Wahlen in Frankreich: Ist links die Antwort auf rechts?
Nachdem der Nouveau Front Populaire die Wahl gewonnen hat, war die Erleichterung groß. Aber funktioniert das Paradigma links versus rechts noch?
E s ist großartig, dass die französische Mehrheitsgesellschaft die Möglichkeiten ihres Wahlrechts ausgenutzt und eine Parlamentsmehrheit für Marine Le Pens rechtspopulistischen Rassemblement National verhindert hat. Doch war das ein „linker“ Wahlsieg, wie nun seit Tagen Classic-Linke jubilieren, ein Triumph des Guten, ein „Aufbruch“ gar? Get a life.
„Natürlich findet man immer ein Haar in der Suppe, wenn man lange genug sucht“, schreibt Robert Misik in dieser Zeitung. Nun zielt der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon anders als Le Pen nicht auf ethnische Homogenität, aber für mich ist die Ablehnung von EU und Nato, die Unterstützung von Putin und dann auch noch Antisemitismus in Teilen seiner links-nationalistischen La France Insoumise (LFI) eben kein „Haar in der Suppe“, sondern das ist ein Unterschied ums Ganze.
Die Wahlen in Frankreich und Polen und speziell die Europawahl wurden auch nicht von oder durch „links“ gewonnen. Es sind vielmehr temporäre Verteidigungserfolge einer heterogenen Mehrheit gegen die Gegner der liberalen Demokratie. Um Zukunft daraus zu machen, müsste man nicht nur wissen, wogegen man ist, sondern sich auch darauf verständigen, wie man die Kernprobleme des 21. Jahrhunderts gemeinsam angehen will.
Diese Zukunftspolitik ist nicht durch das gute alte Paradigma links vs. rechts zu beschreiben. Deshalb ist es auch sinnlos, eine Debatte darüber zu führen, ob und wo der Wagenknecht-Trupp „links“ sei. Er positioniert sich in den zentralen Fragen – Klimapolitik, EU, Nato, Russland, offene Gesellschaft – genauso gegen den Westen, wie es, in Abstufungen, Trump, Le Pen, Mélenchon, Orbán, PiS, Meloni und AfD tun.
„Linke“ Sozialpolitik haben auch PiS und Orbán im Programm, nur wird Gerechtigkeit nicht inklusiv, sondern exklusiv und fossil definiert. Das Problem, das die eskalierende Erderhitzung und ihre Folgen verursachen, sind nicht die Produktionsverhältnisse (Kapitalismus), sondern die Produktionsmittel (Öl, Gas, Kohle), wie Armin Nassehi gern sagt.
Es braucht eine breite Mitte
Das Paradigma, in dem sich unsere Zukunft entscheidet, ist liberal versus illiberal. Offene gegen geschlossene Gesellschaften, emissionsfreie Zukunftspolitik gegen Verteidigung fossiler Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit, Europa oder national, Zukunftszugewandtheit gegen Destruktion.
Letztlich würde ich es versuchsweise mal auf eine Frage herunterbrechen: Wie hältst du’s mit dem Westen, seinen offenen Gesellschaften, Marktwirtschaften, und seinem kreativen Willen zum Fortschritt? Das ist die Bruchstelle, und sie wird sich für Europa verschärfen, falls Donald Trump ein zweites Mal US-Präsident werden sollte.
Übrigens sind fast alle Menschen konservativ, was ihre Bedürfnisse und ihren Alltag angeht. Die SPD hat die letzte Bundestagswahl gewonnen, weil Olaf Scholz den Leuten versprochen hat, dass sich nichts für sie ändern werde. Die Grünen werden von denen vehement abgelehnt, die ihnen unterstellen, dass sie etwas verändern wollen.
Daraus folgt: Es wird kein „Ruck“ durch Deutschland gehen und schon gar kein linker. Die fortgeschrittene Individualisierung in westlichen Gesellschaften schließt die hartnäckig gepflegte Illusion eines homogen strammstehenden Kollektivs eh aus, und zwar sowohl eines „rechten“ wie eines „linken“.
Wer eine Mehrheit für einen liberaldemokratischen Aufbruch gewinnen will, in einer teils wütenden, teils aufbruchsbereiten und zum Großteil mit der eigenen Lage zufriedenen Gesellschaft, muss jenseits von polarisierenden Populismusangeboten und überkommenem Lagerdenken eine breite Mitte zusammenbringen, die von gemäßigt progressiv bis gemäßigt konservativ reicht. Das ist die Aufgabe des Kanzlerkandidaten Robert Habeck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern