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Testlabor des Grauens

Im Gazastreifen setzt das israelische Militär winzige bewaffnete Drohnen ein. Für ihren Einsatz gibt es bisher keinerlei Regeln

In Beit Hanun in Nordgaza fliehen die Menschen vor den jüngsten Attacken der israelischen Armee Foto: Hadi Daoud/imago

Aus Kairo Karim El-Gawhary

Sie sind klein, mobil und können von jeder israelischen Einheit im Gazastreifen mitgeführt und eingesetzt werden: sogenannte Quadcopter, also Mini-Drohnen mit vier kleinen Rotoren. Sie werden von Militärs weltweit genutzt und sind mit hochsensiblen Kameras zur Aufklärung ausgestattet.

Die Quadcopter, die im Gazastreifen eingesetzt werden, sind zu Mini-Todesdrohnen umgerüstet worden. Neben einer unter der Drohne aufmontierten automatischen Schnellfeuerwaffe führen sie oft winzige Raketen mit kleiner Sprengladung mit. Sie surren über die Gassen in Dschabalija, Beit Hanun oder Beit Lahija, in denen die israelische Armee seit über fünf Wochen am Boden operiert. Die israelische Armee sagt, die bewaffneten Quadcopter seien bei der Bekämpfung der Hamas im Einsatz. Doch in den letzten Wochen häufen sich die Berichte über Zivilisten, darunter auch Kinder, die von den Drohnen getötet wurden.

Sie traue sich mit ihren ­Kindern wegen der Quadcopter, die regelmäßig über die Straße vor ihrem Haus fliegen, kaum mehr aus dem Haus, berichtet Majda al-Adham der taz am Telefon. Sie lebt mit ihren acht Kindern in einer Wohnung in Dschabalija. Inzwischen existieren auch etliche Videos, in denen die Geräte im Einsatz zu sehen sind.

Am 12. November brachte der pensionierte renommierte britische Chirurg Nizam Mamode die Quadcopter bei einer Anhörung im britischen Parlament auf. Dort erzählte er von seinem Alltag im Nasser-Krankenhaus im Gazastreifen. Im August und September war er dort als Freiwilliger im Einsatz.

„Besonders verstörend war, dass überfüllte Zeltlager bombardiert wurden und dann kamen die Drohnen.“ Er machte sichtlich mitgenommen eine Pause, ihm wurde zugeredet, sich Zeit zu lassen. Offensichtlich kämpfte er darum, seine Fassung zu wahren. Dann führte er weiter aus: „Die Drohen kamen vom Himmel und gingen auf Zivilisten und Kinder los. Wir bekamen einen Bericht nach dem anderen. Tag für Tag operierten wir Kinder, die erzählten, dass sie am Boden lagen, nachdem ein Ort bombardiert wurde, und dass dann die Quad­copter kamen und über ihnen flogen und zu schießen begannen. Das geschah jeden Tag und mit Absicht.“ Die Ärzte können aufgrund der Einschusswunde bestimmen, ob der Schuss von einem Quadcopter kam.

Die Menschenrechtsorganisation Euro-Med Monitor in Genf hat ein Dutzend Fälle dokumentiert, bei denen Zivilisten durch den Beschuss von Quadcoptern getötet wurden. Einer der gravierendsten Fälle soll sich am 11. Februar ereignet haben, als Quadcopter, laut dem Bericht, in der Raschid-Straße in Gaza auf eine Menge schossen. Die Menschen standen dort für Mehl an.

Auch das israelische investigative Magazin „+972“ schrieb mehrfach von tödlichen Einsätzen der Quadcopter gegen Zivilisten, einschließlich in den von der israelischen Armee ausgewiesenen humanitären Zonen. Auch Journalisten vor Ort im Gazastreifen veröffentlichten in den letzten Wochen regelmäßig Berichte, wie Quadcopter die Zivilbevölkerung im nördlichen Gazastreifen terrorisieren.

Der Al-Jazeera-Korrespondent Hani Mahmoud berichtete am 11. November, dass die israelische Armee ein Evakuierungszentrum in Beit Hanun umstellt hatte und die Menschen aufforderte, von dort in Richtung Süden zu fliehen. „In dem Moment, in dem sie das Zentrum verließen, wurden sie von Quad­coptern beschossen, als eine Methode, sie einzuschüchtern“, schilderte er.

Der Investigativjournalist Antony Loewenstein hat ein Buch darüber geschrieben, wie die israelische Armee im Gazastreifen, im Libanon und im Westjordanland immer wieder neue Waffensysteme zum Einsatz bringt. „The Palestine Laboratory“ lautet der Titel. Loewenstein beschreibt darin, wie die israelisch besetzten Gebiete zu einem riesigen Kriegs- und Waffen-Experimentierfeld geworden sind. Seit dem 7. Oktober hat sich der Einsatz der Quad­copter enorm ausgeweitet, lautet Loewensteins Analyse. Er habe mit zahlreichen Zeugen gesprochen, die von den Drohnen angegriffen wurden, und mit Ärzten, die diese Verletzungen behandeln mussten.

Diese „Mini-Killerdrohnen“ verbreiten in Gaza Angst und Schrecken. Sie seien Teil des Gefühls der Palästinenser, nirgends sicher zu sein, sagte Loewenstein der taz. „Was Israel in Gaza mit den Quadcoptern macht, ist so etwas wie ein Feldversuch“, erklärt er. „Sie werden mit Sicherheit später bei anderen Konflikten zum Einsatz kommen.“ Gaza sei ein Modell. „Israel versucht bereits, diese Quadcopter an andere Staaten weiterzuverkaufen“, führt er weiter aus.

Es häufen sich Berichte, dass die tödlichen Drohnen gegen Zivilisten eingesetzt werden

Der Schlüssel für die israelische Wirtschaft, sagt Loewenstein, sei der Verteidigungs- und High-Tech-Sektor. Diese Branche ist umso wichtiger, als der Rest der Wirtschaft mit den Folgen des Krieges zu kämpfen hat. Die letzten Zahlen von 2023 zeigten, dass die israelische Waffenindustrie rund 13,1 Mil­liar­den US-Dollar wert sei. Und: Quadcopter seien eines der Geschäfte der Zukunft.

Unterdessen setzt die israelische Armee sie ein, ohne irgendwo darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Denn der Einsatz der „Mini-Killerdrohnen“ ist international nicht reguliert. „Ob in der Ukraine oder in Gaza, es gibt eigentlich keinerlei Regeln für deren Einsatz. Denn die mächtigen Staaten, die sie nutzen, haben keinerlei Interesse, das zu regulieren“, meint Loewenstein.

Gerade in sogenannten asymmetrischen Kriegen zwischen einer vom Staat eingesetzten Armee und nichtstaatlichen Akteuren mit Guerilla-Taktik sowie beim Niederschlagen von Aufständen dürften die bewaffneten Quadcopter ein wichtiges Kampfmittel der Zukunft werden. Gaza ist das Testlabor, aber sicherlich nicht der letzte Ort, an dem die tödlichen kleinen Drohnen zum Einsatz kommen.

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