Überlastete Landwirte: Niemand war bei den Schweinen

In Niedersachsen ließ ein Landwirt seine 300 Schweine qualvoll verhungern. Er ist kein Einzelfall. Der Druck auf Bauern nimmt dramatisch zu.

Ein Backsteingebäude mit entlaubten Bäumen und einem Schild: Vorsicht gefährlicher Hund

Der Hof des angeklagten Schweinzüchters in Hilter. Aufgenommen im Novermber 2021 Foto: Stefanie Adomeit

BAD IBURG/BERLIN taz | Am Ende haben sie sich gegenseitig gefressen. 300 Mastschweine hatte ein 64 Jahre alter Bauer in Hilter am Teutoburger Wald eingestallt – und dann rund zwei Monate lang nicht gefüttert. Als zwei Amtstierärzte des Landkreises Osnabrück den Stall am 26. November 2021 betreten, finden sie tote Schweine „in unterschiedlichem Verwesungszustand“. Vier Tiere leben noch, ihnen geht es aber so schlecht, dass sie bald darauf sterben beziehungsweise getötet werden müssen. Von einigen Tieren waren nur noch die Knochen übrig. Daraus schlossen die Veterinäre, dass es zu Kannibalismus gekommen sein musste.

Der Landkreis hat dem Landwirt nach dieser Entdeckung verboten, wieder Tiere zu halten. Am Mittwoch musste er sich zudem vor dem Amtsgericht Bad Iburg verantworten. Hat der Landwirt gegen das Tierschutzgesetz verstoßen?

Er wäre nicht der erste Landwirt, der vorbestraft wäre, weil er sein Vieh so stark vernachlässigt hat, dass es stirbt. Bereits Mitte April verurteilte das Amtsgericht im bayerischen Ansbach einen Bauern zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren und einem lebenslangen Tierhaltungsverbot, weil er 160 Rinder hatte verhungern lassen. Im September davor waren im Landkreis Cloppenburg 250 zum Teil schon mumifizierte Schweine entdeckt worden. In Neustadt am Rübenberge, in der Region Hannover, waren im Juni 2020 mehr als 1.200 verendete Schweine gefunden worden, die ein überforderter Jungbauer verhungern und verdursten ließ. Und das sind noch nicht einmal alle Fälle aus der jüngsten Vergangenheit.

Auffällig ist, dass oft über Monate oder gar Jahre niemand von dem Leid der Tiere erfahren hat. ExpertInnen zufolge tragen dazu auch die Rationalisierung und Konzentration in der Landwirtschaft bei: Da es immer weniger Höfe gibt und die verbleibenden immer größer werden, betreuen immer weniger Menschen immer mehr Tiere. Oft gibt es nur einen einzigen Betreuer. Fällt der aus, ist das Vieh sich selbst überlassen. Die Veterinärämter sind dabei in der Regel keine große Hilfe, da sie die meisten Betriebe nur selten kontrollieren.

Auch der Landwirt im Teutoburger Wald musste sich weitgehend allein um viele Tiere kümmern. Er hatte gleich zwei Höfe, drei Kilometer voneinander entfernt. 130 Hektar Wirtschaftsfläche. Die 65 Rinder, größtenteils Milchvieh, vernachlässigte er nicht. Aber die Schweine, die auf dem zugepachteten Betrieb lebten.

Auf dem Klo eingeschlafen

Wie das passieren konnte, kann der Landwirt auch mehr als sieben Monate nach dem Fund der Kadaver in seinem Stall nur schwer in Worte fassen. Er sei arbeitsmäßig überlastet gewesen, habe die Fütterung der Schweine aufgeschoben, „machste heute Abend“, „machste morgen“, dann irgendwann ganz vergessen, sagt er vor Gericht. „Die Schweine waren irgendwie aus meinem Bewusstsein raus.“ Der Mann ist ziemlich übergewichtig, sein helles kariertes Hemd spannt sich über den mächtigen Bauch, seine schütteren Haare wirken hinten zu lang, etwas ungepflegt.

Erst nach einem intensiven Gespräch mit seiner Frau, die ahnte, dass irgendetwas nicht stimmt, sei ihm bewusst geworden, wie lange er nicht mehr bei den Schweinen gewesen war. Als er die toten Tiere sah, habe ihn das „sehr stark getroffen, vorsichtig ausgedrückt“.

Die Überlastungssituation – das muss der Vorsitzende Richter dem Angeklagten allerdings erst durch hartnäckiges Nachfragen entlocken – hatte sich über einen sehr langen Zeitraum aufgebaut. Er erzählt, dass seine Frau seit einem Unfall auf dem Hof vor ein paar Jahren unter chronischen Schmerzen leidet und als Arbeitskraft immer mal wieder ausfiel. Dass er den Weggang der auf dem Hof mitarbeitenden Tochter und des Schwiegersohns durch angestellte Hilfskräfte kaum kompensieren konnte und sich komplett alleine um die Schweine gekümmert hat.

Auf die Frage des Gerichts, wann er zuletzt mal Urlaub hatte, muss der Landwirt lange nachdenken. Es müsse 2018 gewesen sein, für eine Woche bei der anderen Tochter in der Normandie, sagt er dann. Manchmal sei er abends auf dem Klo eingeschlafen vor Erschöpfung.

