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Verkehrswende in ParisBlick in die Zukunft

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Dank der Verkehrswende ist in Paris das Realität, was in Deutschland noch eine Zukunftsvision ist: bessere Luft, weniger Lärm und mehr Sicherheit.

In Paris Realität: Autos sind aus vielen Ecken der Innenstadt verbannt, das Radwegenetz wurde ausgebaut Foto: Christophe Geyres/ABACA/imago

Z um Sonnenuntergang einen Cocktail am Flussufer, da, wo einst Autos entlangbretterten? Sehr gern! Später im Ausgehviertel im Straßencafé abhängen? Klar! Und von einem Ort zum anderen schlendern, dabei Straßen überqueren, auf denen kein Auto fährt? Oder, wenn es ein wenig weiter sein soll, ein Leihrad nehmen? Unbedingt!

Was klingt wie eine Geschichte aus dem Fundus „Wünsch dir was“, ist in Paris Realität. Seit die französische Hauptstadt vor nicht ganz 20 Jahren eine Verkehrswende eingeleitet hatte, ist tatsächlich eingetreten, was manche für unmöglich hielten: Autos sind aus vielen Ecken der Innenstadt verbannt, das Radwegenetz wurde ausgebaut. Massenweise Leihräder stehen zur Verfügung, Uferstraßen wurden zu Flaniermeilen mit Bars, Cafés, Bouleplätzen. Paris bekommt – vor allem dank der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo – das hin, was man eine ökologische Verkehrswende nennt: autofreies Flussufer, verkehrsberuhigte Innenstadt, Tempo 30, dreifach erhöhte Parkgebühren für SUVs, viele Radwege.

Zählte das Radwegenetz 2007 lediglich 200 Kilometer, sind es heute schon über 1.000 Kilometer. In der zu allen Jahreszeiten gut besuchten Innenstadt stehen an allen möglichen Ecken Ständer mit Leihrädern.

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Zunächst sorgte Hidalgos rasanter Verkehrsumbau für heftige Kontroversen, ihre Stadt ohne den berühmt-berüchtigten Autoverkehr schien den Pa­ri­se­r:in­nen undenkbar – trotz Staus und wachsenden Frusts. Doch in einer Umfrage plädierten 60 Prozent der Be­woh­ne­r:in­nen für ein Tempolimit – sie hatten verstanden, dass eine Geschwindigkeit von nur 30 km/h für bessere Luft und weniger Lärm sorgt und die Straßen sicherer macht. Laut der Deutschen Umwelthilfe sinkt die Zahl tödlicher Unfälle bei Tempo 30 um 75 Prozent.

Jetzt sollen 500 weitere Straßen für Autos gesperrt und sogar begrünt werden. 500! Dafür sprach sich bei einer Umfrage im Frühjahr eine Mehrheit der Abstimmenden aus. Die Sache hat nur einen Haken: Die Wahlbeteiligung betrug gerade mal 4 Prozent. Den meisten Pa­ri­se­r:in­nen schienen mehr Grün und noch weniger Autos in der Innenstadt egal zu sein. Oder sie wollten ein Zeichen setzen: Jetzt reicht es mal mit dem Ökogehabe unserer Bürgermeisterin.

Viele Be­ob­ach­te­r:in­nen meinten, die miese Wahlbeteiligung sei eine Schlappe für Hidalgo und ihre Verkehrspolitik, die zulasten der Au­to­fah­re­r:in­nen und vor allem zugunsten der Tou­ris­t:in­nen geht. Ja, so kann man das sehen. Denn Auto fahren die Pa­ri­se­r:in­nen immer noch gern, für nicht wenige aus dem Großraum Paris ist es wichtig, sich unabhängig in der Stadt bewegen zu können. Man kann es aber auch anders sehen: Irgendjemand muss ja mal mit der Verkehrswende anfangen. Saubere Luft, wenig Lärm, Sicherheit auf den Straßen wollen im Grunde alle. Auch im Stau steht niemand gern, Zeitoptimierung ist das Gebot einer beschleunigten Zeit. So unrealistisch für manche Hidalgos Vorstoß anfangs auch ausgesehen haben mag – es gab schlicht keine Alternative dazu, die Stadt schrammte – wie alle Großstädte auf der Welt – am Verkehrskollaps entlang.

