Debatte Politische Gewalt: Nicht erpressen lassen
In der Gewaltdebatte vertauscht die Rechte bewusst Täter und Opfer. Sich darauf einzulassen, ist ebenso unwirksam wie gefährlich.
J eden Tag gibt es Meldungen über die Bedrohung durch rechte Gewalt: gewalttätige Übergriffe, rassistische Mobs, rechtsextreme Netzwerke in Polizei und Militär, Attacken auf gegen rechts engagierte Menschen, Rechtsterrorismus. 2017 wurde im Schnitt fast täglich eine rechts motivierte Straftat gegen ein Geflüchtetenheim in der offiziellen Statistik registriert. Dennoch versucht die Rechte die Debatte so auf den Kopf zu stellen, als sei linke Gewalt das wahre Problem.
Auch einige Kommentierende in der Linken verurteilen kategorisch antifaschistische Gewalt und ihre Rechtfertigung. So hat der Angriff auf einen AfD-Politiker eine Skandalisierung nach sich gezogen, die man bei vergleichbaren und schlimmeren Übergriffen auf nicht rechte Personen vergeblich sucht. Und das, obwohl über den Hintergrund der Tat gar nichts bekannt ist, das extreme Übertreiben und Ausschlachten der Tat durch die AfD jedoch schnell aufgedeckt wurde.
„Keine Gewalt – niemals“ und der Verweis auf den Rechtsstaat sind vielleicht ethisch und taktisch korrekte, aber keine ausreichenden Antworten auf rechte Gewalt. Denn allein vermögen sie weder vor ihr zu schützen noch den starken Rechtsruck einzudämmen. Statt sich ohne Not von militanteren antifaschistischen Positionen zu distanzieren, sollten linke Debatten sich für wirksame gewaltfreie Strategien gegen rechte Gewalt einsetzen.
Ein erster Schritt wäre, sich gegen die erpresserische Opferrhetorik der Rechten zu immunisieren und sich ihr wo immer möglich in den Weg zu stellen, ihr den Raum zu entziehen. Rechte und linke Gewalt in einen Topf zu werfen ist dagegen nicht sinnvoll. Auch deshalb, weil rechte Gewalt meist mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, also nach unten tritt.
Trotz der vorgeschobenen „Die da oben“-Rhetorik dockt rechte Politik an die existierenden Gewaltverhältnisse an und verschärft sie noch: Die Benachteiligung von Armen, Frauen, Alleinerziehenden, Migrierten, Nichtweißen, LGBTQI und anderen benachteiligten Gruppen hat bereits Mehrheiten hinter sich, auch wenn formal Gleichheit herrschen mag. Strukturelle Gewalt wird nicht unbedingt als solche verstanden. So wird Armut oft als selbst verschuldet oder Schmarotzertum dargestellt.
Aktive Gewaltausübung für die Herrschenden
Die hierarchischen Strukturen, in die Gewalt eingebettet, ermöglichen und legitimieren sie erst. Aber wo fängt sie an? Bei der neokolonialen Ausbeutung, die Menschen ihre Lebensgrundlage entzieht und zur Flucht nötigt? Beim Festsetzen von Rettungsbooten? Menschen in große Gefahr abschieben? Wenn das Geflüchtetenheim brennt? Die ideologische Grundlage all dieser Beispiele ist, dass manche Menschenleben nicht so viel wert sind wie andere.
Für manche sind sie eine abstrakte, für viele bereits eine reale Bedrohung. Sie sind Nachbarn, Familienmitglieder, Politiker*innen: Leute, die sich menschenfeindlich äußern, oder die schon über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügen.
Soll man mit Rechten reden, muss man es überhaupt? Wie wehrt man sich, mit welchen Mitteln? Wie kann man der Gruppe ausweichen, wie sich dem Menschen annähern? Und wie schützt man sich, wenn die rechte Bedrohung allgegenwärtig ist?
In dieser Serie gehen wir auf die Suche nach Menschen, die über diese Fragen nachdenken, oder sie schon ganz konkret für sich beantworten mussten.
Bisherige Texte der Reihe:
Wer alltäglich in rassistische Polizeikontrollen gerät, zwangsgeräumt wurde oder schon mal auf der falschen Demo war, weiß, dass der Staat die aktive Gewaltausübung für die Herrschenden und Besitzenden übernimmt. Gewalt anzuzeigen kann die Sache unter Umständen verschlimmern. Behörden sind teilweise in rechte Gewalt verstrickt oder schauen weg: NSU 2.0, Hannibal, Chemnitz, die Anschlagserie in Berlin-Neukölln, die enttäuschende NSU-Aufklärung.
Die Rechte muss also ungleiche Machtverhältnisse nicht neu etablieren, sondern kann an bereits bestehende anknüpfen. Die AfD macht offensive Politik gegen Marginalisierte und ist offen mit Rechtsextremen verbunden. Sie verfolgt bekanntermaßen ein rassistisches, nationalistisches, homophobes und antifeministisches Programm und nutzt die Mechanismen und Prinzipien des demokratischen Systems, um gegen dessen Werte zu arbeiten.
Die Rechte bezieht sich nur taktisch auf demokratische Werte und emanzipatorische Kämpfe – man schlägt ihr kein Schnippchen, indem man sich an dieser Stelle vermeintlich vorbildlich verhält, im Gegenteil. Beispiel Meinungsfreiheit: Selbst nicht ansatzweise an einer informierten und respektvollen Debatte interessiert, inszeniert sie sich als Opfer von vermeintlicher Zensur und bekommt so überdimensional viel Redezeit und Raum für Hetze zugestanden. Oder sie benutzt pseudofeministische Rhetorik, um gegen Geflüchtete zu agitieren, prangert Antisemitismus bei Muslimen an, während sie selbst den Holocaust herunterspielt.
Keine gewaltfreie Alternative formuliert
Eine ähnliche Verdrehung erreicht die Rechte nun in der Gewaltdebatte und inszeniert sich als Opfer linker Gewalt. Auch dieses Spielchen sollte man nicht mitmachen. Eine klare Distanzierung mag zwar sinnvoll wirken, doch lässt man so auch von Gewalt betroffene Menschen ohne wirksame Gegenstrategie allein. Der Hinweis, dass Notwehr doch ohnehin legitim sei, ist in der Realität wenig hilfreich – wer kann sich schon gegen eine Gruppe bewaffneter Neonazis verteidigen?
Auf Hilfe durch den Rechtsstaat zu verweisen ist ebenso korrekt wie zynisch: Nicht nur in Bezug auf rechte Gewalt ist der Rechtsstaat häufig ineffektiv. Rechtsstaatliche Verfolgung als alleinige Antwort auf rechte Gewalt zu formulieren ist die Perspektive einer privilegierten Blase, in der die Alltäglichkeit der Bedrohung durch rechte Gewalt weit weg ist und auch die Fülle an Informationen über sie nicht ernst genommen wird.
Es ist frustrierend und gefährlich, wenn der Rechten diskursiv in die Hände gespielt und gleichzeitig keine gewaltfreie Alternative für effektiven Schutz vor rechter Gewalt formuliert wird. Denn mit einer Absage an die – kaum relevant vorhandene – antifaschistische Gegengewalt kommt man diesem Ziel nicht näher. Statt sich auf das rechte Framing einzulassen, sollte die Energie in die Überlegung wirksamer Maßnahmen gesteckt werden, die weit vor dem Einsatz von körperlicher Gewalt ansetzen – an den Strukturen gesellschaftlicher Ungleichheit, aus denen heraus sie entstehen.
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