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Pro und Contra Letzte GenerationIst die Letzte Generation gescheitert?

Neu ausrichten und umbenennen – das ist das Projekt 2025 der Letzten Generation. War die Gruppierung also erfolglos? Ein Pro und Kontra.

Was bleibt von der Letzten Generation? Handabdruck einer bei Protesten in Berlin mit Sekundenkleber festgeklebten Hand, Juni 23 Foto: Stefan Boness
Inhaltsverzeichnis

Ja

Der Abschied der Letzten Generation von ihrem Namen und ihren bisherigen Aktionsformen ist kein Grund zur Schadenfreude. Das Anliegen der Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen bleibt ja richtig, wird noch wichtiger und es bleibt zu hoffen, dass ihre Sprecherin Carla Hinrichs recht behält: „Wenn wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann als friedliche Revolution bezeichnet werden.“ Aber es hilft nichts, die Lage schönzureden. Für das Klima und seine aktiven Schüt­ze­r*in­nen sind die Aussichten heute noch schlechter als vor Beginn der Protestaktionen.

Als die Letzte Generation mit ihren Straßenblockaden und Flugfeldbesetzungen begann, war ihr erklärtes Ziel, die Gesellschaft wachzurütteln und die Regierung zu wirksamen Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen. Das hat sie nicht nur nicht geschafft. Es ist noch schlimmer: Gesellschaft und Politik haben sich zwar bewegt, aber leider in die falsche Richtung. Das Engagement für Klimaschutz hat nachgelassen.

Schuld daran ist natürlich nicht die Letzte Generation. Das zu behaupten wäre absurd, so wie ihre Kriminalisierung heillos übertrieben war. Schuld sind die Bequemlichkeit der Massen, die Macht der fossilen Lobby und das Versagen der Politik. Kriege und Krisen kamen erschwerend hinzu, weil sie vom Klima abgelenkt haben. Aber zur Ehrlichkeit gehört, dass die Letzte Generation nicht nur an den bösen Gegenkräften gescheitert ist, sondern auch mit ihrem Konzept. Es ging nach hinten los.

Statt neue Sympathien für die Klimabewegung zu wecken, haben die Störaktionen zu neuen Abwehrreflexen geführt. Statt den Fokus auf mächtige Verantwortliche zu lenken, verärgerten sie vor allem Au­to­fah­re­r*in­nen, die sich pauschal und moralisch angegriffen fühlten, obwohl viele nur so zur Arbeit kommen können, weil auf ihrem Arbeitsweg kein Bus fährt. Noch sinnloser waren die Anschläge auf unschuldige Kunstwerke in Museen, die auch bei Gutwilligsten auf Unverständnis stießen. Aufmerksamkeit ist kein Wert für sich. Motivieren wäre besser als sabotieren. In einer Demokratie muss man die Mehrheit überzeugen. Die teilweise aggressiven Aktionen der Letzten Generation und der dystopische Name haben das Gegenteil bewirkt. Gut, dass jetzt hoffentlich etwas Neues beginnt. Lukas Wallraff

Nein

Die Letzte Generation ist nicht gescheitert. Im Gegenteil. Sie ist die erfolgreichste, weil prägendste Klimaschutzbewegung der letzten Jahre.

Die Letzte Generation hat genervt und polarisiert. Sie hat das Thema hochgehalten, als der äußerst sympathisch-jugendlichen Latschbewegung Fridays for Future die Luft ausgegangen ist. Sie hat demonstriert, dass politischer Protest häufig mehr bieten muss als höfliche Bitten um Wandel. Dass es Leidenschaft braucht, körperlichen Einsatz bis zur Selbstaufgabe, der gerade weil er von einer Mehrheit nicht verstanden werden will, allein durch die Propaganda der Tat verdeutlicht, dass es hier ums Eingemachte geht.

Selbstverständlich hat die Letzte Generation nicht den Klimawandel gestoppt; und das pure Querstellen als Aktionsform ist inzwischen offensichtlich längst ausgelutscht. Aber wer die Latte an politische Bewegungen so hoch legt, dass sie erst nach der Revolution als erfolgreich bezeichnet werden können, kann gleich einpacken.

