Nicht mehr grün genug

Unzufrieden mit der Parteilinie: Grüne Stimmenkönigin Bayram verlässt den Bundestag

Von Erik Peter
und Tobias Schulze

Mit 37,9 Prozent der Stimmen holte sie bei der Bundestagswahl 2021 das beste Wahlkreisergebnis der Grünen. Jetzt hat sie ihren Rückzug aus dem Parlament angekündigt: Canan Bayram, Abgeordnete für den Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost, tritt 2025 nicht wieder an. Als Grund nennt sie ihre Unzufriedenheit mit Entwicklungen in der Partei.

Zum einen sagte Bayram der taz, sie könne wegen interner Vorkommnisse Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr garantieren, dass sie in ihrem Kreisverband „einen diskriminierungsfreien Raum vorfinden“. Details dazu nannte die 58-Jährige nicht. Zum anderen kritisierte sie den Kurs der Grünen auf Bundesebene. Sie könne „in Teilen nicht mehr sagen, was überhaupt noch grüne Positionen sind“, sagt Bayram. Entscheidungen der Bundestagsfraktion widersprächen zum Teil programmatischen Grundsätzen der Partei. Damit sei die „Glaubwürdigkeit der Grünen infrage gestellt“. Konkret sprach Bayram von Waffenlieferungen und rüstungspolitischen Entscheidungen, dem sozialen Mietrecht und der Migrationsdebatte. In den vergangenen Jahren stimmte Bayram mehrmals entgegen der Fraktionslinie ab, in der Fraktion hat das ihr zufolge aber „kein großes Nachdenken ausgelöst“.

Schon vor zwei Wochen hatte der Bundesvorstand der Grünen Jugend angekündigt, wegen inhaltlicher Differenzen aus der Partei auszutreten. Funk­tio­nä­r*in­nen mehrerer Landesverbände haben sich mittlerweile angeschlossen. Im Gegensatz dazu will Bayram außerhalb des Bundestags in der Partei aktiv bleiben, allerdings auch mit den Ausgetretenen aus der Jugend „in den Austausch treten“. Bis zum Ende der Legislaturperiode will sie ihr Mandat zudem weiter ausüben. Bayram ist derzeit Obfrau ihrer Fraktion im Rechtsausschuss.

Die Juristin saß seit 2006 zunächst für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. 2009 lief sie zu den Grünen über. Bundestagsabgeordnete ist sie seit 2017. Ihren Wahlkreis hatte sie damals von Hans-Christian Ströbele übernommen, der einst das erste Direktmandat für die Grünen überhaupt geholt hatte.

Im Bundestag hatte schon Ströbele oft gegen Entscheidungen der Partei- und Fraktionsspitze rebelliert. Im Wahlkampf 2002 hatte er in Abgrenzung zu Spitzenkandidat Joschka Fischer unter anderem mit dem Slogan geworben: „Ströbele wählen heißt Fischer quälen.“