Wer jetzt einwirft, dass bei reduziertem Autoverkehr auch der ÖPNV funktionieren muss, hat recht. Aber die Pariser Metro fährt nicht nur weit bis in die Außenbezirke raus, sie ist zudem schnell und zuverlässig. Anders als Busse und Bahnen in deutschen Städten, insbesondere in Berlin, wo der ÖPNV immer wieder wegen nie enden wollender Baustellen unterbrochen, mit Schienenersatzverkehr beglückt oder ganz lahmgelegt wird.

Haltungen können sich ändern

Unabhängig davon zeigt das Beispiel Paris, dass sich Haltungen durch Erfahrung ändern können, dass aus Ablehnung Zustimmung werden kann. So belegen Studien aus verschiedenen Bereichen, darunter zu gesundheits-, migrations-, verkehrspolitischen Fragen, dass Gesetze eine direkte oder indirekte Wirkung auf Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen haben können und Menschen dadurch ihr Bewusstsein für bestimmte Themen schärfen oder auch ihr Sozialverhalten anpassen können. So stellt heute niemand mehr den Autogurt infrage. 1976, als die Anschnallpflicht in Deutschland eingeführt wurde, wehrten sich viele Autofahrer unter anderem mit dem Argument dagegen, ein Gurt schränke ihre Freiheit ein. Vergewaltigung in der Ehe ist seit 1997 strafbar, heute ist die Gesellschaft bei sexualisierter und Partnerschaftsgewalt sensibler. Ebenso bei Gewalt gegen Kinder, die hierzulande 2001 für Eltern und 1973 in der Schule gesetzlich verboten wurde.

In Paris sind Autos vielerorts verbannt, das Radwegenetz gut ausgebaut und Uferstraßen inzwischen Flaniermeilen

Warum sollte das mit weniger Auto- und mehr Radverkehr nicht auch so sein? In Paris – und in anderen Metropolen auch? Das kriegt selbst die Millionenstadt New York hin. Dort gilt seit über zehn Jahren nicht nur ein Tempolimit von 26 Meilen, also etwa 40 Kilometer pro Stunde, sondern seit gut einem Jahr auf Jaywalkings, bei dem Fuß­gän­ge­r:in­nen jederzeit straffrei über die Straße gehen können, auch ohne Ampeln und Zebrastreifen. Die New Yor­ke­r:in­nen leben diese Verkehrsberuhigung mit einer großen Selbstverständlichkeit. Oder Helsinki: In der finnischen Hauptstadt ist seit einem Jahr niemand mehr durch einen Verkehrsunfall gestorben. Der Grund: Tempo 30, Zebrastreifen, Radwege. Auch im italienischen Bologna und im französischen Lyon gelten in der Innenstadt Tempolimit und Verkehrsberuhigung durch Fußgängerzonen.

Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hingegen setzt auf mehr Autoverkehr: Straßen und Autobahnen werden aus- und neugebaut, Tempolimit und die Sicherheit von Fuß­gän­ge­r:in­nen spielen keine Rolle, Autofahren wird subventioniert. Die Deutsche Bahn ist eine Katastrophe und neue Radwege sind vielerorts nicht mehr als ein Traum. Das widerspricht dem Grundsatz „mehr Mobilität, weniger Verkehr“.

Anne Hidalgo wird zur Kommunalwahl im März 2026 übrigens nicht mehr antreten – ihr Verkehrskonzept wird bleiben.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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49 Kommentare

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  • Was viele vergessen Städte, wie Paris, Kopenhagen, Amsterdam, Utrecht uvm die die Autos aus den Innenstädten raus haben. Haben dafür an der Innenstadt sehr viele Parkhäuser, Tiefgaragen und P+R Plätze geschaffen. Hier in Deutschland wollen die Menschen das ja nicht mal weil das zerstört ja die Natur usw. Daran hakt es ja auch. Sollen Parkäuser gebaut werden wie in Frankfurt zweigt das selbst die Leute die die Autos raus haben wollen nicht verstanden haben was das bedeutet. so lange die Menschen der Innenstadt nicht einsehen, das es dafür rund um der Innenstadt Parkplätze es brauch funktioniert das nicht! In den Niederlanden wurden erst Parkplätze in den drei bereits oben genannten Formen gebaut bevor die Autos aus er Innenstadt geholt wurden

    • @Marcelo:

      Das Auto generell ist halt auch ein Problem: Ressourcen, Kosten, Umwelt, Platz, ...



