisen bedeutet auch die Chance wahrzunehmen, von außen auf die Verhältnisse zu schauen, in denen man/frau hauptsächlich lebt -- um neu zu bewerten und um Impulse und Denk - und Lebensweisen aus anderen Lebenswelten wahr- und aufzunehmen.

    Andere Kulturen, Sprachen und Lebensverhältnisse haben mich schon immer begeistert solange ich denken kann - ich nehme Kontakt auf mit Lebenswelten die mir fremd sein sollten und in denen ich mich wiederspiegele - also bin ich.

    Das in Corona Zeiten die ausgetretenen Pfade des Reisens nicht mehr möglich sind und auch nicht mehr möglich sein sollten versteht sich von selbst.

  • Jacqui Kenny leidet an Agoraphobie , kommt also praktisch nicht aus dem Haus und reist deswegen per GoogleStreetview:

    www.bbc.com/news/a...-google-streetview

    Eine Art des Reisens, die nicht so schnell ausgebremst werden kann.

    Und: Dabei entstehen eigentümlich eindringliche Fotos, die viele gestylte Urlaubsbilder locker in den Schatten stellen:

    www.instagram.com/...w.portraits/?hl=de

  • Genau, lasst uns der bequemen Illusion hingeben, vom Sofa aus weltläufig sein zu können, mit vermeintlich umfassenden Infos aus dem Internet alles und jeden abschließend beurteilen zu können. Persönliche Begegnung und Konfrontation mit dem/der Anderen? Überflüssig, dank Technik. Lasst uns die schöne spießbürgerliche Zeit ohne Reisen zurückholen, die Goethe in Faust I so wunderbar scharfsichtig beschrieb:



    "Andrer Bürger:



    Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen



    Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,



    Wenn hinten, weit, in der Türkei,



    Die Völker aufeinander schlagen.



    Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus



    Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;



    Dann kehrt man abends froh nach Haus,



    Und segnet Fried und Friedenszeiten.

    Dritter Bürger:



    Herr Nachbar, ja! so laß ich's auch geschehn:



    Sie mögen sich die Köpfe spalten,



    Mag alles durcheinander gehn;



    Doch nur zu Hause bleib's beim alten."

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Welchen Einfluss haben Urlaubsreisen auf den Klimawandel?

  • Was für ein schräger Artikel. Wann ist dem Autor eigentlich seine Neugier abhanden gekommen?

    Das Zitat von Pessoa unterstreicht, dass man sich besser eine Meinungäußerung verkneift, wenn man keine Ahnung hat. Er reiste in seiner Fantasie mit Hilfe seiner Heteronymen, das war's.

    Und wenn beim Autor alles, was vom Reisen bleibt, Smalltalkanekdoten sind, kann es mit dem Reisen ja nicht weit her gewesen sein. Mir blieb und bleibt von meinen Reisen neben Smalltalkanekdoten die Erinnerungen, Erfahrungen und Lehren, die ich aus der ganzen Welt mitgebracht habe und auch weiter mitbringen werde.

  • Tja, der eine mag das, der andere jenes. Es wird ja niemand gezwungen zu verreisen. Ich für meinen Teil verreise gern und die Erinnerungen an unsere früheren Reisen mit der ganzen Familie im Auto über die Alpen zum Zelturlaub nach Rimini sind mit die schönsten Erinnerungen meines Lebens.

  • Journalistinnen, die in geräumigen Wohnungen wohnen, eventuell mit schönem Garten verspüren sicher nicht im gleichen Umfang das Bedürfnis nach Urlaub, wie die Arbeiterfamilie in einer beengten Wohnung. Zumindest sollten sie aber nicht arrogant auf Menschen herabsehen, die derartige Bedürfnisse haben, besondere nicht, wenn sie selber, wie die Autorin schon etliche Reisen in weit entlegene Gegenden dieser Welt hinter dich haben. Verzicht zu predigen ist etwas für Menschen, die im Überfluss leben.

  • Das haben doch Erich Honecker & Co. auch immer gesagt und dem gleich mal einen Riegel vorgeschoben...

  • Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.



    Blaise Pascal, 1623-1662

  • Wenn ich daheim bleibe kann ich auch gleich arbeiten gehen, denn dann hat ohnehin keiner Skrupel bei mir anzurufen.

