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Fehler der UkraineNicht zu rechtfertigen

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Die Ukraine bekämpft einen Aggressor. Doch das entschuldigt nicht eigenes Fehlverhalten. Über ein verstörendes Video und unnötige Parteiverbote.

Graffiti mit dem Gesicht Putins. „Sieg der Ukraine“ bedeutet die Schrift Foto: Vadim Ghirda/ap

D ie Ukraine verteidigt sich nicht nur gegen einen Aggressor, sie verteidigt auch europäische Werte, heißt es immer wieder aus Kiew. Das stimmt, doch gleichzeitig sind Entwicklungen zu beobachten, die so gar nicht zu diesem Leitsatz passen und die der Glaubwürdigkeit des Landes Schaden zufügen könnten.

Ein Beispiel: Derzeit macht ein Video in den ukrainischen sozialen Netzen die Runde. Es zeigt russische Kriegsgefangene zusammengepfercht und mit verbundenen Augen auf dem Boden liegend, vor ihnen steht wie ein Dirigent ein ukrainischer Soldat, schreit auf sie ein. Und die Gefangenen singen die ukrainische Nationalhymne.

Natürlich tun sie das nicht freiwillig. Der ukrainische Soldat, der sie auffordert, lauter zu singen, weiß, wie er sich einen lauten Chor erzwingen kann. Derartige Bilder mögen für die vom russischen Überfall geschundenen ukrainischen Seelen Balsam sein. Doch sie spielen Putin in die Hände, der mit derartigen Bildern das eigene Volk aufputschen kann.

Kürzlich haben der Nationale Sicherheitsrat und Präsident Wolodimir Selenski elf politische Parteien verboten. Ihnen allen werden Beziehungen zu Russland vorgeworfen. Verfassungsrechtlich ist das Verbot durch das Kriegsrecht zwar gedeckt, aber ist es Ausdruck einer liberalen Grundhaltung? In Umfragen wurde die mit 44 von 450 Abgeordneten in Parlament vertretene Partei „Oppositionsplattform für das Leben“, die nun verboten ist, zeitweise mit 17 Prozent Zustimmung gehandelt.

Bernhard Clasen

Jahrgang 1957, ist Ukraine-Korrespondent der taz und spricht Russisch und Ukrainisch. Er hat sich lange in den Bereichen Frieden, Menschen­rechte, Anti-AKW engagiert. Er arbeitet mit Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen in der ehemaligen UdSSR und in Deutschland zusammen.

Es ist ein Fehler der ukrainischen Regierenden, viele ihrer Kritiker als „prorussisch“ auszugrenzen. Genauso wie Russlands Herrscher Wladimir Putin hat sich auch das Umfeld von Selenski geirrt: Die meisten der vermeintlich „prorussischen“ Gegner des ukrainischen Präsidenten sind keine 5. Kolonne Moskaus. Und das haben sie in den ersten Wochen des russischen Überfalls auf die Ukraine auch längst bewiesen.

Am 20. August 2021 hatte der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine das Selenski-kritische Portal strana.ua landesweit gesperrt. Auch wenn offiziell keine Begründung für diese Zensur angegeben wurde, war der Grund klar: Das Portal galt als „prorussisch“ und so etwas wollte man nicht haben. Doch wer strana.best, wie es sich jetzt nennt, in diesen Tagen liest, kann kaum noch einen Unterschied zu „proukrainischen“ Medien feststellen.

Es ist ein Fehler der ukrainischen Regierenden, viele ihrer Kritiker als prorussisch auszugrenzen

Wohl kaum ein ukrainischer Politiker hatte so das Label „prorussisch“ an seinem Image haften wie der Politiker Oleksander Wilkul, derzeit Leiter der Militärverwaltung von Krywyj Rih. Er ist Mitglied der Werchowna Rada und war von Dezember 2012 bis zum 27. Februar 2014 unter Wiktor Janukowitsch stellvertretender Ministerpräsident der Ukraine.

