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Strafbarkeit von HolocaustvergleichenWir brauchen keine Metaphernpolizei

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Holocaustvergleiche sind fast immer falsch – ein Schild mit dem Satz „Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?“ strafbar zu machen, ist es auch.

Eine Geldstrafe wegen der Frage „Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?“ bei einer Gaza-Demo? So entschied ein Berliner Gericht Foto: Ebrahim Noroozi/ AP

H olocaustvergleiche sind fast immer politisch falsch und moralisch empörend. Das gilt insbesondere, wenn das Verhalten Israels zum Holocaust in Bezug gesetzt wird. Aber solche Vergleiche und Bezüge sind meist eindeutig Meinungen und Wertungen, keine Tatsachenbehauptungen. Hier geht es um den Kern der Meinungsfreiheit, die gerade abwegige und schockierende Auffassungen schützt.

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat jetzt eine junge Frau wegen Holocaustverharmlosung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie mit Bezug auf den Gazakrieg ein Schild trug: „Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?“ Das Urteil zeigt exemplarisch, warum die Rechtsprechung zur Holocaustverharmlosung viel zu weit geht.

Es mag Fälle geben, da wird die Verharmlosung des Holocausts zu Recht bestraft, etwa wenn es um eine Teilleugnung geht („Es wurden viel weniger als sechs Millionen Juden getötet“). Bei Holocaustvergleichen steht die Dimension des Holocausts jedoch gerade nicht infrage. Sie werden nur benutzt, um die Ungeheuerlichkeit anderer (tatsächlicher oder vermeintlicher) Verbrechen aufzuzeigen, von Corona-Impfungen über die Massentierhaltung bis zum israelischen Vorgehen in Gaza.

Der Holocaust wird bei solchen Vergleichen zur (meist völlig unpassenden) politischen Metapher, als Ausdruck einer menschengemachten Hölle. Über die Angemessenheit solcher sprachlicher Verirrungen kann und sollte politisch und moralisch gestritten werden. In einem freiheitlichen Staat mit Rede- und Meinungsfreiheit sollten abwegige Metaphern aber kein Fall für die Polizei und für Strafgerichte sein.

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Das Berliner Urteil geht insbesondere fehl, weil es keine explizite Gleichsetzung von Gazakrieg und Holocaust betrifft, diese vielmehr nur unterstellt. Dabei ist laut Bundesverfassungsgericht bei Mehrdeutigkeiten im ­Zweifel eine nicht strafbare Bedeutung anzu­nehmen. Diese liegt hier nahe.

Wenn man aus dem Holocaust die Lehre zieht, dass die Menschenrechte immer und überall zu achten sind – auch in Gaza –, kann das nicht strafbar sein.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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18 Kommentare

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  • Der Autor verteidigt die inkriminierte Aussage mit dem Verweis "Der Holocaust wird bei solchen Vergleichen zur /.../ politischen Metapher". Das ist falsch. Wenn überhaupt, dann ist es eine Metonymie. So oder so, beides (die Metapher sogar noch mehr) sind Relativierungen der Bedeutug dessen, was als Gegenstand des Stilmittels herangezogen wird; und zwar qua Definition bereits. Relativierung in diesem Sinne bedeutet stets eine Abweichung von der eigentlichen Bedeutung. Das ist es auf jeden Fall. Somit sehe ich nicht, an welcher Stelle das Gericht vom Wortlaut des Gesetzes abgewichen sein soll. Der Verweis auf Meinungsfreiheit scheint hier nicht einschlägig, da das Versehen von Begriffen mit abweichenden, relativierenden Bedeutungen (wohlgemerkt nicht Wertungen!) eher einer Tatsachenaussage entspricht und nicht einer Meinung.

    • @DemianBronsky:

      Sorry, ich kann in der hier inkriminierten Fragestellung einfach nicht die relativierende Bedeutung erkennen, die Sie hineininterpretieren. Da ist mir in Ihrem Kommentar einfach zu viel Sophisterei im Spiel.



      Sagen wir doch einfach, worum es wirklich geht: ein unliebsames Nachdenken über die Konsequenzen, die sich aus dem Gaza-Krieg für die deutsch-israelischen Beziehungen ergeben, soll unterbunden werden - wenn es sein muss mit strafrechtlichen Mitteln.



      Und wieder kann ich dabei nur mit Meron Mendel argumentieren:



      download.deutschla..._0650_aae9fc2e.mp3

  • Devil’s advocate:



    Wenn man aus dem Holocaust als Einziges lernte, dass industrieller Massenmord tabu ist, dann hätte man schon etwas daraus gelernt.



    Insofern suggeriert die Frage „nichts gelernt?“, dass in Gaza jedes Greuel des Holocaust wiederholt wird.



    So lässt sich dann ein verharmlosende Gleichsetzung daraus konstruieren.



    Dieser Logik würde ich nicht zwingend folgen, sie scheint mir zu absolut.

    Das Argument des Artikels, dass diese Art von Vergleichen nur eine Seite auf das Gewicht der schwererwiegenden „aufzuwerten“ versuchen, sehe ich trotzdem kritisch.



    Gleichheit ist symmetrisch, der Versuch einer Aufwertung von Ungleichem auf der einen Seite impliziert immer auch eine Abwertung der anderen Seite.

  • Ja, danke, Christian Rath, für den einordnenden Kommentar … eine kritische Anmerkung habe ich dennoch: es verbietet sich ebenfalls, legitime Proteste gegen den Gazakrieg mit haltlosen Corona-Schwurbeleien in Verbindung zu bringen. Gewisse Kreise sind natürlich daran interessiert, genau das zu tun, um berechtigte Kritik an der israelischen Kriegsführung zu diskreditieren.



    Auf der Propagandaebene wird halt mit harten Bandagen gekämpft.

    • @Abdurchdiemitte:

      Es wird verglichen, dass sich beide Gruppen relativierender Holocaust Vergleiche punktuelle bedienen und bedient haben. Möchten Sie etwa leugnen, dass das passiert?

    • @Abdurchdiemitte:

      Das unterschreibe ich vorbehaltlos.

  • " . . . . eine junge Frau wegen Holocaustverharmlosung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie mit Bezug auf den Gazakrieg ein Schild trug: „Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?“

    In Bezug auf den Gazakrieg mit so einem Schild umherzulaufen, zeigt nur eins, dass diese junge Dame aus dem Holocaust tatsächlich gar nichts gelernt hat. Oder vielleicht meint sie das aber auch ganz anders?

    Holocaust bedeutet die faktische Umsetzung der "Endlösung der Judenfrage".

    Sicher wäre die Hamas daran interessiert, schreiben ja auch ähnliches in ihrer Gründungscharta, ihre Chefs in Teheran sowieso.

    Vielleicht studieren sie weiterhin noch mal ganz ausführlich die "Protokolle der Weisen von Zion". Hitlers Inspiration für "Mein Kampf".

    Was meint denn jetzt eigentlich junge Dame so? Kann sie das erklären? Kriegt sie das auf die Reihe ohne die Tatsachen zu verdrehen? Doch die kann man ihr beibringen. Mehr Bildung braucht das Land.

  • Ich halte es hingegen für einen Irrweg,



    Rechtsprechung zu relativieren.



    Wir haben gerade erlebt, wie das im Rahmen der Metoo Debatte und Herrn Gelbhaar auch ins Auge gehen kann.



    Wir haben eine unabhängige Justiz und brauchen eben keinen Pranger.



    Der sehr laxe Umgang mit Antisemitismus im linken Spektrum ist mir ein Dorn im Auge und ich finde die, aus dem rechten Spektrum bekannte Taktik, die Grenzen immer weiter zu verschieben nicht besser nur weil sie vielleicht "gut gemeint" ist.

    • @Philippo1000:

      Justiz braucht - wie alle staatlichen Stellen: Kritik. Richter und die Justiz sind nicht sakrosankt.

      Ganz im Gegenteil - speziell auch Richter und (die politisch weisungsgebundene StA) brauchen Gegenwind und das Korrektiv aus der restlichen Bevölkerung und sollten sich auch öfters mal auch rechtfertigen müssen. Die sind nicht Heilig.

    • @Philippo1000:

      Es ist kein laxer Umgang mit Antisemitismus sondern ein sehr bewusster Umgang mit Antisemitismus.

      Und der ist erschreckend.

  • "Aber solche Vergleiche und Bezüge sind meist eindeutig Meinungen und Wertungen, keine Tatsachenbehauptungen"

    Das wird den Richtern in Berlin durchaus bewusst gewesen sein und es ist davon auszugehen, dass ihnen auch die Rechtsprechung der Obersten Gerichte geläufig ist, dieses hält sie jedoch nicht davon ab, eine Urteilsbegründung zu konstruieren und eine Strafe auszusprechen, die höchstwahrscheinlich bei einer Revision keinen Bestand hat.

    Der Grund für dieses Vorgehen dürfte in den politischen Gegebenheiten zu finden sein. Ähnlich wie bei den Klimaklebern sind auch Gaza Proteste politische Störenfriede.

    Das seit Corona auch politische Aspekte Auswirkungen auf die Rechtssprechung haben ist ein Trend der sich in den Gerichtsurteilen widerspiegelt. Vorweg marschieren dabei die Berliner und Bayern mit teilweise hanebüchenen Urteilsbegründungen.

    Das ist für einen Rechtsstaat eine besorgniserregende Entwicklung, denn in einer parlamentarischen Demokratie sollte nunmal der Grundsatz herrschen, dass sich die Justiz aus der Politik heraushält und die Politik keinen Einfluss auf die Justiz ausübt. Beides scheint momentan nicht immer gegeben zu sein.

    • @Sam Spade:

      Das war auch vor Coroa schon so.



      .



      Politische Aspekte haben schon immer eine Rolle gespielt. Richter:innen sind auch nur Menschen und somit sind komplett objektive Urteile zwar wünschenswert, aber in der Realität nie zu 100% möglich.



      .



      Schaut man zum Beispiel auf das Strafmaß und den Umgang der Justiz bei Gewalttaten von Rechtsradikalen vs Linksradikale wird dies recht schnell deutlich.



      Ein Linksradikaler Straftäter oder Täterin die Jemanden, der erste Hilfe leisten möchte, mit einem Messer attackiert, würde zum Bsp. nie mit "Selbstverteidigung" davon kommen, vor allem wenn dies eine Wiederholungstat ist.

      • @sociajizzm:

        Es ist schon ein erheblicher Unterschied, ob sich Teile der Justiz von rein subjektiven Empfindungen leiten lassen oder offensichtlich bewusst die aktuelle politische Willensbildung als Grundlage für eine Urteilsbegründung mit heranziehen.

        In ihren Ansichten hinsichtlich des Strafmaßes bei politisch motivierten Taten liegen sie leider nicht ganz richtig.

        Die Abweichungen bei Straftaten denen eine politische Motivation zugrunde liegt, sind gering und variieren höchstens unter Berücksichtigung des Gerichtsstandortes.

        Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass vielen rechten Straftaten keine politische Motivation zugeordnet wird. Das wirkt sich nämlich auf die Strafzumessung aus und so manches mildes Urteil kommt daraufhin zustande, welches ansonsten wesentlich höher ausfallen würde.

        Und da es anscheinend gute deutsche Tradition ist, Links als Gefahr für das System zu sehen, wird Straftaten eher ein politisch motivierter Hintergrund zugeordnet, sofern es auch nur das geringste Anzeichen dafür gibt, dass sie aus der linken Ecke stammen. Und dementsprechend höher fallen die Strafen dann auch aus.

  • Danke.

    Zumal der Satz, die Frage, mühsam in Richtung einer Relativierung interpretiert werden muss.

  • "Wenn man aus dem Holocaust die Lehre zieht, dass die Menschenrechte immer und überall zu achten sind – auch in Gaza –, kann das nicht strafbar sein."



    Unbestritten, aber das allein ist nicht der Kontext.



    "Dabei ist laut Bundesverfassungsgericht bei Mehrdeutigkeiten im ­Zweifel eine nicht strafbare Bedeutung anzu­nehmen. Diese liegt hier nahe."



    Wir hatten als Boomer vielleicht vielfach gelernt, dass Zurückhaltung gut tun kann. Im Ausland in der Öffentlichkeit miteinander Englisch sprechen, keinen Nationalstolz zulassen, bestimmte Themen umschiffen.



    Eine veröffentlichte Meinung aus einer intellektuellen journalistischen Feder in der taz war einmal so harsch formuliert, quasi als Warnung vor einem Tabu-Bruch:



    taz.de/!317427/



    Dort steht:



    "Du bist Deutscher, aus der Nummer kommst du noch in tausend Jahren nicht raus.



    Dieser moralische Imperativ gilt auch, wenn dein Opa nicht in der Wehrmacht dazu beitrug, dass hinter der Front die Gaskammern laufen konnten. Es gibt nämlich kein Deutschland ohne Auschwitz – kein Multikultideutschland, kein linkes Deutschland, kein besseres Deutschland, gar keins."



    Die Überschrift:



    "Nein, du darfst nicht"



    2014



    v. DENIZ YÜZEL



    No-Go nun im Diskurs?

  • Danke für diesen ausgewogenen, fairen Kommentar. Dem kann man nur zustimmen.

  • Holocaust Vergleiche sind auch nicht strafbar. Strafbar sind Gleichsetzungen in denen der Holocaust relativiert wird. Das hat natürlich auch für Rechtsradikale oder Corona Schwurbeler Gültigkeit. Und das soll auch so bleiben.

    • @Martin Sauer:

      Ich muss ehrlich gesagt gestehen, dass ich die juristischen Feinheiten nicht verstehe (im Gegensatz zu Ihnen).

      Aber ich hatte den Satz "Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?" so wie Sie als Gleichsetzung interpretiert. Natürlich ist diese Deutung nicht die einzige, was vielleicht eine Schwäche des Urteils bedeutet.

      Der entscheidende Punkt ist aber: Was in Gaza geschieht, ist unsagbar. Es ist sicherlich ein moralisches Verbrechen und es widerspricht dem humanitären Völkerrecht. Hoffentlich werden Netanjahu und seine Regierung dafür eines Tages zur Rechenschaft gezogen.

      Würde man aber den Holocaust in einem anderen Fall, z.B. Russlands Angriffskrieg oder dem Geschehen im Sudan heranziehen? Nein, denn all diese furchtbaren Verbrechen sind kein gezielter, industrieller Massenmord.

      Und genau deswegen ist es eine unnötige Provokation, Israel "eines neuen Holocausts" zu bezichtigen. Und es ist eine historische Täter-Opfer-Umkehr.