      Parkplätze sollten ihre Kosten auch tragen, verbilligte Parkhäuser würden das falsche Zeichen setzen. Utrecht hat ein formidables Radparkhaus gleich vor der Centraal Station, 7000 Plätze, Leihräder unkompliziert. Lernen wir vielleicht da zuerst von ihnen.

      • @Janix:

        Lernen wir vor allem daraus, dass nicht die Verdammung von Autos die Stellschraube ist, sondern die Bereitstellung von Alternativen.

        Und da kann man in DE feststellen, dass es nicht von der Parteifarbe abhängt, ob alternative Konzepte auch umgesetzt werden.

      • @Janix:

        Du willst die Autos komplett abschaffen! Selbst in meinen genannten Städten ist das nicht möglich. Das Auto wird so schnell nicht verschwinden. Diesen Traum können sie aufgeben, zu unrealistisch

      • @Janix:

        Utrecht hat aber auch Parkplätze für 10.000 Autos

        • @Marcelo:

          Und die bkommen bidirektionale Lader, damit parkende Autos künftig das,Netz stbilisieren. Auch Utrecht hat nicht nur eine Vision, sondern setzt konkret was um. VW wiederum wird weiter verschleppen und sich maximal unattraktive,Preismodelle ausdenken.

    • @Marcelo:

      Die auto’s fahren noch durch amsterdam centrum aber 30 kmh persönlich würde ich es begrüßen wen man das ganze centrum auto frei machen würde und nur noch für Transport von Gütern / Arbeit frei stellen würde



      Ich bleibe noch träumen

      • @Bergtropf:

        Autos fahren auch noch durch Paris, Kopenhagen und Utrecht.

        Realistisch gesehen ist der Traum nicht realisierbar!

  • Bei der nächsten Kommunalwahl hierzulande von den Parteien einfordern: Mensch im Mittelpunkt, nicht Motor.



    Begrünung und Parks statt Betonplätze und -trassen.



    Zersiedlung verringern.

    Es geht doch, im dichtbesiedelten Paris geht es, weil u.a. eben die Vergottung des Autos zurückgedreht wird.



    Politik kann gestalten. Das Bohren dicker Bretter lohnt sich.

    • @Janix:

      Paris ist eben dann doch ein Sonderfall. Die Stadt ist nur ca 100 km^2 groß und sehr dicht bebaut (2,1 Mio Einwohnern), gleichzeitig mit großen Boulevards versehen. Berlin ist fast 900 km^2 groß bei 3,7 Mio Einwohnern. Da wird öffentlicher Nahverkehr gleich viel effektiver und die Wege kürzer....und drumherum ne Stadtautobahn:D

  • taz: *Seit die französische Hauptstadt vor nicht ganz 20 Jahren eine Verkehrswende eingeleitet hatte, ...*

    Bei uns wird man wohl erst 'in 20 Jahren' über eine Verkehrswende nachdenken, denn Deutschland ist ein Autoland, wo die Autoindustrie "ihre Politiker" fest und eng an der Leine haben und so etwas wie 'weniger Auto- und mehr Radverkehr' sofort im Keim erstickt wird.

    taz: *Wer jetzt einwirft, dass bei reduziertem Autoverkehr auch der ÖPNV funktionieren muss, hat recht.*

    Das freut mich natürlich, dass ich recht habe. Ich werfe deshalb gleich mal ergänzend ein, dass wir in Deutschland jetzt schon mit dem Ausbau eines klimafreundlichen ÖPNV (E-Busse, Straßenbahnen, Stadtbahnen etc.) anfangen sollten, denn wenn man erst 'in 20 Jahren' damit anfängt, dann wird es zu spät sein, um den Klimawandel mit einer Mobilitätswende wenigstens noch ein bisschen entgegenzuwirken.

    Aber mit der CDU/CSU und der SPD wird das wohl nichts werden. Und wenn die AfD ans Ruder kommt, dann haben wir ohnehin ein größeres Problem, als nur eine "vergeigte" Verkehrswende.

    • @Ricky-13:

      Na ja, beim ADFC-Fahrradklima-Test 2024 waren auffallend viele CDU geführte Städte auf den vordersten Plätzen. Wettringen z.B. belegte den 1. Platz.

      Das es also "mit der CDU/CSU und der SPD wohl nichts wird" hat mit der Realität wenig zu tun und nur durch eine politische Brille betrachtet.

    • @Ricky-13:

      "Ich werfe deshalb gleich mal ergänzend ein, dass wir in Deutschland jetzt schon mit dem Ausbau eines klimafreundlichen ÖPNV (E-Busse, Straßenbahnen, Stadtbahnen etc.) anfangen sollten...."

      Da greife ich doch glatt mal ein Post von Forist @Michael Rehm auf, der davon schwärmte dass es in Luxemburg einen flächendeckenden und sogar kostenlosen ÖNPV gibt.

      Und oh Wunder: Luxemburg hat trotzdem die höchste Autodichte in ganz Europa mit 698 PKW auf 1000 Einwohner, ganz ohne Autolobby. Wie passt das zusammen?

      • @Tom Tailor:

        Luxemburg gilt als eines der reichsten Länder der Welt. Der hohe Wohlstand in Luxemburg ist unter anderem auf den starken Finanzsektor, den Stahlsektor und den Tourismus zurückzuführen. Aus dem Grund hat Luxemburg auch die höchste Autodichte in ganz Europa mit 698 PKW auf 1000 Einwohner, denn als reicher Luxemburger möchte man wohl nicht wie ein armer Mensch aussehen, der einen Drahtesel (Fahrrad) fahren muss.

        Und solange wir das Obdachlosenproblem in Deutschland nicht gelöst haben, kann es einen kostenlosen ÖNPV in diesem Land natürlich nicht geben. Und mit einer Lösung meine ich nicht die Obdachlosen-"Lösung" die dem Milliardär Trump in den USA vorschwebt, sondern eine sozial gerechte Lösung.

        Warum treten Sie hier eigentlich - wenn auch 'geschickt verpackt' - für die klimaschädliche Autoindustrie ein? Haben Sie keine Kinder und Enkelkinder?

        • @Ricky-13:

          Ist das Hinterfragen von vermeintlich grünen Verkehrskonzepten für Sie schon Lobbyarbeit für die Autoindustrie? Thema Kinder: Sind Sie der Meinung, dass es für meine Kinder eine Rolle spielt, wenn ich keine Fragen stelle?

  • "Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hingegen setzt auf mehr Autoverkehr"

    Es gib so viele Kombinationen von Parteien, die auf Landesebene oder in den Kommunen für Verkehr zuständig sind und sch durch nichts von den Prioritäten des Bundes unterscheiden. Im Gegenteil sogar. Der Bund setzt in seinen Prioritäten letzten Endes nur die Prioritäten der Länder um.

    Wer eine Verkehrswende will muss auch Grüne und Linkspartei in Bewegung bringen .

  • "Aber die Pariser Metro fährt nicht nur weit bis in die Außenbezirke raus, sie ist zudem schnell und zuverlässig. "

    Da hat ja auch das zugeschlagen, was hierzulande als "Tunnelbaumafia" bezeichnet wird - für das laufende Ausbauprojekt 《Paris Grand Express》 sind gerade aktuell mehr Tunnelbohrmaschinen von Herrenknecht unter Vertrag als bei Stuttgart 21 jemals eingesetzt waren...

  • "Anne Hidalgo wird zur Kommunalwahl im März 2026 übrigens nicht mehr antreten – ihr Verkehrskonzept wird bleiben."



    Ihr Verkehrsprojekt wird bleiben?



