T. C. Boyle über Trump: „Hat sich die Schüsse zuzuschreiben“
T. C. Boyle gilt als einer der wichtigsten Autoren der USA. Ein Gespräch über Faschismus, die Arbeiterklasse und Hoffnung wider alle Hoffnung.
wochentaz: Mister Boyle, in Pennsylvania verfehlte die Kugel eines Attentäters nur ganz knapp den Kopf von Donald Trump. Viele erwischten sich danach bei dem Gedanken: Ach, hätte er doch getroffen. Darf man sich Trumps Tod wünschen?
T. C. Boyle: Ich beantworte das mal sehr politisch: Er hat sich die Schüsse in Pennsylvania selbst zuzuschreiben. Die Republikaner sind die Partei der Waffennarren. Sie wollen überhaupt keine Kontrollen. Auch die Gesetze, die heute automatische Waffen noch beschränken, wollen sie abschaffen. Ich habe kürzlich ein Bild von Marjorie Taylor Greene und Lauren Boebert gepostet – zwei unserer noblen Kongressabgeordneten. Sie posieren darauf beide mit dem gleichen AR-15-Gewehr, das auch der Schütze benutzt hat. Und hat Trump nicht immer wieder zu politischer Gewalt aufgerufen? Und versucht, die Regierung zu stürzen, indem er einen Mob auf das Parlament losließ? Vielleicht bekommt er jetzt etwas von dem zurück, was er sich immer gewünscht hat.
Noch ist Trump nicht zurück an der Macht. Ein Tyrannenmord wäre es nicht gewesen.
Aber wir haben große Angst, dass er zurückkommt. Biden ist einer der besten Präsidenten, die wir je hatten. Er hat uns aus dem Desaster geführt, in das Trumps erste Amtszeit uns stürzte. Aber er ist sehr alt, und es geht in der Debatte nur noch darum, wie er im Fernsehen wahrgenommen wird. Alles, was die Menschen sehen, ist ein alter Kerl, der im Fernsehen herumzappelt – und auf der anderen Seite den großen amerikanischen Helden. Trump mit seiner Faust in der Luft ist jetzt wie John Wayne, den nichts aufhalten kann.
Geboren 1946 in New York, lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Kalifornien. Jüngst auf Deutsch erschienen: „I walk between the Raindrops. Stories“.
Wirklich?
Ich hoffe, dass die Wähler ihn aufhalten werden, denn sonst sehen wir einer düsteren, faschistischen Zukunft für Amerika entgegen. Glauben Sie wirklich, dass der Typ, der versucht hat, die letzte Wahl für nichtig zu erklären, eine weitere überhaupt noch zulassen wird? Russische Soldaten schreiben Trumps Namen auf die Bomben, die sie über der Ukraine abwerfen. Weil sie wollen, dass er wieder an die Macht kommt. Er würde seinem Vorbild Putin erlauben, das Land komplett zu zerstören und es in einen Sklavenstaat zu verwandeln. Ich kann mir ja viel vorstellen, aber nichts könnte beängstigender sein als das, was jetzt gerade passiert.
Wie könnte man Trump noch mit demokratischen Mitteln stoppen?
Indem ein Teil der Leute, die beim ersten Mal für ihn gestimmt haben, nun gegen ihn stimmt. Das Problem dabei ist das amerikanische Wahlleute-System, das Electoral College. Meine Stimme hier in Kalifornien mit seinen 39 Millionen Einwohnern ist praktisch bedeutungslos. Die Stimme von jemandem in Ohio oder einem der Hinterwäldlerstaaten zählt tausendmal mehr als meine Stimme. Diese Staaten haben sehr viel weniger Einwohner, können aber überproportional viele Wahlleute entsenden. Die schlechtesten Präsidenten, die wir in letzter Zeit hatten – Bush und zuletzt Trump –, hatten keine echte Mehrheit. Die Rechten haben die Schwächen der Verfassung genutzt und sich den Obersten Gerichtshof zu eigen gemacht. Ich sehe keinen Ausweg – es sei denn, es erheben sich alle liberal gesinnten Menschen. Die Frauen haben uns bei den Halbzeitwahlen 2022 gerettet. Das war nach der Entscheidung des Obersten Gerichts, wonach der Staat darüber bestimmen dürfen soll, was eine Frau mit ihrem Körper machen darf.
