piwik no script img

„Arbeitsquarantäne“ auf SpargelhofWie Vieh gehalten

Auf einem Spargelhof werden Ern­te­hel­fe­r:in­nen nach einem Corona-Ausbruch in ihren Unterkünften eingesperrt. Nur zum Arbeiten dürfen sie raus.

Für Erntehelfer aus Osteuropa, hier in Schleswig-Holstein, gelten besonders strenge Regeln Foto: Christian Charisius/dpa

D iese Pandemie hat viele Hoffnungen auf eine bessere Welt zerstört. Gut nachvollziehen ließ sich das mal wieder diese Woche, es ging um die Spargelernte. Auf einem Hof im Ort Kirchdorf im Nordwesten Niedersachsens kam es zu einem großen, in dieser Erntesaison ersten Corona-Ausbruch. Am Mittwoch zählte der Landkreis 120 Infizierte, die für den Spargel- und Beerenbetrieb Thiermann arbeiten. 1.011 Menschen seien insgesamt untersucht worden, berichtete die taz.

Die positiv Getesteten sollen sich demnach in Quarantäne befinden. Für die negativ Getesteten gilt hingegen: Arbeitsquarantäne. Diese ganz besondere Form der Quarantäne hat sich bereits im vergangenen Jahr, als es zum Corona-Ausbruch in einem Schlachthof des Tönnies-Konzerns kam, durchgesetzt.

Sie sieht für Sai­son­ar­bei­te­r:in­nen aus Osteuropa vor, dass sie ihre Sammelunterkünfte nur noch verlassen dürfen, um zu schuften. Schlafen, Essen, Arbeit. Essen ist dabei kein unwichtiger Punkt. Denn dieses muss von den Hofbetreibern gestellt werden, nicht selten zu hohen Preisen. Ern­te­ar­bei­te­r:in­nen treibt man so mehr und mehr in die Abhängigkeit.

Es ist ein bisschen so, als würde man Vieh halten: Ab auf die Weide und dann zurück in den Stall. Wer aus der Reihe tanzt, sich von der Gruppe löst, wird bestraft. In die Realität übertragen bedeutet das, dass ein Lebensmittelhändler aus dem Ort Asendorf am Montag die Polizei verständigte, weil er Beschäftigte, die sich in Arbeitsquarantäne befanden, in seinem Laden entdeckte. Die Polizei rückte an, es wurden Platzverweise erteilt und die Ar­bei­te­r:in­nen wieder zurück in ihre Unterkünfte gebracht.

Ar­bei­te­r:in­nen als Sündenböcke

Statt Betriebe umzurüsten, für Unterkünfte zu sorgen, in denen Hygienemaßnahmen eingehalten werden können, strengere Kontrollen durchzuführen und Ar­bei­te­r:in­nen durch eine Sozialversicherung abzusichern, werden Sonderregeln umgesetzt.Die Arbeitsquarantäne steht somit stellvertretend für die wirtschaftlichen Interessen eines Großbetriebs. Verwunderlich ist das natürlich nicht. Missstände zu verschleiern gehört quasi zum Geschäftsmodell. Und die Politik trägt das mit.

Als ob Ausbeutung nicht reichen würde, werden Ar­bei­te­r:in­nen auch noch zu Sündenböcken gemacht. Sie sind es nämlich, die nun für die hohe Inzidenz im Landkreis und die dadurch verursachten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen verantwortlich sein sollen – niemals aber die Betriebe.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

29 Kommentare

 / 
  • Mal blöd nachgefragt, Frau Zigher, Wer musste mit Corona oder unmittelbaren Coronakontakten nicht in Quarantäne?

    Wo wurden Infizierte wissentlich auf die Bevölkerung losgelassen?

    Ich halte es für unverantwortlich wie in diesem Artikel gegen Quarantänemaßnahmen zu polemisieren und diese mit Viehhaltung gleich zu setzen. Das weckt Assoziationen mit denn Vergleichen der Covidioten.

    • @Rudolf Fissner:

      Da sind die negativen in Arbeitsquarantäne. Die sind gesund.

      Die positiven sind woanders untergebracht.

  • wie wäre es mit diesem Beispiel eines Kleinbetriebs

    www.werros-biohof.ch/

    von denen es auch viele in unserem Land gibt aber, nicht durch Skandale auffallen.



    In jedem Fall besser als diese Großbetriebe die in alter deutscher Arbeitslagertradition wirtschaften. Auch ein Direkteinkauf ab Hof ist besser als bei EDEKA die Stangen zu besorgen. Obwohl EDEKA (Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin) über weitreichende Erfahrung mit wirtschaftlicher Unterdrückung seiner Produzenten in den deutschen Kolonien verfügt.



    Tipp für Hrn. Heil und die SPD: Damit der gesetzliche Mindestlohn die Ware nicht verteuert, wird eben für die Unterkunft und das Essen eine "kleine" Abgabe erhoben. Die Steigerung liegt darin, für das "Selbststechen" Eintritt zu verlangen.



    Kreativ sind sie ja, Julias "Freunde".



    Bald gibt es zum Wahlkrampf ein Spargel_Werbe-Video mit Julia, oder?

