Verfassungsschutz und „Querdenker“: Jetzt kann abgehört werden
Nach der Einstufung des Coronaprotests gibt es Lob und Kritik aus der Politik. Die „Querdenker“ flüchten sich in Zynismus – und mobilisieren weiter.
Der Verfassungsschutz sieht das mit dem friedlich allerdings inzwischen anders – und schritt nun zur Tat. Am Mittwochmorgen erklärte das Bundesamt den seit gut einem Jahr währenden Coronaprotest zum bundesweiten Beobachtungsobjekt.
„Legitime Proteste und Demonstrationen gegen die Coronapolitik werden immer wieder, und in jüngerer Zeit zunehmend, instrumentalisiert und Eskalationen provoziert“, verlautbarte das Amt. Demokratische Institutionen würden „in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich gemacht“.
Der Verfassungsschutz benennt dabei „zuvörderst“ Ballwegs „Querdenken“-Bewegung. Sie und andere suchten Verbindungen zu Rechtsextremen, riefen dazu auf, behördliche Anordnungen zu ignorieren und verbreiteten Verschwörungsmythen wie QAnon, was eine „erhebliche katalysatorische Wirkung“ habe. All dies ziele darauf, das Vertrauen in staatliche Institutionen „nachhaltig zu erschüttern“.
Drohungen, Widerstandsaufrufe, Todesliste
Der Schritt zeichnete sich ab. Zuletzt war es bei den Protesten immer wieder zu Angriffen auf Polizeikräfte und Medienvertreter:innen gekommen. Aus der Szene kamen Morddrohungen an Politiker:innen, aufgerufen wurde zu Widerstandsaktionen. Jüngst erst kursierte auf Telegram eine Liste mit Bundestagsabgeordneten, die dem neuen Infektionsschutzgesetz zustimmten, mit der Bezeichnung „Todesliste deutscher Politiker“.
Und schon im Dezember hatte der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg Ballwegs „Querdenken 711“, auch bundesweit einer der Hauptorganisatoren der Proteste, unter Beobachtung gestellt. Es folgten die Landesämter in Bayern, Hamburg und Berlin.
Zuletzt hatte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Einstufung gefordert. „Es ist völlig unbestritten, dass Menschen für ihre Meinung auf die Straße gehen können, das bleibt unangetastet“, erklärte er am Mittwoch in Berlin. „Aber es ist eine Selbstverständlichkeit, den Rechtsstaat und die Bevölkerung vor Extremisten zu schützen.“
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schafft für den Coronaprotest nun ein eigenes Sammelbeobachtungsobjekt: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Ähnlich war es zuletzt schon mit der Reichsbürgerszene verfahren. Dem neuen Phänomenbereich werden nun die radikalsten Akteure und Gruppen des Coronaprotests zugeordnet.
Emails können mitgelesen, Spitzel angeworben werden
Welche das sind, darüber schweigt das Bundesamt. Ballwegs Stuttgarter Querdenker dürften aber gesetzt sein. Auch Provokateure wie Attila Hildmann, Ken Jebsen oder die Organisatoren des selbsternannten „D-Days“, mit dem Autobahnen blockiert werden sollten, sind Anwärter. Der Verfassungsschutz kann nun Treffen observieren, Emails abfangen und Spitzel anwerben – und auch die undurchsichtigen Finanzströme des Protests mit Kontoprüfungen durchleuchten.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach begrüßt die Beobachtung: „Querdenker versuchen, die größte medizinische Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg zu nutzen, um die Demokratie zu destabilisieren. Nichts könnte schäbiger sein.“ Auch Josef Schuster vom Zentralrat der Juden nennt den Schritt „dringend notwendig“, da Rechtsextremisten die Proteste strategisch nutzten, um Anhänger zu gewinnen.
Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic übt indes auch Kritik. „Anstatt die offen antisemitische und rechtsextreme Ideologie vieler Personen der sogenannten Querdenken-Bewegung zu erkennen und zu benennen, verwässert der Verfassungsschutz mit dieser neuen Kategorie die Analyse rechtsextremer Bewegungen.“ Bei allem „bürgerlichen Tarnumhang“ der Bewegung müsse „Rechtsextremismus auch in neuen Formen und Facetten als das erkannt werden, was es ist“.
„Querdenker“ mobilisieren weiter
Die „Querdenker“ setzen ihren Protest derweil fort. Bereits fürs Wochenende mobilisieren sie erneut zu Kundgebungen und Autokorsos in mehreren Städten. Einer der Schwerpunkte ist Weimar, wo es zuletzt eine Hausdurchsuchung bei einem Amtsrichter gab, der zuvor die Maskenpflicht für zwei Kinder an Schulen für ungültig erklärt hatte. Gegen ihn wird wegen Rechtsbeugung ermittelt. In Protestaufrufen der Querdenken ist von einer „politischen Justiz“ die Rede. Der Staat habe „eine rote Linie überschritten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“