Als vor wenigen Tagen sein ehemaliger Parteifreund Oleg Zarew, der inzwischen auf der Seite der Russen steht, ihm eine Zusammenarbeit mit den vor Krywyj Rih stehenden russischen Truppen vorschlug, erwiderte Wilkul ihm nur: „Verpiss dich, du Verräter.“ Und der „prorussische“ Politiker Michail Dopkin, ehemaliger Bürgermeister von Charkiw und 2014 noch ein Gegner der Maidan-Bewegung, hatte sich kurz nach dem russischen Überfall auf die Seite von Präsident Selenski und der ukrainischen Armee gestellt.

Chance zur Versöhnung

Ähnlich verhielten sich das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine, Metropolit Onufri, und der Schwergewichtsprofiboxer Oleksandr Usyk. Der beste Boxer der Welt, dem man immer wieder Sympathien für Russland unterstellt hatte, hatte sich sofort nach Beginn des Überfalls mit dem Gewehr in der Hand der ukrainischen Landesverteidigung angeschlossen.

Niemand aus dem sogenannten „prorussischen Milieu“ der Ukraine hat die russischen Besatzer mit Blumen empfangen. Deswegen ist es ein Fehler, diese Kräfte mit Verboten auszugrenzen. Vielmehr sollte die Regierung sie noch mehr einbinden. Jedes Besatzerregime braucht für eine Besatzung ein Mindestmaß von Unterstützung eines Teils der Bevölkerung. Diese Unterstützung hatte man sich in Russland wohl von den sogenannten „prorussischen“ Kräften erhofft.

Aufgabe der ukrainischen Regierung ist es jetzt, diese Kreise für sich zu gewinnen. Gelingt das der Regierung, nimmt sie der russischen Propaganda den Wind aus den Segeln. Gerade jetzt, so der Charkiwer Journalist Stanislaw Kibalnyk, gibt es im Angesicht des russischen Überfalls die Chance, die Kluft zwischen den verfeindeten ukrainischen Milieus von „prorussischen“ und „proukrainischen“ Kräften zu überwinden.

Die Fehler der „Guten“

Am 2. Mai 2014 wurden Dutzende „prorussicher“ Demonstranten im Gewerkschaftshaus von Odessa verbrannt. Dieser Brand ist auch heute ein weitgehend unbearbeitetes Trauma in der ukrainischen Gesellschaft. Während der prowestlichen Opfer des Maidan mit Denkmälern und Straßennamen gedacht wird, unterdrücken die ukrainischen Behörden jedes Erinnern an diese Opfer.

Mehrmals versuchten Angehörige der Opfer von Odessa, ein Denkmal für die Toten zu errichten, und immer wieder scheiterten sie am Widerstand der Behörden. Die Errichtung eines Denkmals für die Opfer von Odessa, Worte von Präsident Selenski an die trauernden Angehörigen des Brandes vom 2. Mai 2014 wären ein Balsam für ein friedliches Zusammenleben verfeindeter Milieus und gleichzeitig ein Imagegewinn für die Ukraine.

In jedem Krieg kommt es zu Verbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Fehlentscheidungen – auch auf der Seite der „Guten“. Nicht alles lässt sich unter Bombenhagel und angesichts abgeschnittener Kommunikationswege verhindern. Die ukrainische Regierung wäre jedoch gut beraten, sich dem unzweideutig entgegenzustellen und sich von allem fernzuhalten, was mit demokratischen Werten schwer vereinbar ist. Man kann nicht für Ideale kämpfen, für die man selbst nicht einsteht.

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48 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Paula , Moderatorin

    Wir haben die Kommentarfunktion für diesen Artikel geschlossen. Vielen Dank für die Beiträge.

     

  • Ich möchte Euch zu diesem Thema dieses Interview mit einer Schweizer Spitzen-Diplomatin ans Herz legen. Sie hat in russischen Kriegen vermittelt.



    www.nzz.ch/schweiz...ewtab-global-de-DE

  • Es empfiehlt sich, nochmals den Artikel „Präsident mit Oligarchennähe in der SZ vom 03. Oktober 2021 zu lesen. So strahlend weiß ist Selenski‘ s Weste halt doch nicht.

  • Jede Medaille hat 2 Seiten.

  • Dass die Misshandlung von Kriegsgefangenen durch nichts zu rechtfertigen ist, ist ja wohl klar. Hat soweit ich weiß auch niemand ernsthaft versucht. Deswegen verstehe ich hier die Stoßrichtung des Artikels nicht. Zumal der Autor ja selber sieht, dass das zur Realität eines Krieges gehört: "In jedem Krieg kommt es zu Verbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Fehlentscheidungen – auch auf der Seite der „Guten“."

