Fridays for Future im Ausnahmezustand: Klimabewegung zerrissen
Die Nahostdebatte heizt bestehende Konflikte um Antisemitismus und Rassismus bei Fridays for Future an. Hat die Bewegung so eine Zukunft?
Unzählige linke Gruppen, autonome Zentren, Hausprojekte und Freundeskreise haben sich schon über den Nahostkonflikt zerlegt. Jetzt hat die von den Gräueltaten der Hamas verursachte Eskalation im Nahen Osten die Klimabewegung eingeholt. Seit Fridays for Future (FFF) international am 26. Oktober ein Statement in den sozialen Netzwerken verbreitet hat, ist die deutsche Sektion der Bewegung um Distanzierung und Schadensbegrenzung bemüht.
Der internationale Account hatte Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen als Genozid an den Palästinenser*innen bezeichnet und vor der „Gehirnwäsche“ westlicher Medien gewarnt, die proisraelische Fake News verbreiten würden.
FFF Deutschland distanzierte sich umgehend und betonte, der Post sei nicht abgestimmt worden und stehe im Widerspruch mit den eigenen Überzeugungen und Inhalten. „Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar“, stellten die deutschen Fridays klar und riefen zur Solidarität mit von Antisemitismus betroffenen Menschen auf.
Deutsche auf Rückzug
Doch der Schaden ist angerichtet. International ist die Bewegung gespalten. Greta Thunberg positionierte sich in mehreren Social-Media-Beiträgen an der Seite der Palästinenser*innen. Luisa Neubauer, prominente Stimme von FFF Deutschland, sagte im Interview mit dem Zeit Magazin, sie sei persönlich enttäuscht von Thunberg.
Die Schwedin hingegen steht mit ihrer Haltung nicht allein da. Auch die Gruppe der Mapa, bei der sich Mitglieder aus dem Globalen Süden sowie Schwarze, Indigene und People of Colour (BIPOC) aus dem Norden innerhalb von FFF organisieren, rief zum Widerstand gegen den „Genozid in Gaza“ auf.
Seitdem steht die Klimagruppe im Kreuzfeuer. Zahlreiche Stimmen aus Politik und Medien, darunter die Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprachen von einem schweren Vertrauensverlust und vom Ende der Bewegung.
Luisa Neubauer versicherte gegenüber dem Spiegel, sie werde sich persönlich dafür einsetzen, dass die deutsche Sektion sich aus der internationalen Vernetzung zurückziehe, bis das Thema geklärt sei.
Gibt es einen Wertekonsenses zwischen den Ablegern?
Doch was bedeutet das? „Die internationale Zusammenarbeit war immer eine Stärke der Klimabewegung“, sagt Carla Reemtsma. „Da ist jetzt einiges zerbrochen.“ FFF Deutschland müsse genau evaluieren, wo es einen gemeinsamen Wertekonsens gebe, welche Strukturen bestehen bleiben und welche man neu aufbauen müsse.
Anders als bei FFF Deutschland gebe es allerdings auf internationaler Ebene kein Plenum oder formelle Strukturen. Internationale Kampagnen seien in losen Arbeitsgruppen organisiert und für einige Länder fehlten Personen, die für alle Ortsgruppen sprechen könnten.
Deshalb sei es ein Prozess, herauszufinden, wie transnationale Zusammenarbeit auf Basis eines Wertekonsenses konkret aussehen könne. Damit habe man in den vergangenen Tagen begonnen. „Es ist in Ordnung, dass es innerhalb politischer Gruppen Ambivalenzen gibt – solange sie auf einem geteilten Wertefundament aufbauen“, sagt Reemtsma. Doch normalerweise brauche es Zeit, diese Spannungsfelder auszuhandeln. Diese Zeit habe Fridays for Future nicht, sondern stehe enorm unter Druck.
Wer sich in den Ortsgruppen von FFF umhört, bekommt genau diesen Eindruck. Viele wollen gegenüber der Presse gar nichts sagen, sondern verweisen nur auf das abgestimmte Statement, in dem sich FFF Deutschland von den antisemitischen Äußerungen der internationalen Gruppen abgrenzt.
Workshops zur Aufklärung
Was aber auch klar wird: An keiner Ortsgruppe geht der Konflikt spurlos vorbei. In Köln, Magdeburg, Bremen oder Berlin wird diskutiert. Oft herrscht angesichts Komplexität und Sprengkraft des Themas Verunsicherung unter den jungen Mitgliedern. Dem will man mit Aufklärung begegnen, etwa in Workshops zusammen mit der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Carla Reemtsma
Der Antisemitismus-Eklat hat FFF zur Unzeit getroffen. Die Bewegung war in den vergangenen Monaten ohnehin geschwächt. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine interessieren sich die Deutschen mehr für Waffenlieferungen als für Klimaschutz, dann kam mit der Letzten Generation Konkurrenz aus den eigenen Reihen.
Doch seit dem Hamas-Massaker und der israelischen Vergeltung schaffen es nicht mal mehr die Klebeaktivist*innen, noch irgendwelche Gemüter zu erregen. Im aktuellen Nachrichtengeschehen findet der Klimaaktivismus nur wenig Platz.
„Ich finde es erschreckend, wie viel jetzt über Fridays for Future gesprochen wird“, sagt Dominik Lange von der Bremer Ortsgruppe. Viel wichtiger sei es, die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen. Progressive Israelis und Palästinenser*innen, die etwa für eine Zweistaatenlösung seien, würden kaum gehört. Ob die Bewegung jetzt vor dem Aus stünde, sei derzeit nicht abzuschätzen, sagt Lange – er hoffe natürlich, es werde weitergehen.
Wohl nicht das Ende von FFF
Lange gründete die Ortsgruppe im Juli mit anderen neu, nachdem sich die alte Gruppe mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert gesehen hatte. Die alte Gruppe warf daraufhin der Bundesebene Rassismus vor und löste sich auf. Im Oktober tat es ihr die Marburger Ortsgruppe gleich, ebenfalls nicht ohne der Bundesebene vorher Rassismus vorzuwerfen.
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Der Riss durch die Klimabewegung wird so schnell nicht wieder verschwinden. Darauf, dass die Bewegung vor ihrem Ende steht, deutet derzeit allerdings wenig hin. Die meisten Klimaschützer*innen dürften nicht bereit sein, alles aufzugeben, was sie aufgebaut haben – auch wenn sich eine so komplexe Thematik wie der Nahostkonflikt und der Umgang damit nicht von heute auf morgen aufarbeiten lassen.
Unendlich viel Zeit haben die Fridays allerdings auch nicht. Im Frühjahr steht der nächste globale Streik an. Wenn FFF Deutschland sich wieder daran beteiligen will, muss die internationale Zusammenarbeit funktionieren.
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