Nach der Niederlage gegen Biden 2020 dachten wir, Trump sei als Politiker erledigt.
Nach dem Bierkellerputsch von 1923 dachten alle, Adolf Hitler sei erledigt. Aber er kam in den dreißiger Jahren zurück und gelangte mit legalen Mitteln ins Amt. Das ist genau das, was hier auch passieren könnte.
Was ist schiefgelaufen?
Trump geht mit Rassismus und Hass hausieren. Die USA haben sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert. Wir sind nicht länger eine überwiegend weiße, christliche Nation. Das ist für die weißen, christlichen Nationalisten beunruhigend. Deshalb unterstützen sie – egal, was passiert – Trump. Die Evangelikalen stehen hinter ihm. Trotz der Tatsache, dass niemand weniger christlich und evangelikal sein könnte als er. Es geht ihnen um ihre Agenda, die darin besteht, das Liberale zu zerschlagen, den Multikulturalismus zu zerstören und eine Art Apartheidstaat zu errichten, wo eine kleine Minderheit rechtsradikaler, bewaffneter Schläger den Rest von uns kontrolliert.
Was ist mit den Trump-Wählern, die keine überzeugten Rassisten sind?
Sie gehen der Propaganda auf den Leim. Das war schon vor Trump so. Die Republikaner riefen: Weg mit Obamacare! Aber wenn es die von Obama durchgesetzte Krankenversicherung nicht mehr gäbe, wer würde dann zahlen, wenn Oma krank wird oder das Kind einen Unfall hatte? Sie wissen nicht, was gut für sie ist, und stimmen gegen ihre eigenen Interessen. Trump bietet auch eine Menge Show. Auch das kennen wir von faschistischen Regierungen in der Geschichte. Nach dem Attentat heißt es jetzt auch noch, dieser Typ sei von der Vorsehung bestimmt. Es ist fast wie eine religiöse Bewegung.
Was wäre in der zweiten Amtszeit Trumps anders?
Beim ersten Mal wollte er wiedergewählt werden. Doch jetzt hat ihm der Oberste Gerichtshof praktisch Straffreiheit in Aussicht gestellt. Es gibt nichts, wofür er als Präsident zur Rechenschaft gezogen werden kann. Für kein Verbrechen, nicht einmal für Mord. Er hat also freie Hand. Und er hat aus der ersten Amtszeit gelernt. Damals hatte er noch Menschen in seiner Regierung, die an die Demokratie, die Verfassung und die Gesetze glaubten. So etwas wird es nicht mehr geben. Das Ziel ist es, die Demokratie zu zerstören. Ich habe Nixon gehasst, ich habe Bush gehasst. Weil ihre Politik das Gegenteil von meiner ist. Aber wenigstens konnte man ihre Präsidentschaft überleben. Dies ist nun ein Griff nach der absoluten Macht.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Welche Fehler haben die Demokraten gemacht?
Wir Demokraten sind Narren. Wir glauben an Recht und Ordnung. Wir glauben an die Verfassung. Wir glauben an die Menschenrechte, die Rechte der Frauen, den Schutz der Umwelt, all das alberne Zeug, das nicht zählt. Alles, was zählt, sind Gewehre und Springerstiefel. Trump macht keinen Hehl daraus, dass er in seinen Reden Naziwendungen nutzt. „Sie vergiften unser Blut“, sagte er zum Beispiel über Migranten. Er sagt uns genau, was kommen wird: Die Presse wird unterdrückt werden. Alle Leute, die versucht haben, ihn für seine Verbrechen zu belangen, sollen verhaftet werden.
Haben Sie Angst?
Ja, schreckliche Angst.
Auch um Ihre Art zu leben und Ihre Arbeit?
Wenn diese Wahl vorbei ist, werde ich nicht mehr in der Lage sein, Interviews wie dieses zu geben. Es wird sicher eine Weile dauern, bis es so weit ist, aber irgendwann wird es so sein.
Auch Trump ist alt.
