Wahl in Großbritannien: Wahlsieg mit Chancen
Boris Johnsons Erfolg bringt dem Land Stabilität. Die Linke hat nun die Möglichkeit, sich neu zu erfinden.
D as wurde ja auch Zeit. Boris Johnson gewinnt die Wahlen in Großbritannien deutlich – und mit dreieinhalb Jahren Verspätung findet das Brexit-Referendum von 2016 seine folgerichtige Umsetzung in der Politik.
Man kann vom wiedergewählten Premierminister eine schlechte Meinung haben und ihn als gefährlichen Hasardeur bekämpfen, man kann auch den Brexit für eine Katastrophe halten – aber angesichts dessen, wie sich die Briten nunmal mehrfach entschieden haben, lässt die politische Logik dieses Wahlergebnis als einzig möglichen Garanten für die Wiederherstellung von Stabilität in Großbritannien, für eine Klärung des britischen Verhältnisses zu Europa und auch für die überfällige Neuordnung der britischen Politik erscheinen.
Ein erneutes Patt im Parlament, angesichts der Umfragenwerte die einzige mögliche denkbare Alternative, hätte Großbritannien im politischen Chaos des vergangenen Herbstes erstarren lassen, mit einer blockierten Legislative, einer gelähmten Regierung egal unter wessen Führung, erneuten Brexit-Verschiebungen und massiven Streitereien über ein mögliches weiteres Referendum. Polarisierung und Gereiztheit hätten auf allen Seiten weiter zugenommen.
Boris Johnson hat einen so hohen Sieg eingefahren, dass er es sich jetzt gar nicht leisten könnte, das Land zu spalten. Seine Konservativen verdanken ihren Wahltriumph einer traditionell antikonservativen Wählerschaft, die „Boris“ wegen Brexit ausnahmsweise die Stimme geliehen haben, mit seiner Partei ansonsten wenig am Hut haben und sie ihm auch wieder entziehen können.
Eine schnelle Einigung mit Brüssel wird jetzt leichter
Der Premierminister muss jetzt für das ganze Land regieren, will er nicht im nächsten Jahr so schnell wieder untergehen, wie er im vergangenen Jahr aufgestiegen ist. Das weiß er ganz genau.
Dass Johnson eben kein prinzipiengeleiteter Politiker ist, sondern je nach Sichtweise entweder ein Pragmatiker oder ein Opportunist und auf jeden Fall ein gerissener Machtpolitiker, ist da ausgesprochen hilfreich. Auch für das Verhältnis zur EU ist das von Vorteil, wie die EU selbst weiß: Mit einer hohen Mehrheit für den Premierminister endet der Zustand, dass einzelne Überzeugungstäter im Parlament alles blockieren können.
Eine schnelle Einigung zwischen London und Brüssel wird daher mit einem starken Boris Johnson leichter und nicht schwerer, denn nichts hat der Premierminister so oft betont wie seinen Wunsch, den Brexit endlich hinter sich zu bringen und sich dann den wirklich wichtigen Problemen zu widmen. Das schwierigste dieser Probleme dürfte übrigens Schottland heißen, worauf weder die Konservativen noch Labour eine Antwort parat haben.
Auch für Johnsons Gegner eröffnet Johnsons Sieg, gekoppelt mit Corbyns Niederlage, neue Chancen. Die Labour-Opposition hatte sich mit der Clique ressentimentgeladener Altsozialisten an ihrer Spitze in eine unansehnliche Sackgasse manövriert, in die viele ihrer Wähler ihr nicht folgen wollten.
Die Linke kann sich jetzt vom Corbyn-Irrweg lösen
Stattdessen haben Liberale und Grüne zwar nicht mehr Parlamentssitze, wohl aber mehr Stimmen und auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit für ihre Themen und für eine weniger apparatgeleitete Politik gewonnen. Jetzt müssten sie nur noch aufhören, immer bloß die Brexit-Schlachten der Vergangenheit zu führen.
Die britische Linke kann sich jetzt vom Corbyn-Irrweg lösen, den Brexit hinter sich lassen, sich von Grund auf neu erfinden und eine Grundlage für eine progressive Politik ohne Hass und Vorurteile schaffen, die sich den Herausforderungen der Zukunft stellt. Dann wird sie vielleicht auch wieder mehrheitsfähig gegenüber einer Rechten, die jenseits vom Willen zur Macht den Beweis einer Zukunftsvision für Großbritannien bisher schuldig geblieben ist.
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