Regelung für „Dublin-Fälle“: Bundesregierung nimmt Verelendung in Kauf
Ein Gesetz streicht Geflüchteten alle Leistungen, wenn Deutschland nicht für ihren Asylantrag zuständig ist. Dass ihnen Obdachlosigkeit droht? Egal.
Hintergrund des Sicherheitspakets war der Anschlag von Solingen im Herbst 2024, bei drei Personen starben und weitere verletzt wurden. Mutmaßlicher Täter ist der Asylbewerber Issa Al H. Für dessen Asylantrag wäre nach dem Dublin-System eigentlich Bulgarien zuständig. Es folgte eine öffentliche Debatte über verstärkte Abschiebungen dieser sogenannten Dublin-Fälle.
Die Ampelkoalition beschloss schließlich eine Regelung, nach der solchen Geflüchteten die staatlichen Leistungen gestrichen werden können, sofern sie auch tatsächlich die Möglichkeit zur Ausreise haben. Sie erhalten noch zwei Wochen verminderte „Überbrückungsleistungen“, danach gar nichts mehr. Auch eine Unterkunft bekommen sie nicht mehr gestellt.
Bünger wollte mit ihrer Anfrage herausfinden, wie weit die Bundesregierung dabei geht. Sie erkundigte sich, in welchen Fällen eine im Gesetz vorgesehene Härtefall-Regelung gilt. Das Ergebnis: Als besondere Härte gelte nur, was „nicht für alle vom Leistungsausschluss betroffenen Personen typisch ist“. Das sind nur solche Fälle, bei denen „individuelle Besonderheiten hinzutreten, die über die mit dem reduzierten Leistungsumfang typischerweise verbundenen Härten hinausgehen“. Drohende Obdachlosigkeit ist somit kein Grund, von einem Härtefall auszugehen und die Leistungen fortzuzahlen, weil dies ja alle gleichermaßen betreffen kann. Bünger nennt diese Argumentation „besonders zynisch“.
Bundesregierung erkennt kein Problem
Auch wenn die Betroffenen Kinder haben oder sogar selbst minderjährig sind, ist der komplette Leistungsausschluss offenbar möglich. Auch hier greifen laut der Bundesregierung die Sonderregeln erst dann, wenn sie „im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte erforderlich sind“. Bünger dazu: „Wer Schutzsuchende, darunter auch Kinder und Familien, bewusst ins Elend stürzt, handelt weder human noch rechtsstaatlich.“
Die Bundesregierung erkennt dagegen keine Probleme. Man gehe davon aus, „dass Betroffene nicht ohne Leistungen in Deutschland verweilen, sondern – gemäß ihrer rechtlichen Verpflichtung – in den für die Durchführung ihres Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat zurückkehren“. Dort würden sie dann die „ihnen entsprechend der Aufnahme-Richtlinie zustehenden Leistungen erhalten“.
Es ist dieser Mechanismus, auf den die Bundesregierung setzt, um die Geflüchteten zum Gehen zu bewegen. Bünger glaubt nicht, dass das funktioniert. „Das Gegenteil ist der Fall: Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, werden nun durch das Gesetz in die Obdachlosigkeit gedrängt und in völlige Perspektivlosigkeit geschickt.“
Tatsächlich scheinen auch einzelne Landesregierungen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regelung zu haben. Im Dezember verschickte das in Rheinland-Pfalz zuständige Landesministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration ein Rundschreiben, dass wegen verfassungs- und unionsrechtlicher Bedenken bis zur Ausreise der Betroffenen zumindest immer Überbrückungsleistungen zu gewähren seien.
Die Antwort der Bundesregierung auf Büngers Frage zeigt allerdings auch, dass es in Deutschland derzeit nur sehr wenige Geflüchtete gibt, die von dieser Regelung betroffen sein könnten. Von insgesamt lediglich rund 25.000 Dublin-Fällen in ganz Deutschland sind wiederum nur etwa 6.000 ausreisepflichtig. Bei wie vielen davon die für Dublin-Fälle geltende Überstellfrist schon abgelaufen ist, weiß die Bundesregierung nicht. Danach geht die Zuständigkeit für den Asylantrag automatisch auf Deutschland über.
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