EU-Asylsystem GEAS: Sechsjährige ins Lager
In Brüssel läuft die letzte Verhandlungsrunde zur Reform des EU-Asylrechts. Der Rat will, dass auch Kinder für Schnellverfahren interniert werden.
BERLIN taz | Die EU will auch Minderjährige ab sechs Jahren künftig in geschlossenen Lagern an den EU-Außengrenzen festhalten. Bisher war ein Mindestalter von 12 Jahren im Gespräch. Die spanische Ratspräsidentschaft senkte die vorgeschlagene Altersgrenze unmittelbar vor Beginn der am Donnerstag begonnenen Verhandlungsrunde zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS).
Parlament, Rat und Kommission beraten dabei über die letzten von insgesamt zehn Einzelnormen. Sie werden weitgehende Einschränkungen der Rechte von Flüchtlingen und Migrant:innen in der EU bringen.
Auf dem Tisch liegt unter anderem ein Konzept zu Schnellverfahren an den Grenzen – aber auf EU-Territorium – während denen die Ankommenen als nicht eingereist gelten.
Die Grünen hatten die Schnellverfahren, die Deutschland 2019 ins Spiel gebracht hatte – lange kategorisch abgelehnt. Im Frühsommer aber stimmte Deutschland im Rat den Kommissionsvorschlägen zu. Die Bedingung der Ampel – und insbesondere der Grünen – war dabei lange, dass Minderjährige von diesen Verfahren ausgenommen werden. Schon früh aber war klar: Andere EU-Staaten bestehen auf einer möglichst lückenlosen Anwendung der neuen Regelung.
Nach Beratungen mit dem Parlament entschied sich die spanische Ratspräsidentschaft nun, sechs Jahre als Kompromiss vorzuschlagen.
Faeser will zustimmen
„Ein Skandal“, kritisierte Meike Riebau von der Hilfsorganisation Save the Children Deutschland. Dass nun auch Sechsjährige in die Lager kommen sollen, sei „Ergebnis einer Reihe von überstürzten Absprachen in letzter Minute“, sagte Michele LeVoy, die Direktorin der Europäischen Plattform für Menschen ohne Papiere (PICUM). „Dies ist ein Tiefschlag für die international anerkannten Kinderrechte, die vorschreiben, dass kein Kind in Einwanderungshaft genommen werden darf.“ Länder auf der ganzen Welt haben sich verpflichtet, auf die Beendigung der Inhaftierung von Kindern im Transit hinzuarbeiten, so Le Voy. „Das kann nicht die Art und Weise sein, wie Europa regiert wird.“
Am Dienstag hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt, Deutschland werde dem GEAS-Gesetzestext auch zustimmen, wenn die Ausnahme für Minderjährige nicht durchsetzbar sein sollte.
Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 18. Dezember angesetzt. Offen sind unter anderem die so genannte Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung (AMMVO/AMMR), die das Dublin-System ablösen und die Asylverfahrensverordnung. Andere Elemente des GEAS wie die Aufnahmerichtlinie sind bereits ausverhandelt. Die spanische Ratspräsidentschaft will noch in diesem Jahr zu einer Einigung kommen. Die Abstimmung des Europäischen Parlaments wäre dann für Anfang März 2024 vorgesehen.
Leser*innenkommentare
Andreas_2020
Alle Regelungen, die jetzt getroffen werdden, sollen das Ziel 'Zahlen Senken' bedienen. Kein einziger EU-Staat steht zu einem fairen Asylverfahren mehr. Deswegen wird das hier sogar nur der Anfang und Auftakt sein für weitere Verschlechterungen. Das funktioniert vielleicht sogar, weil es keinem EU-Staat eine Mehrheit sich für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge findet. Aber nach zehn, nach fünfzehn Jahren, werden Menschen in der EU leben, die als Kinder endlose Jahre in perspektivlosen Spirallen von Lagerunterkünften unter teilweise Haftbedingungen gelebt haben. Was das mit der Seele eines Kindes oder eines Jugendlichen anrichtet, ist eigentlich bekannt. Und diese Menschen werden uns in der EU um die Ohren fliegen. Es ist eine Illusion, dass man durch das Absenken der Standards Migrations stoppen kann.
Romilia
Das ist die Welt, in der ich nicht leben will.
Wie sich Europa von den Rechten treiben lässt - die sicher schon am nächsten Fass dengeln, was sie aufmachen können.
Felis
Meine Güte - wie erbärmlich. Aber pünktlich zu Weihnachten gibt es sicher wieder Reisen von PolitikerInnen in die griechischen Flüchtlingslager, Teddybären unterm Arm für die Kinder dort und betroffenheitsbesoffene Worte für die Presse hier.
tomás zerolo
Europäische Werte. Zum Schämen.