  • In der neuen "Konkret" gibt es einen Artikel mit Hintergrundinformationen zum Thema:

    www.konkret-magazin.de/

  • "Sicherheitsdienst soll für Einhaltung der Corona-Auflagen sorgen (...)



    Bereits zu Beginn der Saison, als die Erntehelfer angereist sind, mussten sie laut Meyer zunächst 14 Tage in Arbeitsquarantäne. Auch damals setzte der landwirtschaftliche Betrieb bereits einen Sicherheitsdienst ein - allerdings nur abends. Nach dem Vorfall in Asendorf wurde dieser Einsatz nun ausgeweitet. „Die Unterkünfte werden in enger Absprache mit dem Betrieb überwacht“, heißt es auch seitens des Landkreises Diepholz. Darüber hinaus würden auch regelmäßig Kontrollen durch die Ordnungsbehörden und die Polizei erfolgen. (...) (weser-kurier.de, 06.05.21)



    www.weser-kurier.d..._arid,1973946.html



    Da werde bei mir so gleich Erinnerungen an Amazon in Bad Hersfeld wach.



    "(...) Amazon zieht erste Konsequenzen aus der Berichterstattung über die schlechte Behandlung von Leiharbeitern in seinen deutschen Logistikzentren: Das Online-Warenhaus beendet seine Zusammenarbeit mit einer umstrittenen Sicherheitsfirma. (...) ...die Unterkünfte von ausländischen Leiharbeitern von Amazon im hessischen Bad Hersfeld überwachten - und sowohl das Filmteam als auch die Ausländer schikanierten. (...) (sueddeusche.de, 18.02.13)



    www.sueddeutsche.d...tsdienst-1.1602949

  • Es ist doch nicht nur der Spargel, den wir gerne preiswert konsumieren. Wer sich hier empört, sollte überlegen, welchen Lebensstandard (welchen Luxus) er sich eigentlich mit seinen eigenen Händen erarbeitet. Aber da wird es ganz still, da ist Hartz-IV sofort viel zu wenig …

  • Willkommen im 21. Jahrhundert, wo Sklaverei langsam wieder salonfähig wird.

    "Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt." sagte Gerhard Schröder (SPD) 2005 in Davos.

    Wir haben ca. 10 Millionen Bürger in Deutschland, die für weniger als 12 Euro die Stunde arbeiten gehen müssen. Viele Milliarden Euro werden deshalb jährlich aus Steuermitteln aufgewendet, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. Die Gesellschaft subventioniert also schon seit vielen Jahren Arbeitgeber, die ihren Angestellten nur Niedriglöhne zahlen. Wir haben des Weiteren 5,6 Millionen Hartz IV Empfänger, die am Tag gerade einmal 5 Euro für Lebensmittel zur Verfügung haben. Wir haben Rentner, die so wenig Rente bekommen, dass sie schon Pfandflaschen aus den Mülleimern sammeln müssen. Aber das reicht anscheinend alles noch nicht, denn wir müssen auch noch Saison­ar­bei­te­r aus Osteuropa ausbeuten, um selbst in der Corona-Pandemie noch Spargel auf dem Tisch zu haben. "Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das soziale Europa voranbringen", stand gestern in der taz. Da bin ich ja mal gespannt, wie Hubertus Heil das anstellen will. Vielleicht sollte er erst einmal die Ausbeutung von ausländischen Saisonar­bei­te­rn in Deutschland unterbinden, bevor er sich an das große Europa heranwagt. Die Sprüche der SPD sind nur noch Lippenbekenntnisse.

    **Deutscher Spargel | Gernot Hassknecht - heute show** www.youtube.com/watch?v=Skwr5OcS_Tg

  • Jetzt mal so unter uns: Was soll der Spargelhof mit den Mitarbeitern denn machen ?

    Ich finde das ganze sklavenähnliche Beschäftigungskonzept absolut kriminell.

    Und da ich nicht allein bin wird es im September dafür die Quittung geben!

  • Ich bin politisch auch eher konservativ. Aber Lohndumping und Ausbeutung macht mich wütend. Wer ehrlich und hart arbeitet, muss seine Familie durchbringen können. Ohne wenn und aber.

  • Erinnert mich irgendwie an Arbeitslager...haben wir ja Erfahrung mit.



    Oder Sklavenhaltung: ein Recht auf Arbeit, dazu gibt es ein Bett und was zu essen, das man aber noch teuer bezahlen muss.

  • Ich freue mich auf die Spargelzeit. Spargel ist Esskultur.



    Und schön, dass Saisonarbeiter verdienen können.



    Mit Studenten Spargel stechen, würde pro Kilo 25€ bedeuten.

    • @lulu schlawiner:

      Für Bio-Spargel müssen Sie so "viel" bezahlen und im Gegensatz zu den konventionellen Wasserstangen schmeckt der auch nach was.

    • @lulu schlawiner:

      25€ fürs Kilo, na und ? Spargel ist kein Grundnahrungsmittel !!