    Da wäre ich mir nicht sicher. Wirklich baulich verändert wurde wenig. Viele Straßen wurden einfach nur umgewidmet, ein paar Blumenkubel, Installationen, Poller, Markierungen geändert und das wars.



    Sollte sich die politische Landschaft in Paris ändern, kann das ganz schnell zurückgebaut werden. Hier wurden kaum unumkehrbare Tatsachen geschaffen und wirklichen Rückhalt in der Bevölkerung muss auch nicht gefürchtet werden, diese auch hier im Artikel zitierten "4%" muss man sich mal in realen Zahlen vorstellen:



    1,4 Millionen Pariser waren stimmberechtigt.



    4% davon sind gerade mal 56.000 Menschen.



    Und davon auch nur 66% sich für den Umbau ausgesprochen.



    Heißt: die Verkehrswende in Paris ist das Ergebnis vom Willen von 37.000 Menschen...



    Ich sehe den Beschluss jetzt noch 500 weitere Straßen umzugestalten als machtpolitisches Spielchen. Da sollen nochmal Tatsachen geschaffen werden. Man hätte eine erneute Umfrage durchführen können, quasi als Evaluation, hat man nicht, der Zuspruch in der Bevölkerung ist alles andere als flächendeckend.

    • @Saskia Brehn:

      1. Hidalgo wurde wiedergewählt. Viele Umbauten (Seineufer u.v.a.m.) hatte sie bereits umgesetzt und die Verkehrswende mitsamt Ökologisierung der Stadt waren allen Einwohner.innen bekannte Schwerpunkte. Es haben weit mehr als 56.000 für Hidalgo und damit für Individualverkehr (Fuss & Rad) gestimmt.

      2. Ist in Deutschland vielleicht schwer zu verstehen oder auch gar nicht vorstellbar:



      Private Kfz-Nutzung ist in Paris kein Thema, mit dem man Leute hinterm Ofen hervor oder gar an die wahlurne holt. Polarisiert nicht, was soll man dafür oder dagegen stimmen?

    • @Saskia Brehn:

      Da es ja der Mehrheit offensichtlich egal war, kann man auch sagen, dass es völlig egal ist, was man macht. Viel Raum für Spekulationen..

  • Nicht nur der Gurt ist heute ganz normal, auch raucht man nicht mehr im Büro und Restaurant. !

    • @A.S.:

      Hängt vom Büro ab ;)

  • War letztes Jahr 1 Woche mit dem Rad in Paris, auf der Durchfahrt von Tarifa nach Hamburg.



    Schön schön der viele Radverkehr jetzt, die meisten davon mit einem breiten Ginsen im Gesicht. Ist mir persönlich lieber als wütend angehupt und angestunken zu werden.



    Man muss Hidalgo lieben für diese Veränderung.

    Paris, die lowest hanging fruit ever, zeigt vor Allem eins, nämlich wie schwer die Verkehrswende zu bewerkstelligen ist.

    Seit Jahrzehnten beträgt der Modal Split MIV in Paris je nach Quelle 4% - 7 %. Zum Vergleich Berlin & Hamburg je 26 - 30 %.

    Das eigentliche Wunder ist, dass die vielen großen breiten und stinkenden Autofahrbahnen so lange für eine so verschwindend kleine Minderheit durchgesetzt werden konnten. Wobei ein Großteil dieser kleinen Minderheit von auswärts kommt und auf Durchfahrt ist, d.h. die sind in Paris noch nicht einmal wahlberechtigt.

    Ein sehr hoher Anteil an Fussverkehr (volle Gehwege) und sehr gut ausgebaute Öffis (Metro!!, Strassenbahn, Busse), das kennzeichnet Paris und das ist die Grundlage, auf der die (wiedergewählte) Bürgermeisterin für die übergrosse Mehrheit handeln konnte.

    In Deutschland sind diese Voraussetzungen schwer zu finden.

  • Mhh.



    Ich war letztes Jahr im Sommer unfreiwillig in Paris, weil die kürzeste Strecke dank der zentralisierten Autobahnen ( alle Wege führen nach Paris, ob Autobahn oder Zug) vom Pott nach Mitte Frankreich direkt durch die !Stadt! führte. Bahn? Wären 24h!!! Flugzeug? Auch keine Option. Wir sind auf schnellstem Wege durchgefahren.