Politische Bewegungen wirken immer auf gleich mehreren Ebenen. Eine der wichtigsten, die häufig übersehen wird, ist die nach innen. Die Prägung der Ak­ti­vis­t:in­nen selbst, aus denen eine Kraft erwachsen kann, die jahrzehntelang nachwirkt. Die ist wichtig für die unweigerlich weiter anstehenden Kämpfe.

Meist ist es der größtmögliche Erfolg, wenn es einer Bewegung gelingt, Missstände sichtbar zu machen. Und darin waren die Stra­ßen­blo­ckie­re­r:in­nen meisterlich. Sie haben aufgezeigt, dass es neben dem Klimawandel ein viel größeres Problem gibt: die Verweigerungshaltung der bundesrepublikanischen Mehrheit, über notwendig fundamentale Änderungen überhaupt nur nachzudenken.

Das kann nicht einmal die Ak­ti­vis­t:in­nen erfreuen. Aber es präzisiert die Aufgabe für alle Klimaproteste, die noch kommen werden – unter welchem Label und in welcher Aktionsform auch immer.

Wer das nicht sehen möchte, weil Bewegung so unbequem ist, kann gern auf dem Sofa sitzen bleiben und den Weltuntergang live im TV verfolgen. Der kleine Rest der anderen wird ein paar Apfelbäumchen pflanzen. Mitten auf einer Autobahn wäre ein angemessener Platz dafür. Gereon Asmuth

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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11 Kommentare

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  • "die Verweigerungshaltung der bundesrepublikanischen Mehrheit, über notwendig fundamentale Änderungen überhaupt nur nachzudenken"

    Der entscheidende Punkt. Nicht die Letzte Generation ist gescheitert.

    Empfohlen sei hierzu auch ein Hörbeitrag von Deutschlandfunk

    Seit wann wir von der Erderwärmung wissen - Die Geschichte des Klimawandels ist eine Geschichte des Wegsehens.

    www.deutschlandfun...-15dd044f-100.html

  • So, wie sich Stand Jetzt die Welt bewegt wird absolut KEINE Bewegung mehr etwas ausrichten können. Auch eine Namensänderung wird nicht viel bringen.



    Immer die ganzen neunmalklugen Ratschläge,wie LG es hätte besser machen können,ihre Aktionen würden nichts bringen,usw.



    Fakt ist,selbst wenn die neunmalklugen Tipps umgesetzt werden, denken vielleicht 1-2% der Bürger um und wählen dementsprechend.

    So blöd das klingt,aber selbst Rechtsextreme hätten mehr Chancen, als linke Bewegungen. Die romantisieren den deutschen Wald, die wilden Wikinger, das schöne Dorfleben und warum amerikanische Naturparks oder Amische so toll sind. Schnell wird ein Schuldiger gefunden, warum Deutschland das alles nicht hat, es wird auf Migranten, LGBT, Juden gezeigt, und die Zahl der Weltbevölkerung soll auf die eigene Rasse geschrumpft werden.

    Damit gebe ich den Linken aber nicht die Schuld, dass ihre Aktionen nichts mehr bewegen. Nach jahrzehnte langem Kapitalismus ist der Mensch der 1. Welt auf Konsum getrimmt und Dinge wie Umweltzerstörung,Vertreibung von Menschen, etc. werden billigend akzeptiert, damit der Wohlstand nicht in Gefahr gerät. Marginalisierte Menschen werden als Sündenbock herhalten müssen.

  • Wer sich über die LG aufgeregt hat und sie kriminalisierte wegen vermeindlicher "terroristischer" Tendenzen sollte mal "The Ministry of the Future" lesen - sowas wäre echter Klima-Terrorismus. Ein paar Leute, die zur spät zur Arbeit kommen, haben nun wirklich keinen echten Schaden erlebt. Wer darüber sich aufregt, sollte wirklich mal einen Reality-Check machen!