      Das Problem an der ganzen Sache ist das die Lebensmittel bei uns allgemein viel, viel zu billig sind. Erzeugerpreise wie vor 50-60 Jahren, bei den Kosten und Anforderungen von heute, sind halt nur durch Ausbeutung zu schaffen. Die Ausgaben für Lebensmittel müssen halt wieder auf 25 - 30 % des Einkommen steigen, dann können Erntehelfer und Erzeuger gerecht bezahlt werden.

    • @lulu schlawiner:

      Ja, hautpsache billig. Vielleicht sollte man die Leibeigenschaft wieder einführen, erstmal als Alternative zur teuren Strafhaft. Wär doch auch "schön" wenn sich die Kriminellen damit noch nützlich machen können. Wenn das für den Bedarf an günstigen bzw. kostenlosen Arbeitskräften nicht mehr reicht, dann auch für kleinere Delikte. Ausbeutung und Menschenschinderei war hier eben schon immer Teil der Kultur.

      • @Ingo Bernable:

        Was heißt für Sie "hier" , hört sich so an, als ob der Rest der Welt aus Heiligen besteht.



        Na, dann sollten wir beide aber auswandern.

    • @lulu schlawiner:

      "Ich freue mich auf die Spargelzeit." (L.Schlawiner)



      Was ist das Besondere am Spargel? Der Eigengeschmack kanns schwerlich sein, ist der doch schon sehr geschmacksneutral. Ohne Soße Hollandaise eigentlich eine ziemlich langweilige Angelegenheit. Aber das ist halt Geschmacksache.



      Ob es Ihnen aber auch noch schmeckt, wenn Sie das da gelesen haben?:

      www.mdr.de/nachric...rumaenien-100.html

      www.zeit.de/arbeit...ch/komplettansicht

      Und: Würden Sie auch noch Spargel essen, wenn die Erntekräfte wenigstens den Mindestlohn bekommen würden?

      Esskultur? Nach Sklavenhalterart?

      Na, denn Mahlzeit!

    • @lulu schlawiner:

      Dann hätte diese Kulturforum endlich den ihr angemessenen Preis.

  • Guten Appetit.

    Ich jedenfalls kaufe nie wieder Spargel von einem Grosshof.

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Na dann vom Kleinhof, wo alle Familienmitglieder vom Kleinkind bis zum Altenteiler Selbstausbeutung betreiben, damit sie über die Runden kommen. Aber 3- 5 Helfer aus Polen brauchen die auch.

    • @tomás zerolo:

      Überlegen Sie es sich noch mal.

      Für die Menschen aus den Dörfern in Rumänien oder anderen Staaten Osteuropas stellt dieses Saisonarbeit einen wichtigen Teil ihres Jahreseinkommens dar.

      In den ländlichen Gegenden dort gibt es wenig, womit man Geld verdienen kann.

      • @rero:

        Genau. Deshalb können die Landwirte sie auch wie Menschen zweiter Klasse behandeln und sich an ihnen bereichern. Die Notlage dieser Menschen wird hemmungslos ausgenutzt. Ich esse seit Jahren keinen weißen Spargel mehr. Seit den Diskussionen ob Harz4-Bezieher das Zeug aus der Erde buddeln sollen. Schmeckt ohne Buttertunke eh nach nichts.

        • @Andreas J:

          Damit werden Sie die Situation nicht einer Spargelpflückerin verbessern.

      • @rero:

        Ja klar und die Näherinnen in Bangladesch können auch froh sein, ebenso die 5-jährigen Minenarbeiter im Kongo. Ist ja ein Bestandteil ihres Lebens und ihrer Wirtschaft.



        Selten dümmlicheres gelesen.

        • @Hampelstielz:

          "Das Einzige, was schlimmer ist als ausgebeutet zu werden, ist es, nicht ausgebeutet zu werden."

          Der Spruch wird auch von Linken als durchaus richtig anerkannt.

          Es spricht ja nichts dagegen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

          Ich schaffe es, auch ohne Diffamierungen zu argumentieren.

          Was hindert Sie daran?

        • @Hampelstielz:

          So richtig dümmlich wird es, wenn Sie wissen woher die Kleidung herkommt , die Sie gerade anhaben.

      • @rero:

        Ja so ist es. Aber das kann man vor allem dem rumänischen Staat vorwerfen, der es nicht hinbekommt, seinen Bürgern ein Auskommen zu ermöglichen ohne dass diese ihre Arbeitsraft zu solchen Bedingungen im Ausland anbieten müssen. Damit ist die Verantwortung nicht von den deutschen Spargelbauern und der deutschen Politik genommen. Es ist für alle beteiligten ein Armutszeugnis, was da mitunter abläuft.

        Ich bewundere die Leidensfähigkeit der Ernter, die sowas hinnehmen ohne Amok zu laufen oder zumindest nach Hause zu fahren und zu sagen: Stochert eure holzigen Kotzstangen doch selber aus dem Dreck!



        Der wirtschaftliche Druck muss enorm sein.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Verraten Sie mir bitte eine andre Einkaufsquelle.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @95820 (Profil gelöscht):

        Hoppenrade

        • 9G
          95820 (Profil gelöscht)
          @97287 (Profil gelöscht):

          Danke, aber das ist mir zu weit. .