  • J.J. Cale soll gerne Dokus über andere Länder und Weltgegenden gesehen haben. Sein Argument: Dann muss ich da schon nicht hin. (Deshalb saß er wohl auch lieber daheim im Tonstudio oder auf der Veranda, statt auf Tour zu gehen.) Hat mir sofort eingeleuchtet, auch das implizite Sich-rechtfertigen-Müssen, dass man Reisen nicht mag und auch keinen Drang verspürt, da raus zu müssen. Und ich stelle mehr und mehr fest, es gibt da draußen (oder besser: nebenan) viele andere Menschen gibt, denen das Reisen, das Fremde, Neue, Exotische ebenfalls nichts bringt. Oder die wie ich nicht verstehen können, wie man/frau noch auf andere Kontinente fliegen kann angesichts der Klimakatastrophe. Danke jedenfalls für den Beitrag und die Referenzen. Und als P.S. Ich arbeite in einem Kulturberuf, mich interessieren andere Menschen, ihre Ansichten und Befindlichkeiten. Dazu muss ich aber nicht nach Peru, Australien, in die Mongolei oder USA fliegen. Und schon gar nicht zur Zerstreuung.

    • @Kreisler:

      "wie man/frau noch auf andere Kontinente fliegen kann angesichts der Klimakatastrophe", kann ich Ihnen sagen. Manchmal ist es besser, sich von der Welt selbst ein Bild zu machen, als auf die Macht der Fernsehbilder zu vertrauen. Sie unterscheiden sich tatsächlich erheblich.

      • @Berliner Berlin:

        Meint: Den Klimawandel gibt es nicht, alles Fake? Und Klimawandel erforschen Meteorologen und Klimatologen mithilfe von Fernsehbildern? Wenn mir irgend jemand erzählt, er/sei "da" gewesen und wüsste es besser, beeindruckt mich das null.

  • Urlaub wird ja oft als Flucht vor dem Alltag verstanden. Was sagt uns das über den Alltag, die Verhältnisse in der wir leben und bis zu einem Grad ertragen müssen?



    Dann noch ein Gedanke zu Flugreisen im Winter in den Süden, um hiesiger Kälte auszuweichen. Abgesehen davon, dass es ökologisch unvernünftig ist, ist es auch psychisch-physisch bescheuert. Innerhalb kurzer Zeit müssen sie sich von wesentlich wärmeren Temperaturen auf die hiesige Kälte einstellen. Und beklagen sich noch mehr darüber, dass es hier ja so kalt wäre ...

    • @Uranus:

      Lieber Uranus



      "Was sagt uns das über den Alltag, die Verhältnisse in der wir leben und bis zu einem Grad ertragen müssen?"



      Uns geht es im Vergleich zu 99 % der Weltbevölkerung ehr gut: kein Krieg, keiner muss hungern. Ich finde, Reisen als " Flucht vor dem Alltag" zu bezeichnen, ist zynisch ( zumal dies, die vor dem Alltag hierzulande flüchten müssten, sich Reisen eh nicht leisten könnten) .



      Mit ihrem zweiten Absatz bin ich einverstanden.

      • @Emmo:

        Mh, auf jeden Fall gibt es schlimmere Lebensverhältnisse. Der Begriff mag angesichts der Geflüchteten und Fluchtursachen schwierig sein. Da gebe ich Ihnen recht. Ich meinte es eher im Sinne von Eskapismus, als Reaktion auf Stress, Monotonie, Arbeitsverdichtung, Strukturen und Zwängen, denen viele Menschen ausgesetzt sind usw.. Es muss ja nicht erst entlang der Verledungstheorie das übelste Elend eintreten, ehe mensch beginnt sich zu wehren beginnt ...

    • @Uranus:

      Wer ab und zu in die Sauna geht, verkraftet solche Temperaturunterschiede ohne Probleme. Der Mangel an Licht und Sonne im Winter kann auch zu Depressionen und zu einem Mangel an Vitamin D3 führen. Es sprechen also durchaus gute Gründe dafür durch Reisen in den Süden den Sommer zu verlängern.

      • @vulkansturm:

        Sicherlich verkraftet der Körper das. Die Reaktionen, die ich beschrieb, stammen allerdings tatsächlich von solchen Urlauber*innen. Ich kann die Reaktion ja sogar nachvollziehen, allerdings nicht die Flugreisen. Vitamin D3-Mangel ist ein generelles Phänomen im Norden während des Winters. Aber deswegen ist doch noch lange nicht legitim, dass dann hunderte Millionen von Menschen des globalen Nordens Flugreisen in den Süden machen. Flugreisen bedeuten viele CO2-Emissionen und sollten meines Erachtens angesichts der drohenden Klimakatastrophe vermieden werden. Für Urlaubsflüge in den warmen Süden gibt es keinen Grund, der die negativen Einflüsse auf das Klima überwiegt. Es gibt eine einfache, ökologische Lösung gegen Vitamin D3 Mangel, wenn der Bedarf sich nicht über die Ernährung decken lässt: Supplementierung. Mangel haben übrigens nicht nur Veganer*innen sondern auch Omnivore und Vegetarier*innen. Dazu sei gesagt, dass es auch vegane Vitamin D3-Supplemente gibt.