    Und das Verbot von Parteien die in der Vergangenheit pro-russische Positionen vertreten haben und die Zensur ist denke ich einfach eine strategische Entscheidung, u.a. um weiterhin den Propagandakrieg zu gewinnen. Das ist ein Teil der Verteidigungsanstrengungen und im Moment für die Ukraine eben wichtiger als Pressefreiheit. Nachvollziehbare Güterabwägung finde ich.

  • "Doch wer strana.best, wie es sich jetzt nennt, in diesen Tagen liest."

    Der Link führt zur Homepage einer Kiever Augenklinik. Fehler des Autors, oder sind ukrainische Hacker am Werk?

  • Danke für diesen überfälligen Kommentar. Wenn man in den sozialen Medien sowohl den Angriffskrieg Putins veruteilt und gegen die russische Propagandamaschinerie wendet als auch Unrecht auf der ukrainischen Seite benennt wird man gleichzeitig als Putin-Troll und als russophober Hetzer bewertet.

    Die russische Propaganda "performt" außerhalb Russlands außerordentlich schlecht und wenn nun die berüchtigte Wagner-Gruppe eingesetzt wird bricht das Lügengebäude von der "Entnazifizierung" endgültig zusammen.

    Aber auch auf der ukrainischen Seite gibt es Propaganda, die teilweise alle Russen zu entmenschlichen versucht. Dazu zählen das im Kommentar genannte Video, Bilder von toten russischen Soldaten mit Jubel-Kommentaren darunter, aber auch Versuche Russen, die gegen den Krieg sind, zu diskreditieren - wie z.B. Marina Owsjannikowa (die Frau mit dem Protestschild im russischen TV), der immer noch unterstellt wird, sie sei eine Agentin des russischen Geheimdienstes. Die Botschaft: Es gibt keine guten Russen, es sind alles Bestien. Höhepunkt war nun die Absage des ukrainischen Botschafters für das Soli-Konzert beim Bundespräsidenten mit der Begründung, dass dort russische Solisten teilnähmen. "Gute" Russen darf es nicht geben.

    Das alles ist in der derzeitigen Situation vielleicht nachvollziehbar, richtig wird es dadurch aber nicht.

  • Über Fehler der Ukraine kann man reden, wenn das Morden vorbei ist. Es gibt keine reinen „Engelsstaaten“.



    Aber jetzt sterben jeden Tag Menschen einschließlich unschuldiger Kinder, wird das Land in Teilen dem Erdboden gleich gemacht, wird das Land täglich mit Lügen überzogen.



    Hätte man den Frieden andauern lassen, wäre Raum für Diskussionen gegeben gewesen. Wird sich Russland die Ukraine einverleiben, dann reden wir noch über ganz andere Menschenrechtsverletzungen.

    • @snowgoose:

      Nein! Wer über russische Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen - die unstrittig ganz andere Ausmaße angenommen haben - berichten will, untergräbt seine eigene Glaubwürdigkeit, wenn er über offensichtliches Fehlverhalten der ukrainischen Seite - die ansonsten meine uneingeschränkte Sympathie besitzt - hinwegsieht. Zumal ich glaube, dass die ukrainische Regierung und Militärführung bei einem negativen Presseecho noch eher zu Korrekturen in der Lage ist.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @snowgoose:

      „Aber jetzt sterben jeden Tag Menschen einschließlich unschuldiger Kinder“



      Wissen Sie, was eine „Killerphrase“ ist? de.wikipedia.org/wiki/Totschlagargument



      (z.B.: „Lasst uns darüber ein andermal reden …“)

    • @snowgoose:

      Ich finde, man sollte ruhig auch im Blick haben, was in der Ukraine und in der Politik dort vor sich geht. Es wäre falsch, das Land jetzt als ein ideales Land (nämlich demokratisch, unkorrupt, nicht-nationalistisch). Trotzdem sollte man natürlich helfen.

    • @snowgoose:

      Da schließe ich mich mal an.

