Annalena Baerbock besucht China: Auf konfliktträchtiger Mission
Auf offener Bühne liefert sich die deutsche Außenministerin in Peking einen Schlagabtausch mit ihrem chinesischen Amtskollegen.
Nur 30 Minuten braucht die Bahn für die 117 Kilometer Strecke, gerade genug Zeit für einen übersüßten Kaffee vom Bord-Service also. Dann ist der Südbahnhof von Peking auch schon erreicht. Der chinesische Außenminister Qin Gang und seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock steigen zusammen aus dem ersten Waggon.
Tolle Sache: So hat Baerbock drei Stunden später, am Ende der Beratungen mit ihrem Amtskollegen, noch etwas Nettes zu sagen. Die gemeinsame Zugfahrt habe den gemeinsamen Morgen geprägt, sagt sie auf der gemeinsamen Pressekonferenz in einem Pekinger Gästehaus der Regierung. „Es war für mich wirklich besonders, dass Sie sich extra die Zeit genommen haben“, schmeichelt sie Qin. Danach erwähnt sie die lange gemeinsame Geschichte beider Länder und spricht später auch noch über Kooperationsmöglichkeiten bei den Erneuerbaren Energien.
Soll keiner sagen, sie haue immer nur drauf. Eine Mischung aus Dialog und Härte: Das hat sich Baerbock vorgenommen für ihren Antrittsbesuch in China, das auf dem Weg zur Supermacht weit fortgeschritten ist, stetig selbstbewusster auftritt und damit den Westen auf die schwierige Suche nach der passenden Antwort schickt.
Überbordernde chinesische Höflichkeit zum Auftakt
Baerbock hat sich Zeit gelassen für diese Reise. Zunächst lag das vor allem an den harten Corona-Maßnahmen. Aber auch als Besuche wieder möglich wurden, wollte sie sich nicht so rasch auf den Weg machen wie Bundeskanzler Olaf Scholz, der schon im Herbst nach China flog.
Stattdessen kommentierte Baerbock die chinesische Politik seit ihrem Amtsantritt immer wieder aus der Ferne – was vor ihrem Abflug am Mittwoch wiederum SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu einer Prophezeiung veranlasste: Die Chinesen hätten die Grünen-Politikerin bislang als „sehr undifferenziert“ wahrgenommen, sie könne sich auf einen Empfang „mit einer gewissen Skepsis“ gefasst machen.
Tatsächlich? Fast schon überbordend höflich fallen die Begegnungen am ersten Tag des Besuchs aus, an dem Baerbock in Tianjin jenseits politischer Gespräche auf Tuchfühlung mit dem Land geht. Während einer Werksbesichtigung bei einem Windturbinenhersteller stehen Arbeiter mit Deutschland-Fähnchen Spalier. In einer Oberschule präsentiert ein Schüler-Chor der Delegation einen Song des Ex-Kinderstars Heintje, der in China außerordentlich beliebt ist.
Und als es am Freitagmorgen, noch vor der Bahnfahrt, mit dem nächsten Fabrik-Rundgang weitergeht, steht vor der Halle schon Außenminister Qin parat. Obwohl der gerade erst von einer eigenen Auslandsreise zurückgekehrt ist und noch nicht ganz wach wirkt.
Baerbocks Vorsatz: Dialog und Härte
Richtig ernst wird es allerdings auch erst später bei den politischen Beratungen im Pekinger Gästehaus, idyllisch in einem weitläufigen Park im Stadtzentrum gelegen. Und so sehr sich Baerbock im Anschluss auch um Nettigkeiten bemüht, so korrekt und höflich Qin seinerseits einsteigt: Die erwarteten Reibungen bleiben nicht aus. Im Gegenteil: Wie schon bei Baerbocks Besuchen in Russland und der Türkei im vergangenen Jahr ist auch in China eine bemerkenswerte Pressekonferenz zu erleben.
Zum Vorsatz von Dialog und Härte gehören nun mal auch die offenen Worte. Vielleicht spricht die deutsche Außenministerin die kritischen Punkte sogar deutlicher als geplant an, weil der jüngste Besuch von Emanuel Macron noch nachwirkt: Der französische Präsident hat sich gerade erst nach einem Peking-Besuch für eine entspanntere China-Politik ausgesprochen.
Baerbock setzt auf jeden Fall einen Gegenpunkt: Nach den einführenden Nettigkeiten listet sie vor den Kameras knapp zehn Minuten lang ein Streitthema nach dem anderen auf. Ihr Amtskollege Qin wiederum reagiert mit einem sogar doppelt so langen Vortrag, lässt keinen der Punkte unkommentiert und hält sich in seiner Wortwahl ebenfalls nicht zurück. „Xie xie, danke“, wird er zum Abschluss zwar sehr freundlich sagen. In der Zeit bis dahin werden die Differenzen aber deutlich.
Ein Streitthema nach dem anderen
Wesentlich sind dabei vier Themefelder. Das erste: die Menschenrechte. Baerbock spricht unter anderem die Lage der unterdrückten uigurischen Minderheit an. Qin entgegnet, dass China keinen Lehrmeister brauche. Jedes Land habe seine eigenen Begebenheiten und für den Schutz der Menschenrechte gebe es „keine allgemein gültigen Standards auf der Welt“.
„Doch“, murmelt einer der deutschen Journalisten in den Zuhörerreihen. Und auch Baerbock legt später noch mal nach. Es gebe da die Charta der Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die bindend für alle seien.
