Debatte Grundeinkommen: Umdenken lohnt sich

Ein Grundeinkommen würde Prekäre entlasten, Unternehmen könnten Kosten abbauen. Doch vor allem die Demokratie braucht die Umverteilung.

Menschen laufen vor einem Transparent mit der Aufschrift „Gegen den Zwang zur Lohnarbeit“

Am Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen demonstrieren in Berlin Menschen für ein Grundeinkommen Foto: imago/Christian Mang

Die Debatte über ein Grundeinkommen hat in den letzten Wochen die Politik erfasst. Robert Habeck machte einen Aufschlag, Andrea Nahles zog nach. Bereits letztes Jahr hatten Multiplikatoren wie Richard David Precht und Ranga Yogeshwar das Thema salonfähig gemacht. Und auch im Vertrag der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein ist das Wort „Grundeinkommen“ zu lesen, und beim Debattencamp der SPD in Berlin Anfang November wurde das Thema heiß diskutiert. Es geht dabei um eine Neuaufstellung der sozialen Sicherungssysteme im heraufdämmernden Zeitalter der Digitalisierung.

Also: Wovor haben diejenigen Angst, die ein Grundeinkommen ablehnen? Doch nicht etwa vor der gewonnenen Freiheit des einzelnen Menschen oder vor der neu gewonnenen Innovativkraft von Unternehmen?

Zwei Grundfragen aber stellen sich. Erstens: Ist das Grundeinkommen, ob bedingungslos oder nicht, eine Antwort auf die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die digitale Herausforderung? Und zweitens: Ist ein Grundeinkommen ein Mittel, in der sich zerspaltenden Gesellschaft eine neue Solidarität herzustellen?

Immer mehr Menschen, auch in der Politik, begreifen, dass die Zeit, in der man sich für einzelne Gruppen engagiert beziehungsweise einzelne gesellschaftliche Organisationen sich für Teile der Gesellschaft engagieren, weitgehend zu Ende ist. Sie rufen unüberhörbar nach einem solidarischen, gesamtgesellschaftlichen Sozial- und Steuerkonzept.

Verstecken des Prekariats

Wir brauchen also den gesamtgesellschaftlichen Ansatz eines tragfähigen Konzepts. So weit ist die Politik allerdings noch nicht, auch nicht der am weitesten vorpreschende Vorschlag von Robert Habeck. Wir stehen erst am Anfang der Diskussion, das Ganze wird ein Lernprozess, an dem auch die Bevölkerung beteiligt werden sollte.

Alte politische Ansätze, mit Schlagwörtern wie „Arbeitsplätze schaffen“ oder „eine Reichensteuer einführen“, zerplatzen an der gesellschaftlichen Realität. Erinnern wir uns: „Hartz IV“ wurde eingeführt, weil Gerhard Schröder erkannt hatte, dass Unternehmen in Massen aus Deutschland auswanderten oder pleitegingen, weil die Kosten für Arbeit im internationalen Vergleich zu hoch waren. Statt das Problem steuerlich zu lösen, indem man die Kosten für Arbeit senkte, wurde das Problem den prekär Beschäftigten in die Schuhe geschoben. Durch das Verstecken des Prekariats in der Statistik wurden die Arbeitslosenzahlen geschönt. Das ist bis heute so.

Ein Gedanke steht der Chance im Weg: die Überzeugung, Menschen müssten einer Erwerbstätigkeit nachgehen

Eine Debatte darüber gab es immer nur am Rande; wer das Problem thematisierte, wurde von den einen in die linke, von den anderen in die konservative Ecke gestellt, je nachdem, ob man Hartz IV oder die zu hohen Steuern und Abgaben für Unternehmen kritisierte. Das hat sich gerächt: Es entstand ein gesellschaftliches Klima, das politische Kräfte an die Oberfläche gespült hat, die noch vor wenigen Jahren niemand wollte. Dieses Klima spiegelte sich auch in einer Neiddebatte, die bis an die Grenze des Absurden ging.

Arfst Wagner ist 1954 in Wyk auf Föhr geboren. Heute lebt er in Tetenhusen und arbeitet als Schrift­steller und Verleger, außerdem hält er Vorträge. Er saß 2012/13 für die Grünen im Bundestag und war von 2015 bis 2017 deren Lan­des­vorsitzender in Schleswig-Holstein.

Die Debatte greift daher zu kurz. Es wird in den nächsten Jahren gravierende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geben, die global gedacht werden müssen, wenn der Weltfrieden nicht gefährdet werden soll. Trotzdem möchte man zum einen „Menschen in Arbeit bringen“, ignoriert zugleich aber, dass es seit Jahrzehnten eine Rationalisierung gibt, die Arbeitsprozesse schlanker macht. Mit Erfolg, denn die Wirtschaft soll primär gar keine Arbeitsplätze schaffen, sondern möglichst kostengünstig mit guter Qualität produzieren. Zu den um sich greifenden Rationalisierungsmaßnahmen kommt jetzt die Digitalisierung, die das Problem erheblich verschärft. Aber ist es wirklich ein Problem? Oder eher eine Chance?

Etwas anderes als Geld

Es ist eine Chance, denn sie ermöglicht es Unternehmen, Kosten abzubauen und günstiger zu produzieren. Nur ein einziger Gedanke steht dieser Chance im Weg: die Überzeugung, Menschen müssten um jeden Preis einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Zu vielen ist der Gedanke, Arbeit und Einkommen voneinander zu trennen, immer noch völlig fremd. Vielleicht haben jene, die „in Arbeit bringen“ wollen, ganz einfach Furcht vor dem Verlust ihrer Macht über die Menschen.

Dabei hindert die partielle Trennung von Einkommen und Arbeit niemanden an der Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze. Sie bedroht auch nicht eine gute und angemessene Bezahlung. Nach ernst zu nehmenden Statistiken werden bereits heute 60 Prozent der in Deutschland geleisteten Arbeit nicht entlohnt. Erziehungsarbeit, Ehrenamt, bürgerliches und politisches Engagement. Und auch nur gut 40 Prozent der Bevölkerung erhalten ihr Einkommen aus der Erwerbsarbeit. Menschen arbeiten eben zu einem großen Teil auch für etwas anderes als für Geld. Zwar haben in den letzten Jahren mehr Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, die Lohnsumme ist jedoch insgesamt gesunken.

Wann also hat das Grundeinkommen das Potenzial für ein mehrheitsfähiges Sozialmodell? Wenn es verknüpft wird mit einer gravierenden Steuer- und Abgabenentlastung des ­Mittelstandes. Wir müssen vollkommen weg von der Steuerbelastung von Arbeit, hin zu einer Steuer- und Abgaben­belastung von Produkten und besonders auch des Kapitals.

Schon mit einer niedrigen Finanztransaktionssteuer könnte man weit mehr als die Differenz zwischen den Kosten des bisherigen Sozialstaats und denen eines Grundeinkommens finanzieren. Unternehmen würden dadurch entlastet, dass ihre Kosten durch Produkt- und Umsatzsteuern an das Ende des Produktionsprozesses verlagert würden, sie müssten Steuern und Abgaben erst dann zahlen, wenn das Geld ist der Kasse ist.

Wir brauchen also nicht nur ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir brauchen dazu ein Steuersystem, das umverteilt, die Bürokratie entschlackt und die Kosten für Arbeit senkt. Wir brauchen es für die Demokratie in Deutschland.

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