Umfrage zu Klimaaktvismus: Wer schadet dem Klimaschutz?
Laut einer Umfrage ist die Zustimmung zur Klimabewegung deutlich gesunken. Der Protest der Letzten Generation spielt dabei eine Rolle.
Während Sie vielleicht entspannt bei Kaffee und Frühstücksei diesen Text lesen, befindet sich der gefühlte Rest des Landes gerade im Stau. Von der A1 bis zur A99 stehen Autos dicht an dicht und hoffen, dass sich etwas bewegt. Vielerorts ist Stillstand, quasi ein Land lahmgelegt. Der große mediale Aufschrei und empörte Kommentare in den Medien wird es in der Folge wohl trotzdem nicht geben. Denn der Grund für die Superstaulage am Wochenende sind keine Protestaktionen der Letzten Generation, sondern Ferienstart und -ende in vielen Bundesländern. Kein Grund, sich aufzuregen also.
Bei der Letzten Generation ist es dagegen relativ egal, was sie tun, es gibt immer einen Grund sich aufzuregen. Kartoffelbrei auf einem Gemälde, das durch ein Glas geschützt ist? Skandal! Eine Blockade an einer Berliner Kreuzung. Geht’s noch? Öl auf dem Grundgesetz-Denkmal? Terrorismus! Wer die Debatten um die radikale Klimabewegung verfolgt, bekommt den Eindruck, sie sei Staatsfeind Nummer eins. Dieser Tage verbreitet sich ein neues Narrativ: Die Letzte Generation schadet dem Klimaschutz.
Anlass für diese Erzählung ist eine Umfrage zur Unterstützung für die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland, die die NGO „More in Common“ kürzlich veröffentlicht hat. Die Onlineumfrage unter etwa 2.000 nach soziodemografischen Kriterien ausgewählten Erwachsenen wurde im Mai 2023 vom Meinungsforschungsinstitut Kantar Public durchgeführt und mit Daten aus dem Jahr 2021 verglichen. Ein Blick in die Ergebnisse offenbart: Dass die Letzte Generation dem Klimaschutz schadet, lässt sich aus den Daten gar nicht ablesen.
Die Umfrage ist eine Momentaufnahme und besagt: Die Zustimmung zur Umwelt- und Klimabewegung ist deutlich gesunken. 2021 haben noch 68 Prozent der Befragten ihre grundsätzliche Unterstützung bekundet, im Mai 2023 waren es nur noch 34 Prozent. Interessant ist, dass vor zwei Jahren vor allem Fridays for Future mit ihren Streiks und Großdemonstrationen im medialen Fokus stand, heute ist es die Letzte Generation. Grund für den Rückgang der Zustimmung sind beispielsweise eine wenig „verständliche Sprache“ der Bewegung, aber vor allem die Protestaktionen, insbesondere die Straßenblockaden der Letzten Generation stoßen auf Ablehnung. 85 Prozent der Befragten finden, dass die Klimabewegung „häufig in ihren Protestaktionen zu weit“ gehe.
Zustimmung in der breiten Bevölkerung
Mit „zu weit gehen“ meinen die Befragten vermutlich, dass sie genervt sind, wenn sie im Stau stehen. Oder, noch wahrscheinlicher, dass sie von der Idee genervt sind, dass ihnen das passieren könnte. Denn wie viele Menschen sind tatsächlich betroffen von den Aktionen? Wie viele standen schon im Stau wegen einer Klebeaktion? Ein ganzes Land haben die Aktivist_innen auf jeden Fall noch nicht lahmgelegt.
Die Umfrage zeigt auch, dass es eine große Zustimmung zu mehr Klimaschutz in der breiten Bevölkerung gibt. Dass die radikale Klimabewegung also dem Klimaschutz schade, lässt sich so nicht sagen. Radikale Protestformen sind zwar unbeliebt, führen aber nicht dazu, dass die Menschen weniger Klimaschutz möchten. Das unterstreicht auch noch einmal eine andere aktuelle Studie des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Trotzdem ist nun für viele klar: So kann es nicht weitergehen, die Letzte Generation muss sich anpassen. Die Bürger_innen an die Hand nehmen und mit sanften Worten durch die Krise begleiten, Mehrheiten organisieren, verständlich und transparent kommunizieren, um alle im Land mitzunehmen. Warum aber sollte die radikale Klimabewegung das tun?
Ohne Druck passiert nichts
Es ist nicht das Ziel der Letzten Generation, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen. Die Forderungen, die die Bevölkerung an die Aktivist_innen stellt, sollte sie besser an die Politik adressieren. Denn deren Aufgabe ist es, schnelle und wirksame Klimaschutzmaßnahmen sozial verträglich und verständlich umzusetzen. Da das nicht passiert, setzt die Letzte Generation mit ihrem zivilen Ungehorsam letztlich auf Erpressung. Sie sagen: Wir stören so lange den Alltag, bis der Politik nichts anderes übrig bleibt, als zu handeln. Denn ohne Druck scheint hier nichts zu gehen.
Um erfolgreich zu sein, brauchen sie die Zustimmung aus der Bevölkerung also nicht. Dass dieser Weg erfolgreich sein kann, zeigen Protestbewegungen aus der Vergangenheit, die ohne großen Rückhalt aus der Gesellschaft enormen gesellschaftlichen Fortschritt erzielt haben. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er in den USA.
Die aktuelle Umfrage verrät am Ende mehr über unsere Bevölkerung als über den Zustand der Klimabewegung. Die Befragten sagen zwar, sie wollen mehr Klimaschutz, doch nur solange er abstrakt bleibt. Sobald es um konkrete Maßnahmen, Einsparungen und Verhaltensänderungen geht, sinkt die Lust. Die Letzte Generation führt ihnen mit ihren Störaktionen vor Augen, dass es so nicht geht. Unser aller Alltag ist es, der sich verändern muss.
Nicht in Protestkritik verharren
Anstatt diese Erkenntnis in Wut auf die untätige Politik umzuwandeln, verharren die Menschen in ihrer Wut auf die Aktivist_innen. Und die schlägt sich in immer heftigerer Form nieder. Erst diesen Monat wurde ein Aktivist in Stralsund von einem Lkw angefahren, aktuell ermitteln Behörden in 142 Fällen wegen Angriffen auf die Klimaaktivist_innen.
Wir wissen noch nicht, welchen Erfolg die Letzte Generation mit ihrem Protest für den Klimaschutz haben wird. Wer aber glaubt, einen besseren Weg zu kennen, wie die Politik dazu gebracht werden kann, sozialverträgliche Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, sollte nicht in Protestkritik verharren, sondern anfangen, sich selbst zu bewegen.
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