Verpflichtungserklärung für Geflüchtete: Bürgen zahlen drauf
Beatrix und Bernd Metzner hatten gebürgt, damit die Syrerin Heba Abazeid nach Deutschland kommen kann. Nun sollen sie 26.000 Euro zahlen.
Denn am Donnerstag muss das Ehepaar vor Gericht. Sie sollen rund 26.000 Euro zahlen – weil sie 2015 für eine syrische Frau und ihr damals zweijähriges Kind gebürgt haben, damit diese nach Deutschland kommen können. „Das war doch eine Notlage damals“, sagt Bernd Metzner.
Die Frau, um die es geht, heißt Heba Abazeid. Sie ist die Schwester des Schwiegersohns von Beatrix und Bernd Metzner. Als in Syrien der Bürgerkrieg tobte, floh sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in den Libanon. Die Unterschrift der Metzners half, sie und das Kind im Mai 2015 über das Landesaufnahmeprogramm nach Berlin zu holen, wo die Tochter der Metzners und ihr Mann leben. Der Mann kam später über den Familiennachzug.
Die Metzners verpflichteten sich damals, für alle dem Staat möglicherweise entstehenden Kosten in Bezug auf Heba Abazeid und ihre Tochter zu haften. Das Ehepaar arbeitete damals in einer evangelischen Gemeinde, er als Kirchenmusiker, sie als Gemeindepädagogin. Inzwischen sind beide in Rente.
Unklare Gesetzeslage
Es ist eine Geschichte, die Anfang des Jahres eigentlich als erledigt galt. Es geht um Jobcenter, die hohe Summen von Privatleuten zurückverlangen, weil diese geholfen haben, syrische Geflüchtete auf sicherem Weg nach Deutschland zu holen. Dafür gab es in den verschiedenen Bundesländern Aufnahmeprogramme. Eine Bedingung: die Verpflichtungserklärung. Hunderte unterschrieben – meist in dem Glauben, dass die Verpflichtung erlischt, sobald die Geflüchteten Asyl bekommen.
Bettina Jarasch, Grüne
„Das war das, was man sich damals so erzählt hat, und bei der Ausländerbehörde wurde uns nichts anderes erklärt“, sagt auch Beatrix Metzner. Doch das entsprechende Gesetz war unbestimmt und sah eigentlich eine unbegrenzte Haftung vor. Im Jahr 2016 schuf der Bundestag Klarheit: Unabhängig vom Asylverfahren gelten Verpflichtungserklärungen seither für fünf Jahre, bei Altfällen wie den Metzners für drei. Und so baten die Jobcenter zahlreiche Bürg*innen zur Kasse.
Rund 2.500 Zahlungsaufforderungen wurden deutschlandweit verschickt, der Aufschrei war groß – immerhin hatte die Politik selbst die Bürger*innen aufgefordert, sich in den Aufnahmeprogrammen zu engagieren. Auch das Ehepaar Metzner bekam Post vom Jobcenter im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg: Sie sollen 25.498,16 Euro zurückzahlen. Ihr Fall liegt jetzt beim Verwaltungsgericht.
Im Januar 2019 dann erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), man habe für die Altfälle eine „gute Lösung, die hilft“ gefunden. „Ich kann in den nächsten Tagen die Jobcenter anweisen, von diesen Rückforderungen an Flüchtlingsbürgen abzusehen.“
Nicht pauschal aufgehoben
Doch ganz so simpel ist es nicht – das zeigt der Fall der Familie Metzner. Denn in der Weisung des Bundesarbeitsministeriums an die Jobcenter steht keineswegs, dass alle Zahlungsaufforderungen aufgehoben werden sollen. Vielmehr steht da, das Ermessen sei „dahingehend auszuüben, dass von einer Heranziehung abzusehen ist“. Dies gelte aber nicht, wenn die Ausländerbehörde „nachweislich“ über die Dauer der Verpflichtung aufgeklärt habe.
In Ländern wie Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind damit alle Forderungen erledigt: Dort waren selbst die Innenministerien davon ausgegangen, dass mit dem Asylbescheid alles erledigt sei. In Berlin hingegen unterzeichneten alle Bürg*innen eine Zusatzerklärung, die wie der ursprüngliche Gesetzestext eine unbegrenzte Haftung vorsah.
Dadurch seien die Metzners ausreichend informiert gewesen, argumentiert das Jobcenter Tempelhof-Schöneberg. Die Metzners widersprechen. „Die Beratung durch die Ausländerbehörde hat gerade mal zehn Minuten gedauert. Und wann genau die Verpflichtung endet, darüber wurde gar nicht gesprochen“, sagt Beatrix Metzner. Ihr Mann ergänzt: „Ob die Weisung des Arbeitsministers nun auf Berlin zutrifft oder nicht, darüber kann man ja streiten. Aber diese Ungleichbehandlung ist es, die uns ärgert.“
Denn obwohl alle Verpflichtungsgeber*innen in Berlin damals die gleiche Zusatzerklärung unterschrieben haben, müssen keineswegs auch alle zahlen. Jenny Fleischer, Anwältin der Metzners, verweist auf mehrere vergleichbare Fälle in Berlin, die sie vertreten hat und bei denen die Erstattungsbescheide mit Bezug auf die neue Weisung aufgehoben wurden. Die entsprechenden Dokumente liegen der taz vor – es geht um Fälle der Berliner Jobcenter in Steglitz-Zehlendorf und Friedrichshain-Kreuzberg.
Jedes Jobcenter entscheidet selbst
Auch in Mitte und Spandau hätten die Jobcenter Bescheide aufgehoben, sagt Fleischer. „Das zeigt, dass die Weisung des Bundesarbeitsministeriums in Berlin trotz der Zusatzerklärung greift.“ Es sei eine Verwaltungspraxis entstanden, auf die ihre Mandant*innen sich wegen des Gebots der Gleichbehandlung berufen könnten.
Das Jobcenter Tempelhof-Schöneberg sieht das anders. Andere Häuser hätten ebenfalls Ansprüche geltend gemacht, etwa Treptow-Köpenick, Lichtenberg oder Neukölln, heißt es in einem Schreiben an das zuständige Berliner Verwaltungsgericht vom Oktober. Tatsächlich habe er noch offene Klageverfahren, etwa in Treptow-Köpenick und Neukölln, sagt Rechtsanwalt Joachim Genge, der ebenfalls betroffene Bürg*innen vertritt. In Lichtenberg aber habe das Jobcenter bereits im März einen Bescheid mit Bezug auf die Weisung aufgehoben.
Wer in Spandau oder Kreuzberg für Menschen gebürgt hat, kann also aufatmen, wer das in Tempelhof-Schöneberg getan hat, soll zahlen. Beatrix Metzner ist darüber empört. „Wie kann Hubertus Heil denn sagen, das Problem sei gelöst, wenn da für manche Menschen immer noch so viel dranhängt“, fragt sie. Ihre Tochter hat inzwischen schon den zweiten Brief an den Bundesarbeitsminister geschrieben – bislang ohne Antwort.
Kein Überblick
Rechtsanwältin Jenny Fleischer hat sich außerdem an die Berliner SPD-Abgeordnete Nicola Böcker-Giannini und die Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch gewandt. „In Berlin ist dank einer klaren Kommunikation nur mit sehr wenigen strittigen Erstattungsbescheiden zu rechnen“, sagt Jarasch auf Nachfrage. „Ich erwarte daher, dass wir in den wenigen Einzelfällen gütliche Lösungen finden.“
Fleischer verweist aber darauf, dass der zuständige Richter schon beim ersten Verhandlungstermin im Oktober deutlich gemacht habe, dass er der Argumentation des Jobcenters folgen und die Klage der Metzners abweisen wolle. Für ihre Mandant*innen ist es nun auch ein Spiel auf Zeit – denn um eine Ungleichbehandlung belegen zu können, bräuchten sie einen Überblick darüber, wie die Jobcenter stadtweit entscheiden.
An einem solchen arbeitet derzeit die Jobcenter-Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Allein: Die Sammlung soll bis Ende Januar fertig werden, der Prozesstermin der Metzners ist aber am kommenden Donnerstag. „Wir fordern ja gar nicht, dass der Richter uns jetzt sofort Recht gibt“, sagt Beatix Metzner, „er soll die Entscheidung nur verschieben, bis alle Fakten auf dem Tisch liegen.“
Hoffen auf einen neuen Termin
Bernd Metzner ringt um Fassung. „Der Richter hat uns gefragt, was wir gemacht hätten, wenn uns das mit den Kosten klar gewesen wäre. Die Frage kann man doch nur zurückgeben: Was hätten Sie denn gemacht?“ Seine Frau schüttelt den Kopf: „Das ist doch Familie.“
Heba Abazeid ist derweil gerade dabei, ihre Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen abzuschließen. Die junge Syrerin hat schon angekündigt, nicht zulassen zu wollen, dass die Metzners eine solche Summe zahlen müssen. Eher würde Abazeid einen Kredit aufnehmen. Wieder schüttelt Beatrix Metzner den Kopf, diesmal noch heftiger. „Das wäre doch furchtbar“, sagt sie.
Die Metzners hoffen nun, dass der Richter die Verhandlung doch noch verschiebt. „Falls nicht, gehen wir aber auch weiter zur nächsten Instanz“, sagt Bernd Metzner. Und er hofft, dass von der Politik doch noch mal ein Signal kommt. „Die können sich da doch nicht so rausziehen“, sagt er. „Merkel hat gesagt: ‚Wir schaffen das.‘ Und nicht: ‚Ihr schafft das.‘“
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