Er zeigte sich selbst an

Der psychiatrische Gutachter bescheinigt ihm im Lauf der Ermittlungen eine depressive Episode mit vermindertem Antrieb und herabgesetzter Steuerungsfähigkeit. Es habe eben auch etwas mit der Persönlichkeitsstruktur und dem Selbstbild als Macher zu tun, dass der Landwirt, wie im Übrigen viele seiner selbstständigen Berufskollegen – nicht in der Lage war, sich die Überlastung einzugestehen und Hilfe zu suchen. „Er hat dann eine Teilaufgabe abgespalten und verdrängt“, sagt der Gutachter. Aber eigentlich hat er damit gehandelt wie ein Beamter, der aufhört, Akten zu bearbeiten oder ein Postbote, der Briefe nicht mehr zustellt. Die Rinder aber, so der Gutachter weiter, hätten für den Landwirt möglicherweise einen anderen Stellenwert gehabt, weshalb er sie weiter betreute.

Der Verteidiger des Landwirtes gibt zu bedenken, dass es in dieser Branche keine Arbeitsorganisation gebe und keine Struktur vorhanden sei, die dazwischengrätscht, wenn was offensichtlich schiefläuft. Sein Mandant sei ja nun wahrlich kein Einzelfall.

„Irgendwann fangen die Leute an, sich selber zu vernachlässigen. Und irgendwann auch ihre Tiere“

Die psychische Erkrankung des Landwirts zweifelt das Gericht nicht an – aber dass der Angeklagte nicht mehr in der Lage gewesen sei, sein Verhalten zu steuern, glaubt der Richter nicht. „Der restliche Betrieb, das restliche Leben liefen weiter, eine soziale Isolation gab es auch nicht“, halten sowohl der Oberstaatsanwalt als auch der Richter dem Bauern vor.

Als studiertem Landwirt hätte dem Mann klar sein müssen, was mit den Tieren passiert, als Betriebsleiter und Unternehmer sei er seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, er hätte Hilfe holen können und müssen, so das Gericht. Zugutegehalten wird ihm seine Selbstanzeige und sein kooperatives Verhalten. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Tat sonst möglicherweise über Jahre hinweg unentdeckt geblieben wäre“, sagt der Richter. Er hätte die Kadaver ja auch einfach unterpflügen können und niemand hätte etwas gemerkt.

14-Stunden-Tage für 2000 Euro netto

Der Landkreis hatte den Betrieb bis dahin nicht als tierschutzrechtlichen Risikobetrieb eingestuft, gibt der Amtstierarzt zu Protokoll. Und auch über das „Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere“ (HIT), in dem die Landwirte Zu- und Abgänge von Tieren melden müssen, sei nichts registriert gewesen, sagt der Veterinär. Dieses System sei für die Nachverfolgung der Seuchenbekämpfung entwickelt worden – für solche Fälle wie die im Teutoburger Wald sei das System aber nicht geeignet.

Zwei Schweinrüssel

Auffällig ist, dass oft über Monate oder gar Jahre niemand von dem Leid der Tiere erfahren hat Foto: Martin Wagner/imago

Die Veterinärämter hätten oft zu wenig Personal für genügend Kontrollen, um solche Missstände rechtzeitig aufzudecken, sagt Edgar Schallenberger, Schleswig-Holsteins Vertrauensmann für Tierschutz in der Landwirtschaft. Der emeritierte Professor für Tierhaltung vermittelt gerade in Krisen unbürokratisch zwischen Landwirten und Behörden. Kein anderes Bundesland leistet sich so eine Stelle.

„Früher gab es noch Kinder, Familien, den alten Opa, die alte Oma – und alle haben sich irgendwie um die paar Viecher auch gekümmert und waren häufiger im Stall“, erzählt Schallenberger. „Ohne Wachstum hat kaum ein Betrieb überlebt. Aber wenn sie die doppelte Tierzahl haben, haben sie noch nicht die doppelte Zahl an Mitarbeitern, und dann wird es schwierig.“

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Außerdem sei die ökonomische Lage schwierig. Er kenne keinen Bauern, der in den vergangenen zehn Jahren gut verdient habe, erzählt der Vertrauensmann. „Viele arbeiten mit Schulden und die Schulden sind beträchtlich. Der Druck ist riesig.“ Typisch sei ein Verdienst von 3.500 bis 4.000 Euro pro Monat für eine Bauernfamilie – bei dem Landwirt aus Hilter geht das Gericht davon aus, dass er 2.100 Euro netto pro Monat verdiente. „Das ist nicht gerade üppig für 14/15-Stunden-Arbeitstage“, sagt Schallenberger. Ein Grund, warum viele Betriebe aufgeben würden.

Der hohe Druck könne Depressionen oder Burnout auslösen. Oft kämen noch familiäre Belastungen wie Scheidungen dazu. „Irgendwann fangen die Leute an, sich selber zu vernachlässigen. Und irgendwann vernachlässigen sie auch ihre Tiere. Nicht nur das geschundene Vieh, sondern auch die Menschen sind die Leidtragenden.“

Vorbestraft in Rente

Er habe es auch schon erlebt, dass eine Landwirtin Tiere in den Stall bringe und morgens nicht mehr aufstehen kann. Solche Fälle passierten zwar nicht ständig, aber immer mal wieder. Und natürlich: „Jeder Fall ist einer zu viel“, so Schallenberger.

„Irgendwann beginnt eine Abwärtsspirale. Das ist nicht bauernspezifisch. Das gibt es in allen Berufen“, sagt der Professor. Aber anders als von Büroangestellten hängen von Landwirten eben Hunderte oder Tausende Tiere ab.

Er wolle sowieso in Rente gehen und zu seiner Tochter ziehen, hatte der Landwirt aus dem Teutoburger Wald gleich zu Beginn seiner Gerichtsverhandlung erklärt.

Das Amtsgericht hat ihn nun zu einer Geldstrafe von 9.100 Euro verurteilt. Er muss außerdem die Gerichtskosten tragen und ein Vermögen im Wert von rund 12.000 Euro wird eingezogen – die Höhe der Futterkosten, die er „eingespart“ hat.

Er gilt nun als vorbestraft.

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