ARD-Themenabend über Sexismus: Die Frau lügt, der Mann ist das Opfer
Die ARD beschäftigt sich am Mittwochabend mit sexueller Nötigung. Doch der Beitrag „Meine fremde Freundin“ ist falsch platziert.
Er starrt auf ihre Brüste und sagt: „Wenn Sie mal Hilfe beim Schleppen brauchen, sagen Sie Bescheid, Sie tragen ja ohnehin jeden Tag sehr schwer.“ So lernt Judith (Ursula Strauss) Volker (Hannes Jaenicke) kennen, als sie ihre neue Stelle im Gesundheitsamt antritt.
Volker wird im Film als Macho eingeführt, der mit seinen sexistischen Sprüchen bereits eine Mitarbeiterin aus dem Amt vertrieben hat. Die Kolleginnen verurteilen seine anzüglichen Kommentare, doch vertreten auch selbst patriarchale Sichtweisen: Sie suchen die Schuld bei sich selbst. Andrea (Valerie Niehaus) eine Kollegin, mit der Judith sich anfreundet, kommentiert die Kündigung ihrer Vorgängerin: „Sie ist auch falsch damit umgegangen. Hat mit ihm geflirtet und immer figurbetonte Kleidung getragen.“
Konsequenzen bekommt Volker keine zu spüren. Seine Chefin schätzt ihn und ignoriert seinen Sexismus. Bis Judith im Archiv-Raum vergewaltigt wird. So erzählt sie es ihrer Freundin Andrea und kurz darauf auch der Polizei.
Der Spielfilm „Meine fremde Freundin“ von Regisseur Stefan Krohmer ist Teil des ARD-Themenabends „Sexuelle Nötigung, Lügen und Stereotype“. Das passt zur aktuellen Sexismus-Debatte. Unter dem Schlagwort #MeToo berichten zahlreiche Frauen weltweit von ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt – auch am Arbeitsplatz. Das Ziel der Kampagne: Sexismus sichtbar machen und aufzeigen, dass es sich um strukturelles Problem handelt.
Das perfekte Timing des öffentlich-rechtlichen Senders ist allerdings Zufall. Der Themenschwerpunkt wurde mit einem Vorlauf von über einem Jahr geplant. Doch durch die Aktualität bekommt er eine neue Dynamik. Der Film ist ein Debattenstück über Sexismus am Arbeitsplatz.
Nicht jeder Macho sei ein Vergewaltiger
Doch was zu Beginn spannende Fragen aufwirft, erfüllt der Film im Fortgang nicht. Gemeinsam mit ihrer Freundin Andrea bekommen die Zuschauer*innen Zweifel an Judiths Vergewaltigungsvorwürfen. Es stellt sich heraus: Volker sitzt unschuldig im Gefängnis – Judith hat sich die Vergewaltigung bloß ausgedacht. Sie ist eine krankhafte Lügnerin, die auch schon eine Krebserkrankung und ein verstorbenes Kind erfunden hat.
Auf filmischer Ebene funktioniert das Narrativ der Täter-Opfer-Umkehrung gut. Es spielt mit den Erwartungen der Zuschauer*innen, der Film überzeugt durch überraschende Momente und nicht zuletzt der schauspielerischen Leistung von Jaenicke und Strauss. Doch inhaltlich ist es schwierig. Und das liegt vor allem an der Einordnung in den Themenabend. Denn anstatt mit einem Spielfilm sexualisierte Gewalt zu thematisieren, die Frauen tagtäglich erleiden müssen, entlarvt der Film die Frau als Lügnerin und den Mann als Opfer.
Christian Granderath, Fernsehfilm-Chef des NDR, sieht darin erst mal kein Problem: „Ich mag es, wenn kontrapunktisch gearbeitet wird, das bringt die Zuschauer dazu, ihre Wahrnehmung zu überprüfen.“ Häufig sei es wichtig, die erste Einschätzung zu hinterfragen. Auch in diesem Fall, denn nicht jeder Macho muss ein Vergewaltiger sein.
Doch gerade die Debatte um Harvey Weinstein und seine Kollegen zeigt, dass Frauen, die sexuelle Belästigung anklagen, keinen Glauben geschenkt wird. Die Vorwürfe gegen Weinstein und Kevin Spacey sind nicht neu. Sie finden nur erst jetzt Gehör. Anspielungen darauf gibt es schon lange. So wurde zum Beispiel in TV-Serien Witze darüber gemacht. Doch da die Männer in Machtpositionen waren und wir in einem patriarchalen System leben, gab es keine Konsequenzen.
"Meine fremde Freundin", Das Erste, 20.15 Uhr
Es kommt tatsächlich vor, dass Frauen eine Vergewaltigung erfinden. So beruht auch der Film der Drehbuchautor*innen Katrin Bühlig und Daniel Nocke auf einer wahren Begebenheit. Doch wir leiden nicht unter einem strukturellen Problem von notorischen Lügnerinnen, sondern haben eines mit Gewalt gegen Frauen. Wenn ein Themenschwerpunkt in den Öffentlichen-Rechtlichen sich mit sexualisierter Gewalt beschäftigen möchte, ist das zu begrüßen. Doch wenn dann der einzige fiktive Beitrag die Problematik umkehrt, ist das falsch.
Mit einem Satz behält Granderath in jedem Fall Recht: „Es ist ein Film, über den man ins Gespräch kommen kann.“ Im Anschluss an den Film diskutiert Sandra Maischberger mit dem Hauptdarsteller Hannes Jaenicke und den Expertinnen Gisela Friedrichsen, Teresa Bücker, Marlene Lufen und Anja Keinath (Das Erste, 21.45 Uhr). Hoffentlich wird dabei die wahre Problematik thematisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja