Frauenfeindliche Energiesparmaßnahmen: Frieren für die Männer

Immer noch werden in erster Linie Frauen Unannehmlichkeiten abverlangt, damit Männer Krieg führen können. Das fängt beim Energiesparplan an.

Portrait zweier frierender Menschen, die dicke Jacken und Mützen tragen vor dem East River in Brooklyn

Wie wäre es mit Tempo- statt Temperaturlimit? Foto: Anja Lubitz/plainpicture

So, jetzt mal doch die verhasste Biologie. Denn manche Maßnahmen, die frauenfeindlich sind, sind dies, weil sie sich sehr direkt aufs körperliche Wohl- oder Unwohlbefinden auswirken – auf physiologische, geschlechtlich markant voneinander abweichende Phänomene. Zum Beispiel der Kabinettsbeschluss zum Energiesparen; er ist frauenfeindlich.

Das Beleuchtungsverbot wird von manchen bereits so gelesen, natürlich zuallererst von der gebeutelten Lichtverschmutzungs-, vulgo Leuchtreklameindustrie. Wegen des subjektiven Sicherheitsempfindens und so. Und auch darüber wäre in einer besseren Welt sicher nachzudenken. Aber hart und durch mehrere empirische Studien objektiviert betrifft die Absenkung der Bürotemperatur Frauen: Im Durchschnitt haben weibliche menschliche Körper weniger Blut, sie haben weniger Muskelmasse, und sie haben dünnere Haut.

Die Differenz der mittleren Wärmeenergieproduktion haben die niederländischen Forscher Boris Kingma und Wouter van Marken Lichtenbelt von der Universität Maastricht vor ein paar Jahren auf 12 Watt pro Quadratmeter Körperfläche beziffert. Das bedeutet: Frauen frieren schneller. Und wer friert, wird schneller krank.

Schon die aktuellen gesetzlichen Standards sind wie so vieles komplett am Bedürfnis männlicher Körper ausgerichtet. Die können optimal bei rund 22 Grad Raumtemperatur arbeiten, bei Frauen sind es zwei bis drei Grad mehr. Eine auf den Sommer bezogene geschlechtergerechte Energiesparmaßnahme wäre insofern das Verbot gewesen, die Räume per Klimaanlage auf Temperaturen unter 24 Grad zu kühlen. In your face, Putin. Um das zu diskutieren, ist es natürlich jetzt zu spät.

Zum Ärgernis wird die Maßnahme aber im Hinblick darauf, was gleichzeitig an möglichen Maßnahmen nicht verordnet wird. Das prominenteste und effizienteste Beispiel ist die Komplettverweigerung, ein Tempolimit einzuführen. Dass Rasen auf der Autobahn ein mehrheitlich von Personen an den Tag gelegtes Verhalten ist, die sich gerne besonders männlich gelesen sehen, ist auch durch Zahlen und Figuren statistisch unterfüttert.

Ja, anderes Ressort, aber dasselbe Kabinett – und eben eine Schnittstelle der Kompetenzen. Weil ja doch der Energieverbrauch Sache Robert Habecks (Grüne) und nicht des Ministers für Essens­foto­beschränkung, ­Schildermangel und Kraftfahrzeuge Volker Wissing (FDP) ist. Dass der Gescheitere nachgibt, begründet die Weltherrschaft der Dummheit, hat die schlaue, aber heute vergessene Marie von Ebner Eschenbach mal festgestellt.

Das wäre so weit normal, fast wie ein Naturgesetz und darum nicht der Rede wert, wenn sich diese Beschlusslage nicht durch eine besondere Geschlechterasymmetrie auszeichnen würde. Denn während die Absenkung der Mindesttemperatur negative gesundheitliche Auswirkungen insbesondere für Frauen haben kann, ist das Gegenteil bei einem Tempo­limit der Fall, wie die Verkehrstotenzahlen nachdrücklich belegen. Darüber hinaus wäre es ja sogar so, dass auch die seelische Gesundheit derjenigen, die meinen, sie müssten sich durch besonders tollkühnes Schnellfahren in ihrer geschlechtlichen Identität beweisen, dank Tempolimit entlastet werden könnte.

Es gibt ja Männer, vielleicht sind es alle, die unter diesen ­obszönen Forderungen ihres Rollenbildes leiden (wenn auch meist nur heimlich). Zu denen im Übrigen auch die nach der Fähigkeit gehört, besonders kalt duschen zu können und ohnehin ­temperaturunempfindlich zu sein und erst bei minus 20 Grad darüber nachzudenken, ob ein Pulli überm T-Shirt sinnvoll ist: Mann ist schließlich keine Memme, sondern Bürohengst. Ich rede hier übrigens nur von mir selbst.

Nein, 19 Grad sind nicht unmenschlich, die Absenkung wird zu deutlich weniger Toten führen, als ein Tempolimit verhindern würde, also alles im grünen Bereich, höhö. Aber die triste Wahrheit ist, dass die Bundesregierung maximal unsensibel ein altes, reaktionäres Narrativ fortsetzt mit diesen Beschlüssen: Immer noch werden in erster Linie Frauen Opfer abverlangt, damit Männer Krieg führen können – und sei es ersatzweise nur auf der Autobahn.

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Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

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