Ein lange geplanter Angriff

Der ukrainische Militärgeheimdienst veröffentlicht ein Papier, wonach Russland alle ukrainischen Getreideexporte behindern will

Von Barbara Oertel

Russlands Ziel war und ist eindeutig: Getreideexporte aus der Ukraine maximal zu behindern und möglichst komplett zum Erliegen zu bringen. Eine Handlungsanweisung dafür, die Teil eines mehrstufigen Planes ist, wurde jetzt vom Militärgeheimdienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums (GUR) veröffentlicht. Sie findet sich auf mehreren ukrainischen Webseiten, darunter dem Nachrichtenportal Ukrainska Pravda.

Das geheime Papier richtet sich an Russlands politische und militärische Führung und legt Regeln für die Arbeit der russischen Vertreter im Gemeinsamen Koordinierungszentrum in Istanbul fest. Die Einrichtung des Zentrums ist Bestandteil der sogenannten „Schwarzmeer-Ini­tiative“, die nach Vermittlung der Türkei und der UNO am 22. Juli 2022 in Kraft trat und den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer sicherstellen soll.

Zur Sabotage dieses Vorhabens sind, laut des Dokuments, mehrere Hebel eingesetzt worden. Die vorübergehende Aussetzung des Abkommens zwischen dem 29. Oktober und 3. November 2022 habe dazu geführt, dass die Exporte von 4,2 Millionen Tonnen (Oktober) auf 2,6 Millionen Tonnen (November) gefallen seien. Die Anzahl von Schiffen sei reduziert, Registrierungen sowie Inspektionen verzögert worden. Den niedrigsten Stand hätten die Exporte im Zeitraum zwischen dem 19. März und dem 17. Juli 2023 erreicht: 7,8 Millionen Tonnen. „Das angesammelte Archiv an Wissen wird es ermöglichen, bei der Lösung derartiger Probleme eine hohe Effizienz in kürzester Zeit zu erreichen“, heißt es in dem Bericht weiter.

Am 17. Juli hatte Russland seine Entscheidung bekannt gegeben, das Getreideabkommen nicht zu verlängern – es sei denn zu seinen Bedingungen. Dazu gehört anderem, die hauseigene Agrarbank wieder an den internationalen Zahlungsverkehr Swift anzuschließen. Das würde eine Lockerung der Sanktionen bedeuten. Kyjiw hatte daraufhin angekündigt, die Exporte fortzusetzen und sich um alternative Lieferrouten zu bemühen.

Am Dienstag hieß es aus Moskau, man sehe vorerst weiter keine Möglichkeit, das Getreideabkommen mit der Ukraine wieder aufzunehmen. Ein entsprechender Vorschlag von UN-Generalsekretär Anton Guterres sei nicht auf die Hauptbeschwerde Russlands eingegangen, dass es keine Fortschritte beim Abkommen gegeben habe.

Stattdessen wird der Plan des Kreml weiter abgearbeitet. Massiven Bombardements von Odessa und Mykolajiw, bei denen vor allem Hafenanlagen und Getreidesilos zerstört wurden, folgten in der Nacht zu Montag erstmals Angriffe auf ukrainische Häfen an der Donau beziehungsweise die Städte Reni und Ismajil, nicht weit entfernt von der Grenze zum Nato-Mitglied Rumänien, im Falle Ismajils auch zur Republik Moldau. Der Angriff auf Reni erfolgte mit iranischen Drohnen.

Andrei Sizow vom russischen Webportal für Agrarfragen Sowekon, den der russischsprachige Dienst der BBC zitiert, spricht von einer schnellen Eskalation der Ereignisse. Die Angriffe auf die Donauterminals seien ein ernsteres Ereignis als jene auf Odessa, die vorhersehbar gewesen seien. Die Donau sei eine wichtige Exportroute mit einer monatlichen Umschlagskapazität von mehr als 2 Millionen Tonne, schrieb Sizow auf Twitter.

Die Angriffe auf die Donauterminals seien ein ernsteres Ereignis als jene auf Odessa

Alarmiert zeigte sich auch Rumäniens Staatschef Klaus Johannis, der den Angriff verurteilte und von ernsthaften Sicherheitsrisiken im Schwarzen Meer sprach. „Diese Eskalation wirkt sich auch auf den künftigen Getreidetransit aus der Ukraine aus und folglich auf die globale Ernährungssicherheit“, schrieb er in den sozialen Netzwerken.

Laut des US-Nachrichten- und Medienunternehmens Bloomberg seien bereits jetzt erste konkrete Auswirkungen der Angriffe festzustellen. So seien beispielsweise die Börsenpreise für Weizen in Chicago spürbar gestiegen – für einen Scheffel (27,2 Kilogramm) um 2,6 Prozent auf 7,7 US-Dollar.

Unterdessen machte sich der Sprecher des US-State-Departments. Matthew Miller, über ein weiteres Szenario Gedanken. Washington lägen Informationen vor, wonach Russland Operationen unter falscher Flagge vorbereite, sagte er bei einer Pressekonferen