Spielplätze in der Corona-Krise: Lasst sie offen!
Der Spielplatz ist der einzige Ort, der allein den Kindern gehört. Besonders ärmere Kinder werden unter der Schließung leiden.
Verwaist. Die Schaukeln hängen unbenutzt in der Luft, der Sand weht leise über den Platz. Der Spielplatz in einem Berliner Innenstadtkiez ist leer. Es hat sich offenbar schnell herumgesprochen, dass nach Schulen, Sportanlagen, Schwimmbädern nun auch die Spielplätze ab sofort tabu sind – obwohl sie in Berlin derzeit explizit nicht gesperrt werden.
Und die Kinder bleiben tatsächlich fern. Zumindest in den Vormittagsstunden des Dienstags, des ersten Tags, an dem in Berlin und anderen Bundesländern alle Schulen geschlossen sind. Was auch daran liegen mag, dass die Schüler*innen reichlich Aufgaben bekommen haben. Wie lange die Disziplin reicht, wird man sehen.
Nie war es so einfach und so unumstritten, Grundrechte zu beschneiden wie in Zeiten von Corona. Binnen einer Woche haben demokratisch gewählte Regierungen die Versammlungsfreiheit aufgehoben und die Bewegungsfreiheit radikal beschränkt. Das wird breit akzeptiert, erscheint es doch unumgänglich, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und Leben zu retten. Dieses Spielplätzeschließen jedoch ist in jeder Hinsicht fragwürdig.
Die Lasten werden gerade zwischen den Generationen und sozial höchst ungleich verteilt. Ist es wirklich sinnvoll, nun die Jungen einzusperren, um die Älteren zu schützen? Müsste es nicht umgekehrt sein?
Einsperren auf Verdacht
Krasse Fragen. Aber müsste man nicht, um krasse Maßnahmen zu rechtfertigen, viel genauer wissen wollen, wer überhaupt das Virus in sich trägt, das heißt, flächendeckend testen, so wie es die WHO empfiehlt und wie es Südkorea vormacht? Dass ausgerechnet die Europäer, die sich sonst für die Wiege der Aufklärung halten, ihre Bevölkerung nun auf Verdacht einsperren, ist ein Ausdruck absoluter Hilflosigkeit. Zudem zeigt es, dass der Glaube an Solidarität und Vernunft praktisch tot ist.
Kinder sind nun besonders hart betroffen. Sie müssen ausbaden, dass die Erwachsenen Krankenhäuser privatisiert, Betten abgebaut und Gewinnerwartungen nach oben geschraubt haben. Sie, die kaum an Covid-19 erkranken und – wenn man den Teststatistiken aus Südkorea und Italien glauben darf – auch weitaus seltener infiziert sind, sollen nun die Hauptlast tragen.
Kinder haben das Recht zu spielen, sich zu erholen und künstlerisch tätig zu sein, sagt die UN-Kinderrechtskonvention. Der Spielplatz ist wie kein anderer Ort geeignet, dieses Recht auszuleben. Der letzte Ort in der Stadt, der weitgehend frei ist von Kommerz, wo Kinder ohne Leistungsdruck ihre Grenzen austesten können.
Der Spielplatz ist ein Nebenprodukt der Industrialisierung, entstanden, als Menschen vom Land in die Städte zogen, um der Arbeit willen. Das ist bis heute so geblieben. Die Straßen gehören den Autofahrer*innen, öffentliche Wege den Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Bleiben die Parks. Auf den Wiesen ist das Ballspielen entweder verboten oder dort tollen die Hunde herum. Allein die Spielplätze, sorgsam eingezäunt, gehören ganz den Kindern.
Kein Trampolin im Garten
Und es sind, wie in jeder Krise, vor allem die armen, die sozial benachteiligten Kinder, die leiden, wenn ihre Refugien zu verbotenen Zonen werden. Jene, bei denen kein Trampolin im Garten steht, die kein eigenes Zimmer haben. Vielleicht nicht mal einen Schreibtisch, sondern die sich mit ihren Geschwistern Zimmer und Küchentisch teilen. Und fortan auch mit ihren Eltern.
Nur Nordrhein-Westfalen hatte die Spielplätze noch offen gehalten. Familienminister Joachim Stamp begründete das auch mit dem Rat von Virologen. Diese empfehlen, dass Kinder raus an die Luft kommen, das stärke auch das Immunsystem.
Manche meinen, dass die Eltern mit ihren Kindern ja nicht auf den Spielplatz, sondern in den Park gehen können. Damit sie die Gehwege zusammen mit den übrigen Erwachsenen, mit Fahrradfahrer*innen und Rollatorschieber*innen bevölkern? Auf dem Spielplatz wären sie wenigstens weitgehend unter sich gewesen, nun teilen sich mehr Menschen die kleiner werdenden Freiräume.
Hier passiert also gerade das Gegenteil von sozialer Distanzierung. Eine totale Ausgangssperre wie in Frankreich erscheint in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Dann werden nur noch Erwachsene auf dem Weg zur Arbeit oder in den Supermarkt sich draußen bewegen dürfen. Und natürlich Hunde, die Gassi geführt werden.
Die haben es gut.
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