      • @Jim Hawkins:

        Das ist das nach Ansicht der ukrainischen Politikwissenschaftlerin Maryna Shevtsova klassisch ukrainische "Jetzt-ist-nicht-die-Zeit-dafür"-Narrativ, das sich momentan inflationsartig unter Kriegsbefürwortern verbreitet. Sehr gefährliche Ideologie.



        www.zeit.de/zett/q...aine-militaer-mann

        @Jim Hawkins: Sollte man nicht machen.

      • @Jim Hawkins:

        Da widerspreche ich. Ich halte solche Artikel für wichtig.



        Welche Gründe gibt es denn, das zurückzuhalten? Was würde es bringen? Selbstzensur ist auf Dauer nicht glaubwürdig.



        Die Putinisten würden nur "Zensur auch in Westen!" schrei(b)en. Verschwörungstheorien würden noch prächtiger blühen und Lügen erst Recht geglaubt.



        Das es natürlich Leute gibt, die prompt eine Schuld der Ukraine auf den gegen sie geführten Angriffskrieg herbeifantasieren kann man ja aushalten.



        Wenn es zu wild wird, können die Kommentare ja ausgeschaltet werden.

  • 'Nicht zu rechtfertigen.'



    Hat denn jemand die aufgezählten Vergehen gerechtfertigt?



    Wenn ja, wer und wie?



    Wenn nicht, welches ist das Motiv, auf einen nicht begangenen Fehler hinzuweisen?

  • Würde mir auch mehr Würde von den ukrainischen Soldaten wünschen. Aber es ist halt so dass die russische Armee seit 1945 nicht gegen einen Gegner gekämpft hat der sich wehren kann. Es hat sich eine Kultur und Struktur der systematischen Nutzung von Kriegsverbrechen entwickelt - Wer die letzten Konflikte an denen Russland beteiligt war verfolgt hat weiß das. Wir sitzen hier vor unseren Geräten und sind nicht betroffen von Krieg und Kriegsverbrechen deswegen fällt es uns leicht zu fordern dies nicht mit gleichem zu vergelten. Es ist aber nun mal historisch so dass Kriegsverbrechen von einer Seite zu Kriegsverbrechen auf der anderen führen. Deswegen ist es für die Genfer Konvention so wichtig dass sich alle dran halten... aber im Gegensatz zu russischen Kriegsverbrechen ist das auf ukrainischer Seite kein System. Es ist wichtig diesen Unterschied zu sehen.

  • "Man kann nicht für Ideale kämpfen, für die man selbst nicht einsteht." Lieber Herr Clasen, den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zu vergleichen mit russischen Gefangenen, die die ukrainische Nationalhymne singen müssen, ist unlauter und böswillig. Liberale Werte in Putins Krieg können Sie ja gern vom Sofa aus verteidigen, in den Kellern oder Massengräbern von Maripol würden Sie das sicher anders sehen.

    • @Rinaldo:

      Von einem "Vernichtungskrieg" zu sprechen, grenzt an schon an eine Relativierung des Nationalsozialismus; Russland führt einen völkerrichtswidrigen Angriffskrieg, in dem Kriegsverbrechen gegangen werden - und verdient dafür auch entsprechende Kritik; das rechtfertigt allerdings nicht die vollkommene Enthemmung, die man zur Zeit in sozialen Medien und gelegentlich sogar im redaktionellen Teil einiger als seriös geltender Medien zu beobachten ist.



      Im übrigen erinnere ich daran, dass es hier nicht nur um erzwungene Gesangseinlagen geht, sondern vor allem um die Frage, wie man die Betroffenen dazu gezwungen hat, gerade angesichts von Hinweisen auf Folter und Misshandlungen:



      www.theguardian.co...n-prisoners-of-war



      Vielleicht können wir uns auf den Mindeststandard einigen, dass Menschen nicht gefoltert werden sollten...



      Dass auch das Zurschaustellen von Kriegsgefangen rechtswidrig ist, sollte ebenfalls bekannt sein.

  • "Doch sie spielen Putin in die Hände, der mit derartigen Bildern das eigene Volk aufputschen kann."

    Wer in die russische Nachrichtenwelt eintaucht, betritt ein Paralleluniversum. Es ist egal, was auf der Welt wirklich passiert. Es kann behauptet werden was will, Video- und Bildmaterial finden sich schon, notfalls wird es kurzerhand erstellt. Der Großteil der Bevölkerung glaubt das alles dank jahrzehntelanger Propagandabeschallung.

    Und dass der Demokratisierungsprozess während eines Krieges, in dem die Bevölkerung Vergewaltigung, Folter und Bombardements ausgesetzt ist, ruht, sollte nun wirklich nicht kritisiert werden. Ebenso wenig, dass zuvor prorussischen Stimmen nicht gleich das volle Vertrauen ausgesprochen wird. Für eine Evaluation der Geschehnisse ist auch nach dem Krieg noch Zeit. Das ist wieder so eine Luxusdiskussion angesichts der Lage in der Ukraine.

    • @Devil's Advocate:

      Das ist keine "Luxusdiskussion. A.) Siehe die Vita des Autors. B.) Lese den Text: "Niemand aus dem sogenannten „prorussischen Milieu“ der Ukraine hat die russischen Besatzer mit Blumen empfangen. Deswegen ist es ein Fehler, diese Kräfte mit Verboten auszugrenzen. Vielmehr sollte die Regierung sie noch mehr einbinden. Jedes Besatzerregime braucht für eine Besatzung ein Mindestmaß von Unterstützung eines Teils der Bevölkerung. Diese Unterstützung hatte man sich in Russland wohl von den sogenannten „prorussischen“ Kräften erhofft.

      Aufgabe der ukrainischen Regierung ist es jetzt, diese Kreise für sich zu gewinnen. Gelingt das der Regierung, nimmt sie der russischen Propaganda den Wind aus den Segeln. Gerade jetzt, so der Charkiwer Journalist Stanislaw Kibalnyk, gibt es im Angesicht des russischen Überfalls die Chance, die Kluft zwischen den verfeindeten ukrainischen Milieus von „prorussischen“ und „proukrainischen“ Kräften zu überwinden."

  • Danke an den Autor für diesen Artikel.



    So viel Kritik hätte ich nur bei Zeitungen weiter links vermutet.



    Sollte der ukrainische Botschafter A, Melnyk Leser der taz sein...auf seine Resonanz wäre ich gespannt!

  • @SACHMAH

    "Nachvollziehbar" ist kein Kriterium.

    Nachvollziehbar sind Rachegelüste. Es ist auch richtig, sie wahrzunehmen und nachzuvollziehen.

    Das, was uns zu Menschen macht ist, denen nach Möglichkeit nicht nachzugeben. Und die Fälle, in denen sie sich Bahn gebrochen haben, aufzuarbeiten.

    Statt zu leugnen und zu verschweigen.

    Die Ukraine macht da ein recht gutes Bild, so weit ich das beurteilen kann.

    Besser jedenfalls als die USA im Irakkrieg, die heute noch die Whistleblower aus der Zeit gnadenlos verfolgt (DE macht u.a. auch noch mit!).

  • Wir sind halt nicht in einem Hollywoodfilm. Weil die einen die Bösen sind, sind die anderen noch lange nicht die Guten.

  • Fast allem, was Clasen hier schreibt, kann ich uneingeschränkt zustimmen. Die unwürdige Behandlung russischer Kriegsgefangener verstößt gegen internationales Recht, das Vorgehen gegen russische Bürger in den beschriebenen Fällen ist unklug, um nicht zu sagen, töricht.

    Anders verhält es sich aber mit dem Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa. Da ist den ukrainischen Behörden in der Tat vorzuhalten, dass sie bis heute eine wirkliche Aufklärung verschleppt oder verhindert haben. Dass sie sich hingegen einem Denkmal für die Toten verweigern, ist wiederum nachvollziehbar, denn natürlich würde dieses dazu benutzt, die "russische" Lesart des Vorganges zu unterstützen. Denn dem Brand unmittelbar vorausgegangen sind gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen prorussischen und proukrainischen Gruppen. Insofern verbietet sich hier aber auch eine einseitige Lesart als "Opfer" und "Täter".

  • "Die Fehler der „Guten“



    Am 2. Mai 2014 wurden Dutzende „prorussicher“ Demonstranten im Gewerkschaftshaus von Odessa verbrannt."

    Da hätte ich mir ein anderes Wort gewünscht wie "Fehler".



    Verbrechen sind Verbrechen. Auch die der "Guten".

    Trotzdem ein großes Lob für diesen mutigen Artikel, der den transatlantischen Mainstream durchbricht.

  • Danke für den Artikel.



    Natürlich ist im Fall der Ukraine klar, wer der Aggressor ist. Russisches Militär hat die Ukraine angegriffen und nicht umgekehrt.



    Trotzdem ist ein Problem Deutscher Politik, dass - aus welchen Gründen auch immer - oft mit zweierlei Maß gemessen wird.



    So bleibt Folter eben Folter - egal ob Amerikaner, Russen oder Chinesen die Täter sind. Türkische Aggressionen und Menschenrechtsverletzungen zählen nich weniger als Russische. Amerikanische Lügen um einen Angriffskrieg zu rechtfertigen sind nicht besser als Russische.

    Wenn wir bezüglich der Menschenrechte aus taktischen politischen Gründen mit zweierlei Maß messen, machen wir uns zumindest moralisch mitschuldig.

    • @Bürger L.:

      Gerade wenn man mit demselben Maß misst, kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Überfall auf die Ukraine und auch schon die russische Kriegführung in Tschetschenien und Syrien um mehrere Dimensionen verbrecherischer sind als alles, was die USA oder die Türkei nach Ende des Kalten Krieges veranstaltet haben. Gleiches gilt für die Propagandalügen des Kreml, für die innere Faschisierung Russlands usw. Vieles ist schlimm, aber es ist nicht alles gleichermaßen schlimm. Wer diese Unterschiede nicht wahrnimmt, hat tatsächlich die Maßstäbe verloren.

      (Den Artikel finde ich trotzdem gut und wichtig, danke dafür!)

    • @Bürger L.:

      "Wenn wir bezüglich der Menschenrechte aus taktischen politischen Gründen mit zweierlei Maß messen, machen wir uns zumindest moralisch mitschuldig."

      Haben wir doch schon: siehe Edward Snowden, siehe Julian Assange

      • @Grenzgänger:

        Wären Snowden und Assange Russen, wären sie schon längst tot.

        • @Suryo:

          Snowden hat das sogar in einem Interview selber so ausgesprochen.

    • @Bürger L.:

      Gestern stand im Guardian, dass ein Video aufgetaucht sei, in dem ein ukrainischer Soldat gefangenen russischen Soldaten in die Beine schießt.

      Die ukrainische Regierung hat sofort verlautbart, dass man dies sehr ernst nehme und untersuche. Man sei eine europäische Armee und darum seien Folter und Mißhandlungen nicht hinnehmbar. Zumindest prinzipiell scheint man also auf Seiten der Ukraine sehr wohl bemüht, besser zu sein als die Russen.

    • @Bürger L.:

      Die typisch deutsche Argumentation seit spätestens Luther: Heuchelei ist schlimmer als das eigentliche Verbrechen, weil der Westen bzw. die Ukraine "heucheln", sind sie auch nicht besser als Russland.

  • Mindestens eine kommunale Abgeordnete einer prorussischen Partei in Kherson hat sich den Besatzern aber geschwind als Bürgermeisterin angedient, nachdem der echte Amtsinhaber von den Russen verschleppt worden war und ein "Referendum" geplant.

    Und grundsätzlich kann die ukrainische Regierung doch nicht anders, als Vorsicht walten zu lassen. Wenn Russland Deutschland angriffe, würde man dann nicht auch hier ein Augenmerk auf gewisse Teile von AfD und LINKEr richten? Russlands Präsident spricht der Ukraine das Existenzrecht ab. Parteien, die sich "zu" pro-russisch positionieren, können zumindest für die Dauer des Krieges doch also gar nichts anderes sein als fundamental staatsfeindlich.

    Übrigens: auch Selenskiy spricht von haus aus russisch.

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Danke für den Kommentar. Ich denke, es wird ein sehr langer Weg sein, wieder zusammenzufinden und die Geschichte aufzuarbeiten.

  • Apropos Fehler: Die Linke spinnt - und wird nicht wieder gewählt ...

  • Danke. Wir sind so plump einseitig, daß einmal gut tut wenn sich jemand verständig mit einer Andermeinung auseinandersetzt.