Ich bezweifle, dass Trump im Jahr 2028 dann abtreten wird. Er wird irgendeinen Grund finden, um als Präsident weiterzumachen. Und er wird ewig leben. Ich denke an Garcia Marquez' Roman „Der Herbst des Patriarchen“. Garcia Marquez hat das in Kolumbien erlebt, als er dort aufwuchs. In dem Roman ist der Diktator schon so lange an der Macht, wie sich der älteste dort lebende Mensch überhaupt zurückerinnern kann. Dann stirbt der Diktator eines Tages und alle tanzen auf den Straßen. Sie fühlen sich frei. Aber der Diktator ist nicht wirklich gestorben. Es war nur sein Doppelgänger. Er hat alle beim Tanzen gefilmt, um zu schauen, wer feiert – und lässt sie dann alle ins Gefängnis stecken. Und da sind wir jetzt.
Ist Trump auch die Rache der Leute, die sich in den sogenannten Fly-Over-Staaten zurückgelassen fühlen?
Das ist sicher richtig. Wir bewegen uns in einer hochtechnologisierten Welt, einer Welt, in der man eine Hochschulausbildung braucht, um was zu erreichen. Und das lässt einen großen Teil der Bevölkerung zurück. Sie sind wütend darüber. Sie sehen, wie Einwanderer kommen und ihnen Arbeitsplätze wegnehmen. Und hier stimme ich übrigens mit den Republikanern überein. Wir müssen die Grenzen schließen, wir brauchen legale Wege der Einwanderung.
Das lässt Linke aufhorchen…
Ich bin der Typ, der 1995 „América“ geschrieben hat – der Roman ist ein Schrei nach Mitgefühl für alle Menschen. Und dennoch: Wir sollten keine illegale Einwanderung zulassen, weil sie die legale Einwanderung zu einem Witz macht. Doch welche Partei kümmert sich um die Arbeiter, welche Partei gibt ihnen höhere Löhne, welche Partei gibt ihnen soziale Sicherheit? Es sind die Demokraten. Die Arbeiter stimmen mit Trump gegen ihre eigenen Interessen.
Sie kommen selbst aus der Arbeiterklasse …
Ja, und ich habe viel Zeit in der Sierra Nevada in einer Arbeitergemeinde verbracht. Ich liebe diese Menschen, sie lieben mich. Aber bei der Politik kommen wir nicht zusammen. Alles, was sie kennen, ist Fox News. Sie haben nichts anderes. Sie reisen nicht in andere Länder. Sie lesen nichts. Sie kennen nur die Propaganda, die ihnen eingetrichtert wird. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es keine Fakten mehr gibt, nur noch Meinungen und Propaganda. All diese Faktoren sind ein wahres Hexengebräu für die Zukunft unserer Demokratien. Nicht nur der amerikanischen, sondern auch Ihrer. Wenn Trump wieder gewählt wird, wird jedes Lebewesen auf der Erde leiden, weil die USA sich dann von all den grünen Initiativen Bidens verabschieden werden.
Die Klimakrise ist auch Gegenstand ihres Romans „Blue Skies“.
Der amerikanische Beitrag zur globalen Erwärmung und die Umweltverschmutzung werden sich unter Trump locker verdoppeln. Und der Oberste Gerichtshof hat auch die Fähigkeit von Bundesbehörden eingeschränkt, gegen Umweltverschmutzer vorzugehen. Es wird heißer werden. Das Wasser wird stärker verschmutzt werden. All die bedrohten Geschöpfe, die wir zu retten versuchen, werden aussterben.
Wenn man jetzt sagt, das Rennen um die Präsidentschaft sei gelaufen, ist das nicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung? Es kann doch noch viel passieren bis November.
Eine schwierige Frage für einen Zyniker und Besserwisser wie mich. Ich meine, wir reden darüber, was passieren wird, wenn er die Wahl gewinnt. Aber ich muss Hoffnung haben. Und etwas, was mir Hoffnung gibt: Die Mehrheit der Amerikaner ist gegen Trump. Nur ob das ausreicht, ihn von der Macht fernzuhalten?
Auf Seiten der Demokraten werden die Stimmen immer lauter, die fordern, Biden gegen einen fitteren Kandidaten auszutauschen.
Ich hoffe, dass das passieren wird – und dass es bald passiert. Es gibt so viele großartige jüngere, energiegeladene Leute, die Trump schlagen könnten. Gretchen Whitmer, Gavin Newsom. In letzter Zeit gab es eine Menge Überraschungen, vielleicht wird es mal ein paar Überraschungen zu unseren Gunsten geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball