Streit in der Linken: Punkte, bei denen ich falsch lag
Die Autor*in hätte früher nie gestanden, dass gewisse linke Kritik an ihren* Positionen berechtigt sein kann. Jetzt begreift sie* Komplexität besser.
V or ein paar Jahren wäre ich wahrscheinlich lieber gestorben, als öffentlich zu gestehen, dass ich Kritik von linken Personen nicht automatisch unberechtigt finde, nur weil ich die Person unsympathisch finde. Unsympathisch deshalb, weil diese Personen ein politisches Lager vertreten, das mir ideologisch zuwider ist. Etwa weil dieses Lager in Punkten wie Queerness, Sexarbeit oder seinem Rassismusverständnis mehr mit der CDU als mir gemeinsam hat.
Dazu kommt ihre schwer auszuhaltende, gehässige und gemeine Art des Kritikäußerns. Allein weil diese Leute über mein Aussehen oder mein Transsein so geschmacklose Witze gerissen haben, dass ich zu verletzt war, um ihre Argumente ernst zu nehmen. Für mich waren das einfach ein paar hängengebliebene Almans.
Die rassifizierten Bubble-Mitglieder dürsteten in meinen Augen nur nach der Anerkennung dieser Gruppe. Irgendwelche Tokens halt. Und ja, vielleicht fand ich diese Leute stylemäßig auch ein bisschen cringe, nach dem Motto: In deiner North-Face-Jacke brauchst du mir nicht zu erklären, was Rassismus ist.
In einigen Punkten werde ich mit diesem Lager wohl immer streiten. Das ist auch gut so, vor einigen Wochen schrieb ich darüber, wie wichtig Reibung innerhalb politischer Kontexte ist. Vielleicht ist derselbe Streit beim achten Mal mühsam, aber manche Themen brauchen Zeit. Schließlich ist weder die Linke, noch eine durch Betroffenheit zusammengehörige Gruppe homogen. Damals war diese Tatsache für mich schwer zu schlucken, heute denke ich: Na klar, was sonst?
In manchen Punkten zurückrudern
Was sich außerdem geändert hat, ist mein Trotz. Ich war mir eigentlich sicher, dass allein aufgrund ihrer Arschlochhaftigkeit niemaus aus diesen Bubbles jemals über irgendetwas Recht haben könnte. Mittlerweile muss ich in manchen Punkten zurückrudern und zugeben, dass ich in manchen Punkten falsch lag und sie richtig lagen. Nicht, weil ihre ätzende Art, es mir einzubläuen, so effektiv war, sondern, weil ich vor fünf oder sechs Jahren die Komplexität mancher Dinge nicht so gut greifen konnte wie jetzt.
Zum Beispiel: Ich kann kulturelle Aneignung peinlich, kitschig oder hässlich finden, und definitiv spielen rassistische Exotikfantasien bei diesem Phänomen eine prominente Rolle, aber die Frisur oder die Klamotten einer Person sollten nicht strenger bewertet werden als ihr Handeln. Als die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete für das Retten geflüchteter Menschen in Italien verhaftet wurde, war für mich klar, dass ihre Dreadlocks in dem Moment scheißegal sind.
Zum Glück wurde sie 2019 und nicht 2016 bekannt, als ich meinen Rant über kulturelle Aneignung auf dem Fusion-Festival veröffentlichte, der viel, äh, Beachtung in der deutschen Linken fand. Hätte ich lieber über ihre Frisur als über ihre Verhaftung getwittert, wär die Scham darüber noch größer als die Einsicht, dass manche weißen Macker mir auf Twitter argumentativ die Ehre genommen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“