Ende Gelände über Verfassungsschutz: „Das ist ein krasser Zustand“

Der Verfassungsschutz stuft Ende Gelände als linksextremen Verdachtsfall ein. Die Sprecherin der Organisation, Jule Fink, kritisiert die Entscheidung.

Menschen in weißen Schutzanzügen in einer steppigen Landschaft

Protestaktion gegen den Abriss des Dorfes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier 2021 Foto: Jochen Tack/imago

wochentaz: Jule Fink, fühlen Sie sich überwacht?

Jule Fink: Es ist schon gruselig, dass der Verfassungsschutz jetzt das Recht hat, uns zu überwachen und verdeckte Er­mitt­le­r*in­nen in unsere Gruppen einzuschleusen. Die Menschen, die sich fernab der Großstädte in kleinen Ortsgruppen engagieren, sind oft die einzigen in ihrer Region, die sich für Klimaschutz und gegen rechts einsetzen. Dass die sich jetzt genau angucken müssen, wer da eigentlich zu ihren Treffen kommt, macht uns wütend.

Ende Gelände wurde vor allem durch Aktionen und Blockaden in Braunkohlerevieren bekannt. Hat die Einstufung als linksextremer Verdachtsfall im aktuellen Verfassungsschutzbericht Sie überrascht?

Die Berliner Ortsgruppe wird schon seit 2020 als Verdachtsfall geführt, von daher: nicht besonders. Wir wussten natürlich, dass der Verfassungsschutz ein rechter Inlandsgeheimdienst ist, der sich beschönigend „Verfassungsschutz“ nennt. Die Vertuschung der NSU-Morde, der jahrelange Vorsitz von Hans-Georg Maaßen, das ist ja genau so bekannt wie die Tatsache, dass die Behörde lieber linken Ak­ti­vis­t*in­nen hinterherschnüffelt, als sich um die Wahrung der Grundrechte zu kümmern. Trotzdem ist es ein Skandal.

Jule Fink, 23, ist Sprecherin von Ende Gelände und studiert Sozialwissenschaften in Berlin. Sie engagiert sich seit 2019 in der Klimabewegung.

Ist Ende Gelände linksradikal?

Wir verstehen uns als anti­kapitalistische, antifaschistische, feministische und anti­koloniale Gruppe. Das kann man als linksradikal bezeichnen. Wir sind basisdemokratisch, viele Treffen sind offen. Uns als extremistisch darzustellen, ist einer Demokratie unwürdig. Es ist besorgniserregend, wie die Klima­bewegung zunehmend kriminalisiert wird.

Ist der Verfassungsschutz nicht etwas spät dran? Der Höhepunkt von Ende Gelände ist doch vorbei.

Das würde ich so nicht sagen. Ende Gelände hat sich in den vergangenen Monaten umstrukturiert. Wir haben viele regionale Strukturen aufgebaut und machen nicht mehr eine Massenaktion pro Jahr, sondern mehrere. Insofern sind wir flexibler und unberechenbarer geworden. Aber ich kenne die Kriterien des Verfassungsschutzes nicht. Wenn ich mir den Bericht durchlese, scheinen sie mir sehr fragwürdig.

Was war der Auslöser für den Umstrukturierungsprozess?

Wir haben festgestellt, dass eine Massenaktion mit rund 6.000 Menschen, wie im Jahr 2019, eine starke Protestform ist, um die Aufmerksamkeit auf einen Ort der fossilen Zerstörung zu lenken, wie die Kohletagebaue im Rheinland. Es bedeutet aber auch einen enormen Organisierungsaufwand und ist relativ vorhersehbar. Wir wollten uns in die Lage versetzen, flexibler zu intervenieren. Auch als klar wurde, in welchem Maße Deutschland gerade mit den LNG-Terminals für Flüssiggas neue fossile Infrastruktur ausbaut.

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Was ist dieses Jahr noch geplant?

Wir bringen uns dieses Wochenende bei den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Essen unter dem Motto „Widersetzen“ ein, außerdem gibt es im August wieder ein „System Change Camp“. Das wird dieses Mal in Thüringen stattfinden, wir werden uns dort sicher auch viel mit Strategien gegen rechts beschäftigen. Wie vielen in der Klimabewegung ist es uns ein Anliegen, die Bereiche Verkehrswende und Mobilität zu thematisieren, weil es da so große Versäumnisse gibt. Ansonsten wollen wir uns weiter auf den krassen LNG-Ausbau konzentrieren und auch Kohle als Thema beibehalten.