    Dicker Verkehr auf mehrspurigen Straßen durch Wohngebiet. Aussicht bei der Durchfahrt auf viele der Sehenswürdigkeiten aus dem Auto heraus. Radfahrer ? Habe ich nicht wirklich wahrgenommen. Verkehr wie eh und je. Und der ist hart in Paris. Ich bin da immer wieder dienstlich. Bei den großen Firmen hängen Staubildschirme, um zu sehen, wo auf dem Ring mal wieder nix geht.

    Von Verkehrswende habe ich da nicht viel gesehen…. Vielleicht ist die vereinzelt in HotSpots, aber nicht großflächig.

    Da wäre es sinnvoll, dem Durchreiseverkehr sinnvolle Wege zu geben.

    • @Lio:

      Das liest sich wie vom Kabarettisten, mit Verlaub.



      Die Peripherique ist so etwas wie der Kölner Autobahnring. Umringt Paris, ist aber nicht Paris. Drumherum ist Banlieue und anders, da regierte Hidalgo nicht.



      Ich empfehle Ihnen bei Dienstreisen nach Paris den Zug über Köln und Brüssel, dann können Sie die ganze Zeit auch für Lesen, Schlafen, konzentriert Vorbereiten nutzen; vielleicht leiern Sie auch eine günstige Übernachtung raus, mit Franzosens nimmt man sich bekanntlich Zeit - ist Ihre Entscheidung.



      Es ist auch gar nicht Aufgabe einer Stadt, dem Durchreiseverkehr eine Schneise zu schlagen. Gucken Sie doch, wie die A40 und ihre Geschwister das eigentlich schöne Ruhrgebiet kaputtgemacht haben.

    • @Lio:

      Ja welch Wunder, dass man bei der Durchfahrt mit dem Auto nur Autos sieht. So kann man sich die Welt zurecht rücken.

    • @Lio:

      Durch die Stadt fahren? Es gibt doch die Peripherique. Oder sind Sie doch nur auf der Stadtautobahn gefahren? Hinweis: Alles was außerhalb der Ringautobahn liegt, gehört nicht mehr zu Paris. Da ist Frau Hidalgo nicht mehr zuständig.

  • "Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hingegen setzt auf mehr Autoverkehr: Straßen und Autobahnen werden aus- und neugebaut..."

    Ein Zirkelschluss von Paris auf den Rest der Republik, so einfach wie falsch: Autobahnen sind in den Innenstädten eher selten anzutreffen und Fußgängerzonen gibt es auch in deutschen Innenstädten reichhaltig. Darüber hinaus werden auch in Frankreich Autobahnen und Straßen aus- und neugebaut.

    • @Tom Tailor:

      Das bezieht sich wohl auf die abstruse und heftig teure Autobahn nach Berlin hinein, tatsächlich heutzutage noch weitergebaut. Als ob nicht die nötige Verkehrswende genau in die andere Richtung geht.

      • @Janix:

        Paris hat auch eine Stadtautobahn, zu der aus allen Richtungen Stichautobahnen hinführen. Alles innerhalb ist Paris, alles außerhalb Vorstädte.

    • @Tom Tailor:

      Nichtsdestotrotz bleibt es falsch, den Schwerpunkt der Verkehrsplanung auf den Ausbau von Autostraßen zu legen. Wenn man was verbessern kann, dann tut man das. Und Paris und ALL DIE ANDEREN STÄDTE profitieren ohne jeden Zweifel davon.

      • @###:

        Gur möglich, wobei ich jetzt nicht den Eindruck habe das es in Paris früher nennenswert schlechter war. Allerdings bin ich auch nie mit dem Auto in die Stadt reingefahren sondern habe dafür die Metro genutzt. Die Zukunft wird zeigen wohin sich die Stadt entwickelt.

        Ubrigens; Verkehrsplanung betrifft nicht nur Großstädte, in einigen Gemeinden ist die Autostrasse die einzige sinnvolle Verbesserung die möglich ist.

