Verbot der AfD?: Abgebrühte Liberalität

Extremismus politisch bekämpfen? Muss man sich leisten können. Auf ein AfD-Verbotsverfahren zu verzichten hieße, die Leidtragenden im Stich zu lassen.

Ein Verkehrsschild mit einem AfD-Sticker.

Ist das AfD-Verbot eine Sackgasse? Oder die AfD für diese Demokratie? Foto: Sascha Steinach/imago

Personaltableau, politische Agenda und Agieren belegen: Die AfD ist fest im Griff rechtsextremistischer Mitglieder, die die Partei strategisch ausrichten und steuern. Jüngst wurde daher auch ein Parteiverbot ins Spiel gebracht. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind nach Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes verfassungswidrig.

Über ein Verbot entscheidet aber ausschließlich das Bundesverfassungsgericht, das die Hürden hoch gehängt hat, auch um der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Rechnung zu tragen.

Das Gericht hatte 2017 in seiner Entscheidung über den NPD-Verbotsantrag mit Verweis auf den „Ausnahmecharakter des Parteiverbots“ konkrete Anhaltspunkte von Gewicht gefordert, dass eine Partei mit ihrer verfassungsfeindlichen Agenda am Ende erfolgreich sein könnte.

Das führt zum bekannten Dilemma: Ist eine Partei zu klein und bedeutungslos (wie damals die NPD), scheitert ein Verbot, weil es noch keines Schutzes der Verfassung bedarf. Ist eine Partei hingegen erst einmal fest in den Parlamenten verankert und gewinnt an Stimmenanteilen, ist ein Verbot damit belastet, unmittelbar in den demokratischen Prozess einzugreifen und demokratisch errungene Repräsentation zu beschneiden.

Pflichtschuldig wird hierauf klassisch liberal geantwortet: Man müsse Extremismus politisch bekämpfen, nicht autoritativ mit Verboten. So viel Liberalität muss man sich leisten können. Die Verteidigung des demokratischen Rechtsstaats ist kein Seminar in Politischer Theorie, sondern pragmatischer Ausgleich auf Zeit, ein muddling through, das fortwährend Risiken abwägen muss. Liberales Urvertrauen in die Vernunft des politischen Diskurses kann unvernünftig sein, weil Demokratie immer mit den Menschen leben muss, die sie nun einmal hat.

Liberales Urvertrauen in die Vernunft kann unvernünftig sein, weil Demokratie immer mit den Menschen leben muss

Demokratie ist voluntaristisch, aufgeklärte Rationalität ist nicht garantiert. Es gibt eben nicht wenige Menschen, die die antidemokratische oder rassistische Ideologie einer Partei nicht abschreckt, vielleicht auch in der Fehlannahme, selbst dadurch nichts zu verlieren. Die Kosten abgebrühter Liberalität sind meist auch recht ungleich verteilt. Die ersten Leidtragenden sind vor allem vulnerable Personengruppen, die längst als Feindbild markiert wurden und dann Repressalien unterworfen werden.

Ausgangs- und Fluchtpunkt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, so hat es das Bundesverfassungsgericht in seiner NPD-Entscheidung herauspräpariert, ist die Menschenwürde. Das Gericht stellt unmissverständlich klar, dass ein ethnischer Volksbegriff, Rassismus und Antisemitismus die Menschenwürde verletzen. Zur Menschenwürde gehört aber auch die elementare Rechtsgleichheit. „Menschenwürde ist egalitär“, so das Gericht. Das bedeutet zwar nicht, die – von der Verfassung explizit vorausgesetzte – Staatsangehörigkeit aufzugeben, die Unterschiede in der politischen Teilhabe (wie vor allem das Wahlrecht) rechtfertigt.

Würdewidrig sind aber kategorial ausgrenzende oder demütigende Diskriminierungen. Die Menschenwürde verletzen würde es, Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder rassistischer Zuschreibungen eine Mitgliedschaft im deutschen Staatsvolk abzusprechen oder unzumutbare Zugangshürden zur deutschen Staatsangehörigkeit zu errichten. Auch „ethnopluralistische“ Positionen, die zwar als anders markierten Menschen nicht generell eine gleiche Würde abzusprechen meinen, sie aber diskriminierend auf vermeintliche Heimatterritorien verbannen oder kulturell segregieren wollen, verletzen die Menschenwürde.

Verbot einzelner Landesverbände möglich

Ein Nachweis, dass jedenfalls prägende Kräfte in der AfD einem solchen ethnisch-identitären Volksverständnis anhängen und im Falle der Herrschaftsbeteiligung hieraus auch Konsequenzen ziehen würden, dürfte nicht sonderlich schwer zu führen sein. Manche Landesverbände agieren ganz offen rechtsextremistisch und kokettieren mit dem Willen zum Systemumsturz.

Die Verfassung ließe es durchaus zu, Verbotsverfahren gegen einzelne Landesverbände einzuleiten. Ob ein Parteiverbotsverfahren – das lange Zeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig wäre – ein probates Mittel ist, Rechtsextremismus einzudämmen, oder am Ende nur ein Forum bietet, sich als Systemopfer darzustellen, muss politisch gut abgewogen werden.

Die Einleitung eines Verbotsverfahrens steht im politischen Ermessen. Beherztes Vorgehen, mit dem sich die Demokratie wehrhaft zeigt, müsste aber rechtzeitig erfolgen. Hat die AfD mit demokratischen Mitteln erst Herrschaftsteilhabe erlangt, ist es zu spät.

Die ersten Opfer wären die Schwächeren

Menschenwürde ist auch ein Schutzversprechen. Menschenwürde verweist auf Zerbrechlichkeit, auf die Verwundbarkeit der Menschen. Sie ist nicht das Recht des Stärkeren, sondern der Schwächeren. Demokratische Egalität wird nicht erst konkret gefährdet, wenn Extremisten Machtmittel einsetzen; sie ist bereits gestört, wenn Teile der Bevölkerung am demokratischen Prozess nur noch unter einer Kulisse der Einschüchterung teilnehmen können und bei einer politischen Wende die ersten Opfer wären, mit denen man „aufräumt“. Auf ein mögliches Parteiverbotsverfahren zu verzichten, kann daher auch bedeuten, diese Menschen im Stich zu lassen.

Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde sind weder mit altlinker Staatsskepsis noch mit liberalem Vernunftvertrauen allein zu schützen, sondern nur mit resilienten Institutionen. Diese müssen im Krisenfall bereit sein, robust zu handeln, um eine Unterwanderung oder feindliche Übernahme abzuwehren. Das ist traditionell eher konservatives Institutionenvertrauen at its best. Mit dem demokratischen Rechtsstaat gibt es etwas zu bewahren, auf das alle Menschen angewiesen sind, die ihr Miteinander auf der Grundlage gleicher Freiheit gestalten wollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1975, ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Einer seiner Schwerpunkte ist Verfassungsrecht.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.