Streit um Neuwahlen: Inhaltsleeres Termingerangel
Die einen wollen später, die anderen früher: Dass jetzt nur um Formalien gestritten wird, ist kein guter Vorbote auf den kommenden Wahlkampf.

W ann hätten Sie es denn gern? Am 2. März? Dann ist aber Karneval, rufen die einen. Im Januar? Dann ist es aber bitterkalt, rufen die anderen.
Egal, auf welchen Wahltermin man sich am Ende einigt: Die Debatte ist unwürdig. Statt zu diskutieren, was sich im Land verändern muss, geht es um Termine, Fristen und Papiermangel. Offenbar scheinen viele zu glauben, dass dies stinknormale Wahlen werden. Dabei ist die Demokratie bedroht: durch einen Krieg in Europa und einen rechtsextremen Präsidenten in den USA, durch undemokratische Parteien hierzulande. Und wir diskutieren über Karneval und das Wetter?
Scholz’ Fehler
Olaf Scholz hat sich diese Debatte selbst eingebrockt. Es war der einzige Fehler, den er bei seiner Rede zum Rauswurf von Lindner gemacht hat, dass er ein konkretes Datum für die Vertrauensfrage nannte. Scholz hätte anbieten können, den Termin mit der demokratischen Opposition und den organisatorisch Verantwortlichen abzustimmen.
Natürlich ist es wichtig, dass die Wahlen ordnungsgemäß stattfinden, tatsächlich ist die enge Frist von 60 Tagen hinderlich, wenn in dieser Zeit zwei Wochen Weihnachtsferien liegen, in denen auf den Ämtern und politisch wenig passiert. Es gibt also Gründe für einen etwas späteren Termin. Hätte Scholz kein Datum genannt, würde ihm dies nun nicht als Parteitaktik ausgelegt werden. Die Erleichterung, die der Rauswurf von Christian Lindner bei vielen ausgelöst hat, droht so bereits zu verfliegen.
Aus dem Urlaub ins Wahllokal? Nein danke!
Doch auch die Union hat nicht allein hehre demokratische Motive. Merz hat den 19. Januar als Wahltermin vorgeschlagen und begründet das mit der Amtseinführung Donald Trumps am nächsten Tag – als gäbe es dann schon eine handlungsfähige Regierung.
Friedrich Merz weiß: Jede Woche mehr gefährdet seinen Vorsprung in den Umfragen. In den ersten Tagen nach dem Ende der Ampel hat er sich unter Kontrolle, wirkt staatsmännisch. Sollte es am Ende auf ein Duell zwischen Scholz und ihm hinauslaufen, könnten sich viele an seine mangelnde Regierungserfahrung erinnern, seine Ausfälle, seine Arbeitsbiografie. Um sicherzugehen, soll über Weihnachten kein Wahlkampf stattfinden, sodass die BürgerInnen aus dem Urlaub direkt ins Wahllokal stolpern.
Der Wahlkampf droht so inhaltsleer zu werden, wie er angefangen hat. Das liegt nicht nur am Gezerre um den Termin, sondern auch daran, dass erneut die drei Männer antreten dürften, die das Ende der Ampelkoalition verantworten: Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz, sie alle stehen so wenig für Aufbruch wie Friedrich Merz. Keine guten Aussichten, egal, wann gewählt wird.
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