Ungleiche Verteilung von Krisenkosten: Frieren für die Freiheit

Im gegenwärtigen Konflikt ist oft von einem „Wir“ die Rede. Doch die sozialen Folgen des Ukraine-Krieges werden nicht alle gleich treffen.

Zwei Personen sitzen sich in einem Fernsehstudio gegenüber und diskutieren

„Auch einmal frieren für die Freiheit“, sagte Ex-Bundespräsident Joachim Gauck bei „Maischberger“ Foto: Thomas Kierok/dpa

Skepsis ist immer dann geboten, wenn mächtige Menschen so tun, als hätten sie keine Macht. Wenn sich zum Beispiel Ministerpräsidenten wie der saarländische Tobias Hans (CDU) für Twittervideos vor Tankstellen stellen und die Spritpreise beklagen, die Anfang der Woche die Zwei-Euro-Marke übertroffen haben.

Und Dinge sagen wie: „Ich finde, da ist jetzt wirklich ein Punkt erreicht, wo man sagen muss, da muss man handeln“ oder „Das Problem ist doch einfach, dass sich im Moment der Staat bereichert“.

Wie wenig Ahnung der Staatsmann Hans von Menschen hat, die unter Preiserhöhungen leiden, bewies er dabei, indem er sauber zwischen „Geringverdienern“ und „vielen fleißigen Leuten“ unterschied – weil die Preis­erhöhungen „wirklich“ auch letztere träfen. Als ob erstere wegen Faulheit Ge­ring­ver­die­ne­r:in­nen geworden wären.

Aber gut. Wenn Wahlen anstehen, wie im Saarland in zwei Wochen, dann werden Po­li­ti­ke­r:in­nen sehr peinlich. Was nichts daran ändert, dass die Preiserhöhungen echt sind. Und dass sie vor allem solchen Menschen weh tun, die sowieso schon wenig Geld haben.

Wer bezahlt welchen Preis?

Dass die Sanktionen gegen Russland richtig sind, ändert nichts daran, dass diesen Menschen schwere Zeiten bevorstehen. Die Kritik der albernen Twitterselfies vor Tankstellenanzeigen kann die Kritik der ungleichen sozialen Folgen von steigenden Preisen nicht ersetzen.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat schon vor Beginn der russischen Invasion gesagt, Deutschland sei im Falle von Sanktionen gegen Russland „bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“.

Und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck findet in der aktuellen Diskussion über einen möglichen Stopp von russischen Energieimporten: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Aber wer ist „wir“? Wer bezahlt am Ende welchen Preis?

Nur wer ehrlich auf diese Fragen antwortet, kann sich auch aufrichtig mit einer dritten auseinandersetzen: Wie können die Kosten der gegenwärtigen Situation solidarisch verteilt werden?

Kriege sind teuer

Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine macht es leicht, auf der richtigen Seite zu stehen. Die Lage ist eindeutig. Trotzdem ist es verlogen, so zu tun, als gäbe es ein „Wir“ in Deutschland. Was es gibt, sind Menschen mit ausreichend oder noch viel mehr finanziellen Mitteln. Und Menschen mit wenig finanziellen Mitteln.

Entgegen aller „Wir“-Schreierei, die mit Kriegen einhergeht, sind Kriege nicht dafür bekannt, dass sie Ungleichheiten aufheben. Im Gegenteil. Viele freuen sich gerade über die große Einheit, mit der „der Westen“ Putins Aggression begegnet.

Aber Kriege sind teure Angelegenheiten. Und dieser „Westen“ ist nicht gerade dafür bekannt, dass er die Kosten von Krisen fair verteilt.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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