  • Der Titel sagt schon alles: "Ist die letzte Generation gescheitert?" – als ob die LG irgendwelche Partikularinteressen verfolgen würde. Solche Kommentare gab's zu Hunderten auf Twitter, nach jeder, aber wirklich jeder einzelnen Aktion der LG. Wenn überhaupt, meine lieben, hat die Gesellschaft versagt, so hat es die österreichische LG in der Pressemitteilung formuliert, als sie aufgegeben hat.

    Insbesondere Wallraff schreibt aus der Perspektive der Unbeteiligten und reflektiert das auch gar nicht erst: "Gut, dass jetzt hoffentlich etwas Neues beginnt." – man beachte die unpersönliche Formulierung. Die anderen sollen sich kümmern, damit er "auf dem Sofa sitzen bleiben und den Weltuntergang live im TV verfolgen" kann, wie sein Kollege schreibt. Immerhin haben sie darauf verzichtet, gute Ratschläge zu geben à la geht arbeiten/blockiert doch mal die Häuser der Politiker/pflanzt Bäume usw.

  • Werbung ist nicht Alles.



    Es gibt ja die These, dass auch Negativwerbung zu begrüßen wäre, da man im Gespräch sei.



    Am Beispiel letzte Generation ist abzulesen, dass diese These in die Irre geführt hat.



    Die parallel zu den Aktionen stattfindenen Umfragen zum "Verständnis zum Widerstand gegen den Klimawandel" , hat deutlich gezeigt, dass das Verständnis von einem sehr hohen Niveau, während FFF, ins Bodenlose abgesackt ist.



    Natürlich billige ich den Beteiligten zu, dass sie Ihre Aktionen mit den besten Absichten durchgeführt haben, allein, es war nicht zielführend.



    Wer, im Übrigen, Wasser predigt und heimlich Wein trinkt, ist unglaubwürdig. So hatte der Skandal mit dem Interkontinental Flug sehr negative Folgen .



    Wer ein Bewusstsein für Klimaschutz schaffen will, sollte bei sich selbst beginnen.



    Die Rechtfertigungen, die die Akteure und Andere Bruchpiloten für das Fliegen anführen, sind hohle Phrasen.



    Das im Artikel kritisierte "Apfelbäumchen pflanzen" ist genau der richtige Weg.



    Am Besten ist es , das gemeinsam mit Kindern zu tun, und Bewusstsein zu wecken.



    Ich konnte feststellen, noch Jahrzehnte später auf gemeinsame Aktionen, Hecken, Bäume, Nisthilfen, angesprochen zu werden.

    • @Philippo1000:

      Bäumchen pflanzen ist eh lieb, bringt halt leider quantitativ viel zu wenig, wenn man es mit der Größe des Problems vergleicht. Da muss man schon Gesetze ändern. Nehmen wir das Tempolimit: Ein 100/80-Tempolimit in Österreich entspricht 36 Mio. Bäumen pro Jahr (tirol.orf.at/stories/3255414/). Wohin wollen Sie die pflanzen?

      Das einzige, was man von Bäumchen pflanzen etc. bekommt, ist ein gutes Gewissen. Und wenn das ad hominem-Argument sehe, dass Sie Aktivisten also die Glaubwürdigkeit absprechen, weil die mal in ein Flugzeug gestiegen sind, dann scheint es Ihnen ja genau darum zu gehen: die eigene Gefühlswelt zu schützen, anstatt das Problem zu lösen.

      Das sind typische Abwehrreflexe, die man sieht, wenn Leute die Klimakrise auf der einen Seite nicht verstehen (schiefe Vorstellungen von der quantitativen Größe des Problems) und auf der anderen Seite von ihr emotional überfordert sind.

      PS. Sie würden ja auch nicht den Satz des Pythagoras bestreiten, weil Pythagoras Vielflieger war o.ä.

  • "Propaganda der Tat", die "von einer Mehrheit nicht verstanden" wird.

    Das "pure Querstellen ist inzwischen offensichtlich längst ausgelutscht."