        • @Tom Tailor:

          Als Fußgänger war es eine dreckige Luft, zu enge und zugeparkte Fußwege und Lärm. Da ich auch mal dort mitfuhr: für Autos ein Stop&Go, la guerre.



          Paris, Sonderfall einer sehr kompakten, dichtbesiedelten Metropole mit Regierung, Firmen, Tourismus dazu (es muss Paris sein), zeigt, dass Politik bei Verkehr eigentlich handlungsfähig wäre, wohl auch bei uns.

  • Mal wieder nach Paris ... und dann weiter , gerne per Rad. Habe fast alle Regionen Frankreichs mit dem Fahrrad bereist. Paris zuletzt: 2005. Würde gerne die Veränderung dort einmal erleben. Wobei Paris immer ein Erlebnis ist.

  • Selbst in kleinen Städten oder gar Dörfern ist diese konsequente Handlungsweise undenkbar, solange csdU / fdp oder gar AgD irgendwie mitbestimmen können. Die haben -und ich spreche aus bitterer Erfahrung- die Maxime, derartige Initiativen so früh wie möglich auszubremsen. Tempo 30 Zonen, Radwege, Fußgängerzonen oder -ampeln, alles blockieren die zugunsten der Autos. Die sind nun mal rückwärtsgewandt und werden das absehbar noch länger bleiben....

  • Mikael Colville-Andersen, einer der Väter von Kopenhagens Fahrrad-Infrastruktur, im Interview Juli 2022:

    Frage: Wie lange brauchen deutsche Städte, um eine gute Radinfrastruktur zu entwickeln?



    M.C-A: Keine Ahnung, ich kenne die politische Situation nicht. Berlin – mit 13 Prozent Radverkehrsanteil eine der 20 fahrradfreundlichsten Städte weltweit – hat gute Chancen, sein Radnetz weiter auszubauen und Fußgänger, Radfahrer sowie öffentliche Verkehrsmittel an erste Stelle zu setzen. Das könnte in Berlin recht schnell geschehen ...

    www.radfahren.de/s...rsen-im-interview/

  • Ich habe 6 Jahre in Paris intra-muros gewohnt. Es war schon damals (späte 90er) mit Auto eine Katastrophe. Wenn ich mal beruflich mit dem Auto nach Paris musste (heute nicht mehr), war das wegen Verkehr immer der blanke Horror.



    Was Anne Hidalgo (u.a.) da umgesetzt hat, wird vielen PariserInnen zu Gute kommen.



    Auch die, die es heute noch nicht einsehen und die schimpfen.

  • Danke.

    Ja die Auto- "geilheit" in Deutschland ist ein echtes Problem.

    Wohl auch wegen dem vielem Geld das die fossile Lobbyorganisation VDA in die Politik pumpt. Besonders Richtung CDU/CSU:

    lobbypedia.de/wiki...automobilindustrie

    Verbrennungsmotoren mit fossilem Kraftstoff gehören nicht in eine Stadt.

    Dies wird in Zukunft eine Binsenweisheit sein. Planetenweit. Auch in Deutschland.

    • @Goldi:

      Ohja, die "Autogeilheit" ist in D am schlimmsten ausgeprägt, insbesondere aufgrund der vielen Lobbyisten. Darum ist die PKW-Dichte in D auch am höchsten. Oder doch nicht?

      "In Luxemburg sind die meisten Pkw pro 1.000 Einwohner innerhalb der Europäischen Union zugelassen. Wie eine Statista-Grafik auf Datenbasis des europäischen Herstellerverbands Acea zeigt, kamen 2021 im Großherzogtum 698 Pkw auf 1.000 Einwohner. Auf dem zweiten Platz folgt Polen mit 684 Pkw.

      Deutschland liegt hinter Estland (621) und Tschechien (588) auf dem sechsten Platz



      Italien liegt auf dem dritten Rang mit 672 Pkw. Die durchschnittliche Pkw-Dichte innerhalb der EU beträgt 567 Autos, in Deutschland sind es 584. Damit liegt Deutschland hinter Estland (621) und Tschechien (588) auf dem sechsten Platz. Die geringste Kfz-Dichte weist Rumänien mit 396 Pkw auf. "

      www.next-mobility....4c9cc1870c5cb1b6e/

      • @Tom Tailor:

        Sie verweisen auf einen Datenpunkt. Das mag ich grundsätzlich.



        Bildet dieser die Autogeilheit (Wort des Vorredners) bereits ab oder nicht?



        Die Ideologie und das Zelotentum, in der Verkehrsplanung noch mehr Autos in die Straßen pressen zu wollen. Die massive Förderung durch den Staat auf verschiedene Weise. Ich empfinde das nicht mehr als rational, und ich habe da sonst eigentlich einen weiten Begriff.

      • @Tom Tailor:

        Nur weil es wo anders noch schlimmer ist, heißt es nicht, dass diese Aussage nicht doch stimmt...



        Und Luxemburg mag zwar eine hohe Autodichte haben, aber auch kostenlosen ÖPNV... Was wiegt nun schwerer?

        • @Michael Rehm:

          Luxemburg hat keine Millionenstadt und ein höheres Einkommen der Bewohner als Deutschland. Das dürfte die höhere Zahl der Autos unabhängig von der Verkehrspolitik erklären.

        • @Michael Rehm:

          Der Umstand das Luxemburg trotz kostenlosen ÖPNV die höchste Autodichte hat. Denn es beweist, dass auch ein guter und kostenloser ÖPNV die Menschen nicht vom Auto wegbringt, sogar in einem Land in dem es keine "Autolobby" wie in Deutschland gibt.

          • @Tom Tailor:

            Luxemburg hat bekanntlich eine extreme Hineinpendelquote, da würde ich gerade prüfen, ob da die Pendelautos der Franzosen und Deutschen auf die Firma laufen, denn Geld dafür hätten die Banken ja schon und die zahlen gerne reichlich Schweigegeld.

            Kostenloser ÖPNV ist ein guter Beginn, der Rückbau der Straßen ist freilich der nächste Schritt.

            • @Janix:

              Die Autodichte bezieht sich auf die zugelassenen PKW der luxemburger Bürger, ohne Pendelverkehr aus dem Ausland. Und natürlich kann man Straßen zurück bauen, die Frage ist nur, wie dann die Busse an ihr Ziel kommen sollen ;-)

  • Schade, nicht der erhoffte echte Blick in die Zukunft. Sondern eher eine Blick zurück durch die Verweise auf früher, inkl. zur Gesetzgebung zur Vergewaltigung in der Ehe und dann mit den wenigen bekannten Beispielen von Verkehrsveränderungen in Städten.



    Wie wird es in Paris in fünf Jahren aussehen? Mehr Verkehrsberuhigung oder weniger?



    Wie wird es in Berlin, der deutschen Bezugsstadt, in fünf Jahren aussehen? Oder gibt es bis dahin andere Städte, vielleicht eine nahe den Niederlanden wie Aachen oder Emmerich, die dann Fahrradstadt sind? Gemeinden und Städte haben mittlerweile Gestaltungsspielraum, da muss man nicht auf die Bundesregierung warten (das hat Paris auch nicht getan).

    • @fly:

      Aachen hat zu viel an Aachen-City eingebundenes Umland, wo Bahnstrecken stillliegen, Busse eher dekorativ eingesetzt werden.



      Emmerich ist seit vielen Jahren eine Immer-wieder-Bahnbaustelle, peinlich gegenüber den Niederländern, die ihren Teil längst fertig haben.



      Autofrei heißt auch die Stadtplanung wieder mensch-lich zu machen. In den Emmerichs müssten Kaufland & Co. wieder näher ran, und Parkplätze zu Leihstationen fürs Lastenrad veredelt werden. Die Nähe zu den Niederlanden führt bei den Orten zu importiertem Autoverkehr, nebenbei. Alles außer Kaffee und Vla kauft Jan Modaal in Deutschland.

    • @fly:

      Ich würde sagen, Journalisten sind nicht dafür da um in Glaskugeln zu schauen und bin dankbar für die historische Einordnung.