So weit, so erwartbar. Erstaunlich ist aber, wie die Grünen-Politikerin ihre Kritik begründet: mit den Interessen der deutschen Wirtschaft. „Wo Firmen sich Vorteile auf Kosten der Menschenrechte verschaffen, gibt es keinen fairen Wettbewerb“, sagt sie. Zwangsarbeit sei ein Problem, weil sie den Markt verzerre.
Inhaltlich ist das zwar abenteuerlich, kommunikativ aber geschickt – nicht zuletzt mit Blick auf Vorwürfe in Deutschland, Baerbock würde ihre Außenpolitik moralisch überladen.
Partner oder Gegner?
Ähnlich hält sie es mit dem zweiten Thema: dem Konflikt um Taiwan. Gerade erst hat das chinesische Militär ein Manöver rund um die Insel abgehalten, ein Angriff in den nächsten Jahren ist denkbar. Das sei nicht Europas Konflikt, hat Macron dazu sinngemäß gesagt. Von einer innerchinesischen Angelegenheit spricht Qin, und fügt an: Deutschland und China sollten sich in ihren Beziehungen von den „ureigenen Interessen beider Länder“ leiten lassen – und nicht von den USA, so die implizite Botschaft dahinter, die stünden nur aus Gründen der Großmachtsrivalität auf der Seite Taiwans.
Baerbock hält auch hier nicht mit Moral und Werten dagegen. Stattdessen sagt sie, Deutschland habe „Interesse am Erhalt der Friedensordnung nicht nur vor der eigenen Haustür“. Durch die Straße von Taiwan führe schließlich ein so großer Teil des internationalen Frachtschiffverkehrs, dass auch Deutschland von einem Krieg empfindlich getroffen würde.
Wie genau die deutsche Reaktion in einem solchen Falle aussehen würde, lässt sie auf Nachfrage offen. Der Punkt führt aber direkt zum dritten Konfliktfeld: den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Die Abhängigkeit von Russland habe Deutschland teuer bezahlt, sagt Baerbock. Und Fehler solle man nicht wiederholen. Als Forderung nach einem Abbruch der Handelsbeziehungen zu China will sie das einerseits nicht verstanden wissen. Andererseits würde sie aber auch die Formulierung Qins nicht unterschreiben, der einwirft: „Wir sind Partner, keine Gegner.“
Eher schon: Mal Partner und mal Gegner, wie es die EU in ihren Strategien sinngemäß formuliert. Von „Risikominimierung“ spricht Baerbock wörtlich. „So wie auch China seit vielen Jahren systematisch daran arbeitetet, eigene Abhängigkeiten zu verringern.“ Eine Wirtschaftsdelegation hat sie, anders als Scholz im Herbst, schon mal nicht mit auf ihre Reise genommen.
Undurchsichtige Rolle Chinas im Ukraine-Krieg
Bleibt schließlich noch der vierte Streitpunkt: Der Umgang mit Russland und dem Krieg gegen die Ukraine. Die Volksrepublik gibt sich als potentielle Friedensmaklerin und stellt sich in einem Positionspapier zum Krieg hinter das Prinzip der territorialen Integrität von Staaten. Baerbock glaubt trotzdem nicht an konstruktive Beiträge Chinas.
Sie frage sich, warum die „chinesische Positionierung bisher nicht die Aufforderung an den Aggressor Russland beinhaltet, den Krieg zu stoppen“, sagt sie, und appelliert an die „besondere Verantwortung“ Chinas als Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Qin bleibt in seiner Antwort unkonkret. „Wir werden nicht weiter Öl ins Feuer gießen“, bekundet er. Immerhin kündigt er dann noch an, keine Waffen an Russland zu liefern. Diese Aussage ist aber nicht neu und auch nicht zu hundert Prozent belastbar.
Und so stellt sich nach 50 Minuten, als die Pressekonferenz mit großer Verspätung endet und die Luft im Raum schon lange nicht mehr die beste ist, die Frage: Hat es was gebracht? Wer ernst genommen will, muss auch Klartext sprechen, glaubt Baerbock. Das klingt schlüssig. Mit Resultaten kann sie es bislang aber nicht belegen.
Dabei wäre das auch für die Debatte hilfreich, die während ihrer China-Reise zuhause weiterläuft. Schon seit Monaten bereitet die Bundesregierung unter Federführung des Außenministeriums eine gemeinsame China-Strategie vor. Das Ergebnis wurde mehrmals verschoben. Die Tendenz – mehr Vorsicht im Umgang mit Peking – ist zwar Konsens. Wie weit man gehen soll, ist in der Ampel jedoch strittig.
Größeres Interesse Chinas an Brasiliens Präsident Lula
Während sich Baerbock noch in China müht, streut am Freitag in Berlin der konservative Seeheimer Kreis der SPD ein Positionspapier an Medien. Die Gruppe kritisiert darin den Kurs der Grünen und warnt wörtlich vor einer „Anti-China-Strategie“.
Und selbst wenn sich die Bundesregierung demnächst geeinigt haben sollte; selbst wenn die EU-Staaten in der Frage künftig ebenfalls geschlossener auftreten als in den letzten Tagen: Fraglich bleibt dann noch, wie sehr sich das Regime in Peking davon beeindrucken lässt. Europa ist für China zwar ein wichtiger Handelspartner. Längst stärkt die chinesische Regierung aber auch andere Beziehungen.
Der Weg von der Pressekonferenz im Gästehaus zum Hotel der deutschen Delegation führt am Nachmittag am Tor der Verbotenen Stadt vorbei. Nicht die deutsche Fahne hängt dort an einem Mast, sondern die brasilianische. Präsident Lula ist gleichzeitig mit Baerbock in Peking zu Gast. Das Interesse an dem Brasilianer: noch deutlich größer als das an der Deutschen.
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