    • @Picard:

      Russland hat es echt schwer, musste angreifen und die Ukraine in Schutt und Asche legen weil 2% der Bevölkerung Faschisten sind und die Mehrheit undankbar gegenüber Putin ist.

    • @Picard:

      Ja. Und es ist genau richtig plump einseitig zu sein bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bei dem quasi von Anfang an gezielt Zivilisten und zivile Strukturen vorsätzlich vernichtet werden. Es gibt nur eine Reaktion auf Kriegsverbrechen: plumpe Einseitigkeit!



      Es sagt schon alles, dass hier als whatabout zum Gesang gezwungene Soldaten herhalten müssen während auf der anderen Seite Vakuumbomben, Hyperschallraketen, Beschuss von Wohnhäusern, Krankenhäusern, Schulen und fliehenden Zivilisten stehen. aBeR die mÜsSeN singen!

  • Versöhnung muss das Ziel bleiben. Russen, Ukrainer und Europäer müssen zusammen finden am Ende. Diese langfristige Richtung darf auch im Eifer der Auseinandersetzung nicht aus den Augen verloren werden.

    • @llorenzo:

      Das klingt ein bißchen zu sehr nach "zu einem Streit gehören immer zwei". Dieser Krieg ähnelt aber weniger einem streit als einem Mordversuch durch einen viel stärkeren Angreifer.

      Wenn, dann haben nach dem Krieg die Russen (aus Russland) die Ukrainer um Vergebung zu bitten. Den Ukrainern bleibt es selbst überlassen, ob sie diese Vergebung gewähren.

      • @Suryo:

        Dieser Krieg muss der erste ohne Vorgeschichte sein...

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Ah. Was war denn dann die Vorgeschichte des deutschen Überfalls auf Polen? Offenbar sind Ihrer Meinung nach an jedem Krieg ja beide Seiten schuld.

  • Zum ersten Vorfall, ja das ist nicht zulässig. Zu den Verboten, es ist doch sehr blauäugig (nicht rassistisch gemeint ;)) zu verlangen, dass alle möglichen Stimmen zu Wort kommen können während Krieg herrscht. Ich kann mich nicht daran erinnern, je davon gehört zu haben, dass bei Krieg auf und über dem eigenen Territorium Prinzipien der freien Meinungsäußerungen, die tendenziell pro Gegner sein könnten, zugelassen worden wären. Bitte um Beispiele, ich liefere die ganzen Gegenbeispiele.



    Ich finde es nachvollziehbar. Es hat mit Führung in einer Krise zu tun vergleichbar mit einem Hausbrand. Auch dort möchte man nicht, dass groß Sichtweisen ausgetauscht werden, vor allem wenn diese gegenläufig und gefährlich sind.



    Kann das schief gehen? Klar, immer. Das ist Krieg. Die Ukraine hat diesen nicht begonnen.

    • @sachmah:

      @sachmah

      Absolut richtig.

      Im Frieden muss die Ukraine sich fann diesen ungemütlichen Themen offen stellen und Pluralität zulassen.

    • @sachmah:

      "Man kann nicht für Ideale kämpfen, für die man selbst nicht einsteht."

      Darum geht es. Es ist z.B. nicht nachzuvollziehen, warum in einem Staat, der sich demokratisch nennt, alle Sender, die Nachrichten senden, zu einem Sender zusammengefasst werden. Offizielle Begründung ist eine "einheitliche Berichterstattung". So etwas gibt es eher in Diktaturen.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Während des Krieges alle Bewohner zu erreichen, um sie z. B. alle auf dem selben Stand zu halten, ist nun wirklich nicht mit den Zuständen in einer Diktatur vergleichbar. Die Regierung muss aktuell nun mal jeden einzelnen erreichen und verhindern, dass wichtige Informationen nicht ankommen oder im Zweifel sogar Falschinformationen (nicht mal unbedingt bewusst) weitergeben werden.

        • @Devil's Advocate:

          "...alle auf dem selben Stand zu halten..."

          ...bedeutet, keine anderen Nachrichten zuzulassen, als die von der Regierung genehmigten. Das gibt es nicht in einer Demokratie. Selbst im Krieg ist es üblich, verschiedene Kanäle zuzulassen. Wenn auch mit Beschränkungen.