Am „System Change Camp“, also dem jährlich stattfindenden Klimacamp von Ende Gelände, stört sich der Verfassungsschutz in seinem Bericht besonders.

Auf den Camps veranstalten wir unter anderem Workshops zu den Themen Antikolonialismus, Klimagerechtigkeit oder der Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftssystems. Das jetzt so darzustellen, als wäre es gegen die Verfassung, ist absurd. Die Verfassung schützt nicht kapitalistische Profite, sondern Grundrechte.

Das Bundesamt behauptet, linksextreme Gruppen nutzten Klimaproteste als Zugang ins bürgerliche Spektrum. Was entgegnen Sie?

Das klingt wie eine absurde Verschwörungstheorie. Dass Klimagerechtigkeit im Kapitalismus nicht möglich ist, hat der Club of Rome schon in den 80ern festgestellt, es ist keine extreme Position. Diejenigen Kräfte im Staat, die die Interessen fossiler Konzerne schützen wollen, propagieren oft vereinfachende Konzepte wie grünen Wasserstoff oder E-Autos als Lösung. Wir müssen aber grundsätzliche Fragen stellen, etwa nach Wachstum und planetaren Grenzen. Dafür gibt es auch Rückhalt in bürgerlichen Gesellschaftsschichten.

Die Behörde darf Sie jetzt mit geheimdienstlichen Methoden überwachen, etwa die Kommunikation auslesen. Wie sehr schränkt Sie das in Ihrer Arbeit ein?

Das sind Repressionen, die uns unter Druck setzen und in unserer Arbeit behindern sollen. Natürlich erhöhen sie den Druck. Für uns ist aber klar, dass wir weitermachen und einen Umgang damit finden werden. Wir müssen uns mit sichereren Kommunikationskanälen auseinandersetzen und uns genau anschauen, wer was von uns wissen möchte.

Bedeutet es, dass Ihre Arbeitsweise konspirativer wird?

Nicht unbedingt. Aber es ist ein riesiges Problem, dass ziviles Engagement auf diese Art kriminalisiert wird. Vor allem in einer Zeit, in der wir einen Rechtsruck erleben. Viele Menschen wollen sich engagieren und die Bundesregierung ermutigt sie sogar dazu. Aber in unserem Fall ist es unerwünscht und wird mit Repression beantwortet.

Aber die Proteste gegen rechts nützen auch der Klimabewegung.

Wir als Klimabewegung brauchen dieses Aufstehen gegen rechts und bringen uns ja auch stark ein. Gleichzeitig nutzen die Parteien und Gruppen, die im Interesse der fossilen Industrie handeln, jeden Moment, um die Bewegung weiter zu kriminalisieren. Das sieht man auch an den Ermittlungen gegen die Letzte Generation oder an der Art, wie über die Proteste in Lützerath gesprochen wurde.

Bringt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz die Klimabewegung, in der es ja ziemliche Differenzen gibt, wieder ein Stück weit näher zusammen?

Wir stehen auf jeden Fall solidarisch zueinander. Viele Ak­ti­vis­t*in­nen müssen sich jahrelang mit Verfahren gegen sie herumschlagen. Die Letzte Generation bietet Trainings an, wie man sich im Gefängnis verhält. Konzerne wie die Braunkohlegesellschaft Mibrag schrecken auch nicht davor zurück, Jour­na­lis­t*in­nen und Pres­se­spre­che­r*in­nen anzuzeigen, die die Proteste dokumentieren. Wenn dann auch noch Druck von staatlicher Seite kommt, ist das schon ein krasser Zustand.

Muss die Klimabewegung gemocht werden, um erfolgreich zu sein?

Es bringt uns in gewissen Kreisen vielleicht Anerkennung, dass das rechte Bundesamt für Verfassungsschutz uns für unsere Vision auszeichnet. Aber unser Kampf für Veränderung gilt für die ganze Gesellschaft. Wir wollen alle einladen und mitnehmen, die Gesellschaft hin zu einer besseren zu gestalten – und wir wollen auf jeden Fall gemocht werden. Gleichzeitig sind die Machtverhältnisse eben sehr ungleich. Diejenigen, die daran arbeiten, dass die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, tun viel dafür, uns in die kriminelle Ecke zu stellen. Dort weiter zu stören, ist eine wichtige Aufgabe.

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