    Eigentlich schreibt auch Herr Asmuth vom Scheitern der Letzten Generation.

  • "Das Engagement für Klimaschutz hat nachgelassen."



    Leider hat auch die Compliance auf Vorschuss im Umfeld erheblich gelitten unter einigen zumindest unglücklichen Auf-/Fehltritten. Die veränderte Aufmerksamkeitsökonomie entlarvt jetzt im Umkreis des konstitutiven Kerns der Bewegung wahrscheinlich viele zunächst beherzte Zunicker:innen als im Abwärtstrend nicht wirklich konsequent bis zur Selbstbeschädigung engagierte Aktivist:innen.



    Ein Beispiel aus Österreich:



    "Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) etwa forderte härtere Strafen für "Klimakleber". Kanzler Karl Nehammer ortete in der Bewegung "Sabotage der Zivilgesellschaft". "Ziviler Widerstand ist kein Beliebtheitswettbewerb", schreibt die Bewegung auf ihrer Homepage. Und: "Protest, der niemanden stört, wird leider konsequent ignoriert.". "



    Quelle:



    www.derstandard.de...s-gr246223te-sorge



    Der Trend zur bevorzugten und sogar priorisierten Selbstoptimierung steht seit der "Corona-Krise" sozialen Zielen einer Bewegung zum Klimaschutz offenbar oft diametral gegenüber, wird aber zunehmend befeuert in Medien mit getriggerter Klick-Amplifikation durch Animation.

  • Ja, die Letzte Generation ist gescheitert, auch wenn die Polarisierung im Straßenverkehr leider auch ohne ihre Aktionen gestiegen wäre. Die Wissenschaft zeigt wie wenig der Verkehr beiträgt im Kampf gegen den Klimawandel, zeigt dass man eine Verkehrswende vollziehen muss die mehr ist als ein Umstieg ins E-Auto und es sind die Bewohner und Wirtschaftstreibenden der Innenstädte die nach anfänglichen Widerständen dann doch sehen wie positiv sich eine Verkehrsberuhigung auswirken kann. Hier in Linz ist es ein Straßenkampf, der autofreie Hauptplatz erst seit wenigen Wochen Realität (die noch nicht jeder Autofahrer realisiert hat) und der verbesserte Radweg über die wichtigste Brücke der Stadt auf nach den Wahlkampf verschoben. Aber wer die Verkehrswende will ist schon zehn Schritte weiter als die Bevölkerung und zwölf weiter als die Politik. Ich hab nicht vor Autofahrer moralisch anzugreifen für ihr Verkehrsverhalten, ich find's eher schade dass sie oft keine Alternative sehen, selbst wenn welche vorhanden sind, und stattdessen im Stau stehen müssen.

  • bin bei Ja. Bei Punkt das die Letzte Generation keine Schuld trifft geh ich allerdings nicht mit. Die Letzte Generation hat viele Fehler gemacht, in der Art der Kommunikation, in der Art des Protest und den Angriff auf die falsche Gruppe. Die Letzte Generation hat und das ist für mich der größte Fehler mit ihren Protest einen Angriff auf die arbeitende Bevölkerung gemacht und das am meisten auf die im ländlichen Raum die keine Alternative zum Auto haben. Das hat einen Keil zwischen Großstadt und ländlicher Raum getrieben. Bei den Protest wurde keine Kommunikation mit den Betreffenden geführt und wenn dann mal doch kommuniziert wurde kam nur Kritik die nicht passt oder Unverständnis. Die Mehrheit in Deutschland sind aufs Auto angewiesen selbst in Ballungsräumen von Großstädten. Dieser Protest war so lange gegen die Mehrheit der Bevölkerung das die Abneigung so groß wurde, das es schwer ist das wieder abzusetzen. Diese gesellschaftliche Spaltung ist mit einigen anderen Linken gruppen auf deren kosten passiert.

  • Sie haben mit aller Macht gegen die Bevölkerung gearbeitet.



    Null Motivation die Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen.



    Das konnte nichts werden.