Vertrauen in die Politik: Kontrolle ist besser
Wer darauf vertraut, dass die Politik das viele Geld schon richtig verwendet, läuft Gefahr, enttäuscht zu werden. Dann ist auch das Vertrauen dahin.

D er Weg für 500 Milliarden Euro Schulden für Infrastruktur und anderes werde freigemacht, „um verlorenes Vertrauen in den Staat und die Demokratie zurückzugewinnen“, schreibt der Spiegel über die aktuellen Verhandlungen über Schuldenbremse und Sondervermögen. Die Frankfurter Rundschau fragt: „Merz’ Plan mit dem Sondervermögen: Wie lange währt das Vertrauen der Deutschen?“ Dieser Tage ist viel von „Vertrauen“ in die Politik die Rede. Ein interessantes Konzept.
Ich schenke dir mein Vertrauen. Du musst dich aber so verhalten, wie ich es mir vorstelle, andernfalls entziehe ich dir mein Vertrauen. In persönlichen Beziehungen birgt dieses Konzept schon sehr viel Drama-Potenzial. Ein einziger Fehler, und das Vertrauen kann „entzogen“ werden. Im politischen Kontext funktioniert das erst recht nicht. Das zeigt sich beispielsweise in den aktuellen Debatten. Sollte man darauf „vertrauen“, dass die neue Regierung das schon alles richtig macht mit den Hunderten Milliarden an Schulden?
Sollte man darauf „vertrauen“, dass das Geld zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt wird? Nein. Denn dann ist der „Vertrauensverlust“ inhärent: Ein Fehler – und es hängt immer davon ab, was Menschen als Fehler wahrnehmen – und das Vertrauen wird „entzogen“. In der Politik macht „Vertrauen“ nur dann Sinn, wenn es mit Kontrolle verbunden wird. Demokratie kann nur funktionieren, wenn Politik kontrolliert wird. Das ist der Hintergrund von Gewaltenteilung.
Das ist der Grund, warum Medien, Justiz, Parlament und Zivilgesellschaft in einer Demokratie derart zentrale Rollen spielen. Das ist auch der Grund, aus dem Donald Trump seit Wochen alle Institutionen, Personen und Posten abräumt, die dazu da sind, Regierungshandeln zu kontrollieren. An einem Freitagabend vor einigen Wochen feuerte Trump in einem Zuge mehr als ein Dutzend „Inspector Generals“ – sie sitzen als unabhängige Beamt:innen in verschiedenen Ministerien und Institutionen, gelten als unparteiisch und sollen Missbrauch, Verschwendung von Steuergeldern und Korruption aufdecken oder verhindern. Trump findet allem Anschein nach, man solle ihm einfach „vertrauen“.
Einkommen beeinflusst politische Meinungen
Macht und Missbrauch stehen sich nahe. Zumindest, wenn die Strukturen es erlauben. Egal, wie ehrlich die beteiligten Akteur:innen sind. Allein die Lobbystruktur in Deutschland, beispielsweise die hohe finanzielle Ausstattung der Finanzlobby, stellt eine Struktur des Machtmissbrauchs dar. Spitzenpolitiker:innen stehen einer Übermacht an Lobbygruppen wie der Finanz-, Pharmawirtschaft und anderen Akteuren wie der Stiftung Familienunternehmen gegenüber.
Die Universität Osnabrück stellte dementsprechend in einer im Jahre 2016 veröffentlichten Langzeitstudie fest, „dass das Einkommen politische Meinungen beeinflusst“. Politische Entscheidungen, so die Forscher:innen, würden „mit höherer Wahrscheinlichkeit mit den Einstellungen höherer Einkommensgruppen übereinstimmen“. Es bestehe außerdem „eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen“.
Sollte man also vertrauen, dass Politik grundsätzlich zum Wohle aller Menschen handelt? Nein, offensichtlich nicht. Und zwar nicht, weil Politiker:innen „böse“ seien oder gar korrupt. Sondern weil das politische System so beschaffen ist, dass es nicht automatisch Ergebnisse produziert, die der Mehrheit der Bevölkerung dienen. Das Sondierungspapier von Union und SPD ist ein Beispiel dafür: Darin sollten Gastronom:innen Steuergeschenke gemacht werden, deren Zweck für die Allgemeinheit zumindest fragwürdig waren.
Sowohl die künftige Opposition als auch viele Medien stellten das in Frage: Das ist Kontrolle. Mit den Hunderten Milliarden an Schulden und zukünftigen Schulden, die in dieser Woche in Bundestag und Bundesrat beschlossen werden sollen, sieht es da schon etwas schwieriger aus. Wie eine solche Schuldenaufnahme möglich ist, wird politisch und medial viel zu wenig erklärt. Nicht der Grund dafür, der ist eindeutig: Die schwerwiegende Bedrohung durch Russland und das autoritäre Verhalten Trumps, der schon im Präsidentschaftswahlkampf angedroht hatte, Europa Russland zum Fraß vorzuwerfen.
Die europäischen Staaten müssen ihre Bevölkerung gegen jeden potenziellen russischen Angriff, ob im Cyberspace oder militärisch, schützen können. Dass das heute nicht der Fall ist, scheint weitgehend Konsens zu sein. Gleichzeitig gilt: Wer erklärt den Menschen, dass im vergangenen Jahr eine Kindergrundsicherung scheiterte, die mit rund 12 Milliarden Euro angesetzt war, weil sie zu teuer war – aber nun innerhalb von drei Wochen eine Verschuldung von 1 Billion Euro oder mehr ermöglicht werden soll?
Medial und politisch wird der Öffentlichkeit erklärt, warum die Schulden notwendig sind und wofür sie eingesetzt werden. Aber wie kann das sein? Warum das eine ja, das andere nicht? Hat es mit Prioritäten zu tun? Politisch braucht es Ehrlichkeit, medial braucht es Zweifel – damit Menschen das Gefühl haben, dass dieser Prozess kontrolliert abläuft. Das Fundament einer Demokratie ist nicht Vertrauen.
Ein gesundes demokratisches Fundament ist wertschätzendes Misstrauen. Nicht weil man „der“ Politik misstraut oder gar Politiker:innen – Menschen, die politische Ämter bekleiden, ob ehrenamtlich, kommunal oder an der Spitze, um das Leben von Menschen zu verbessern und in der übergroßen Mehrheit nach bestem Wissen und Gewissen handeln –, sondern weil man an resiliente, feste demokratische Strukturen glaubt, die Macht kontrollieren und kritisieren.
Sollen Menschen in diesen Krisenzeiten nicht das „Vertrauen“ in die Demokratie verlieren, ist es wichtig, kein Ungleichgewicht zwischen Staat und Bevölkerung zuzulassen. Das ist Aufgabe der Parteien, der Justiz und vor allem der Medien. Das beste Mittel gegen „Vertrauensverlust“ ist Machtkritik.
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