Union und Demokratie: Nur die CDU! Nur die … CDU??

Wer rettet uns vor der AfD? War Pirna der letzte Warnschuss, der die Demokraten zusammenbringt? Diese Hoffnung sollte man nicht haben.

Stadt von oben

Wird hier die Demokratie verteidigt? Pirna in Sachsen Foto: Sebastian Kahnert

Gerade ist die Zeit der Besinnlichkeit, die man mit Familie und Freunden verbringt. Hier ein kleiner Rätselspaß für Kinder und Erwachsene: Stammen folgende Sätze jeweils aus dem Parteiprogramm der CDU, der Freien Wähler – oder der AfD?

1. „Wir streben deutlich restriktivere Maßnahmen zur Begrenzung illegaler Migration an.“

2. „Wir setzen uns für die Beibehaltung des Paragrafen 218 ein.“

3. „Die Strafe muss auf dem Fuße folgen.“

4. „Arbeit ist eine Tugend. Wer arbeiten kann, soll arbeiten.“

5. „Wir respektieren Vielfalt, aber lehnen Geschlechterideologie ab.“

6. „Unsere Sicherheitsstrategie heißt: Null Toleranz“

Na? Welche Aussagen klingen nach dem christlich-sozialen Duktus der CDU, welche nach dem bodenständigen und dörflich verankerten Denken der Freien Wähler, welche nach dem Weltbild einer umstürzlerischen, faschistoiden AfD?

Wir haben uns einen kleinen Scherz erlaubt – jeder einzelne Satz findet sich im Entwurf zum neuen Grundsatzprogramm der CDU. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, was die CDU unter Merz genau fordert, was für eine Gesellschaft sie wollen, wenn man wie in dieser Woche händeringende Kommentare liest, die CDU und die Freien Wähler hätten doch die Wahl eines AfD-Bürgermeisters im sächsischen Pirna verhindern können. Die „demokratischen Kräfte“ hätten sich zusammentun sollen, statt getrennt zur Wahl anzutreten.

Nur die CDU kann die offene Gesellschaft noch schützen! Nur die CDU steht zwischen uns und dem rechten Abgrund! Nur die CDU kann die Demokratie noch retten!

Die CDU? Eine Partei, deren Vorsitzender Friedrich Merz 2020 Homosexuelle mit Pädophilen gleichsetzte, die rassistische Rede von Claudia Pechstein am Parteitag diesen Sommer als „brillant“ lobte, muslimische Teenager als „kleine Paschas“ diffamiert, den Sozialstaat und Arbeitnehmerschutz eindampfen will, mitten in eine gesellschaftliche Diskussion über jüdisches Leben in Deutschland für Weihnachtsbaum-Pflicht eintritt?

Man könnte noch viel mehr Beispiele aufführen, warum diese Partei vielleicht nicht die geeignetste ist, eine demokratische Gesellschaft zu schützen, die der Freiheit und Gleichheit ihrer Mitglieder verpflichtet ist.

Während Verfassungsschutz, Medien und der liberale Stammtisch diskutieren, ob man die AfD in Sachsen und anderswo einfach verbietet, ist deren Gedankengut und Sprache längst von den sogenannten demokratischen Parteien begeistert aufgenommen worden. Die Fixierung auf ein Etikett verstellt den Blick auf den Inhalt.

Die AfD muss nicht die Regierung stellen, um zu gewinnen. Es reicht, wenn andere ihre Positionen übernehmen und umsetzen. Das ist sogar noch viel gefährlicher. Denn gegen eine Koalition mit AfD-Beteiligung gäbe es viel Widerstand.

Ein Blick ins Ausland zeigt diese Dynamik. Bei den Parlamentswahlen in Spanien im Sommer drohte eine Koalition aus konservativer Partido Popular und rechtsextremer Vox. Die Wäh­le­r:in­nen strömten verschreckt zur Urne, denn auch wenn sie die breit aufgestellte Mitte-links-Koalition von Sozialdemokraten und Linkspopulisten unter Tolerierung von regional-nationalistischen Kleinstparteien vielleicht nicht ideal finden, besser als die Alternative ist sie allemal.

Nachwahlbefragungen zeigten, der wichtigste Beweggrund, das linke Lager zu wählen war: Angst. Angst vor der Rechten.

Was passiert, wenn die Koalition zwischen rechts und rechtsextrem gelingt, kann man ebenfalls im Ausland beobachten: In unseren Nachbarländern Österreich und der Schweiz etwa ist die Brandmauer schon vor Jahrzehnten zusammengebrochen. Auch in Italien sieht es nicht viel besser aus, selbst wenn Meloni die Finanzmärkte befriedigt hat und darum der bürgerlichen Presse als nicht ganz so schlimm gilt. In diesen Gesellschaften haben sich die Rechtsextremen eingerichtet, sie stellen Minister und hohe Beamte, bestimmen, was im öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft, ihre Ideen sind vollständig normalisiert.

In Thüringen lässt sich schon erkennen, wie die deutsche Brandmauer Risse bekommt. Im September beschloss der Landtag in Erfurt die Senkung der Grunderwerbsteuer, mit Stimmen der CDU, der FDP – und der AfD. Die Empörung war groß, die CDU ruderte zurück, es habe keine Absprache mit der AfD gegeben, beteuerte Landesvorstand Mario Voigt, die AfD habe sich nur einem Antrag der CDU angeschlossen.

War das ein Testballon für die indirekte Zusammenarbeit mit der AfD? Ein solcher stieg kurz darauf in den Himmel: Der Historiker Andreas Rödder, Vorsitzender der Grundwertekomission der CDU, zeigte sich für CDU-Minderheitsregierungen offen, auch wenn das die Tolerierung durch die AfD erfordere. Unter dieser Bedingung könnte die AfD weitreichende Zugeständnisse extrahieren, so wie das die damalige PDS von der SPD unter dem „Magdeburger Modell“ in den neunziger Jahren in Sachsen-Anhalt erwartete.

Rödders Testballon wurde abgeschossen: Noch Ende September räumte er unter Druck von Parteichef Merz seinen Posten. Doch wie weit entfernt war Rödders Vorschlag denn von Merz’ eigener Idee, vorgetragen im diesjährigen Sommerinterview, die CDU könne zumindest auf Kommunalebene mit der AfD kooperieren? Auch dieser Vorschlag löste Entrüstung aus und wurde flugs zurückgenommen. Doch die Strategie steht nun öffentlich ausformuliert im Raum.

Für viele Menschen in diesem Land macht es nur einen graduellen Unterschied, ob uns die AfD übel will oder die CDU. Worin sich die Parteien doch noch unterscheiden: Bei der CDU gibt es noch Kräfte, die zumindest ein bisschen Anstand haben. Man kann sie an das C in ihrem Namen erinnern. Das steht ja zum Beispiel in dieser Jahreszeit dafür, dass eine Familie aus dem Nahen Osten auf der Flucht war und Schutz gesucht hat. Vielleicht verläuft die wichtigste Brandmauer ja nicht zwischen der CDU und der AfD, sondern mitten durch die Union. Man hofft, dass sie hält.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteur taz2, zuständig für Medienthemen. Interessiert sich auch für Arbeitskämpfe und sonstiges linkes Gedöns, aber auch queere Themen und andere Aspekte liederlichen Lebenswandels. Vor der taz einige Jahre Redakteur im Feuilleton der Zeit und als freier Journalist in Europa, Nordamerika und dem Nahen Osten unterwegs gewesen. Ursprünglich nicht mal aus Deutschland, aber trotzdem irgendwann in Berlin gestrandet. Mittlerweile akzentfrei.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.