        • @Uranus:

          * noch lange nicht legitim U N D ökologisch U M S E T Z B A R ...

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    "... dass ich das Handgelenk eines Menschen umfasste. Er hielt still. Es war etwas wie Liebe."



    Das ist wirklich eine nette Erinnerung.

  • Urlaub wird unterbewertet. Leider scheint die Autorin eine Menge schlechte Urlaube gehabt zu haben.



    Ich war in 57 Ländern dieser Erde unterwegs und kann hunderte von interessante Erinnerungen hervorholen ohne auch nur eins meiner Fotos ansehen zu müssen:



    Der indische Reiseleiter mit den drei Weckern (1996).



    Der Falafel-King am Ende der Portobello Road in London (1999).



    Der Zigarrenroller im Vinales-Tal in Kuba (2019).



    Der Jesus-Darsteller namens Jacob in Jerusalem.



    Das sich Menschen von A nach B bewegen ist Teil unserer DNA.



    Dass sie das auch zum Spaß tun ist eine neuzeitliche Erfindung.



    Insofern ist die These so steil, dass sie nicht nur abstürzt sondern auch schlicht falsch ist.



    Insbesondere angesichts der Tatsache, dass hier in Deutschland gar nicht genug Urlaubsplatz ist um die 40 Millionen Deutsche die jedes Jahr bisher ins Ausland gefahren sind aufzunehmen.



    Die neuesten Nachrichten von diversen Ostsee-Stränden beweisen das.



    Selbst im gleichen Ort zu bleiben nützt nichts weil die vorhandenen Freizeiteinrichtungen (sofern vorhanden) in Coronazeiten die Massen gar nicht fassen können.

  • ... wenn die Autorin tatsächlich von ihren Reisen nicht mehr mitgenommen hat, als Brücken in Bangkok, ausgelaufenes Nußöl in Athen und Cornflakes-Regale in London, ist es für sie, allein schon klimatechnisch gesehen, besser zuhause zu bleiben. Gerade in Zeiten von Corona ist es wichtig zu reisen um Vergleiche ziehen und sich die ganze Absurdität der derzeitigen Massenhysterie vor Augen zu führen. "Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben." Alexander von Humboldt

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich war das letzte mal im September 1996 auf einer Urlaubsreise. Eine Woche Dublin/Cork. Ich brauch das nicht.

  • Wie die Autorin habe ich auch viele Städte bereist und für eine Weile in London gelebt.

    Meine Empfehlung lautet daher Cluburlaub AI möglichst in der Karibik oder hilfsweise in der Türkei möglichst mindestens zwei mal im Jahr. Das hilft gegen vieles.

  • So kann man natürlich auch reisen.

    "Kommt der Bauer in die Stadt, sagt ihm alles: verschlossen" Adorno.

    Ich würde gern reisen. Das geht nur leider nicht. Ich pflege meine Mutter und bin auf die sogenannte Verhinderungspflege angewiesen, also die temporäre Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung. Die pflegen zwar immer noch, nehmen aber Corona-bedingt niemanden auch nur für fünf Minuten auf.

    Also zehre ich von meinen Reiseerinnerungen, die allerdings bei mir nicht so scheiße ausfallen wie bei der Autorin.

  • Ein Irrtum? Mag sein. Vor allem aber eine kollektive Lüge! Wir haben gerade eine Situation, in der die schöne allgemeine Lüge, dass Urlaub glücklich macht, schwer gefährdet ist. Natürlich ist Urlaub eine nette Sache, aber nicht notwendigerweise mehr. Für das Campen oder das zu Hause bleiben gilt natürlich dasselbe, trotzdem wird es jetzt gerade auf breiter Front gehypt. Der allgemeine Irrtum ist, dass es ein Rezept zum Glücklichsein geben muss, gibt es aber nicht, es passiert höchstens mal. Die allgemeine Lüge hingegen ist, dass sich vorherige Schuften ja irgendwie lohnen muss und dafür ist der Urlaub die allgemeine Chiffre.