Sommerwelle mit Omikron BA.4 und BA.5: Wie geht's eigentlich Corona?
Neue Subtypen und mehr Infizierte: Die Sommerwelle ist da, doch keiner regt sich richtig darüber auf. Wäre das angebracht? Und was wird im Herbst?
Wie ist gerade die sommerliche Coronalage?
Eigentlich fällt es dem Coronavirus schwerer, sich zu verbreiten, je mehr die Sonne scheint. Darum sanken die Coronazahlen in den vergangenen beiden Sommern deutlich. Seinerzeit meldete das Robert Koch-Institut (RKI) durchschnittlich Neuinfektionen im dreistelligen Bereich. In diesem Jahr ist der Durchschnitt hingegen fünfstellig – und die Zahlen nehmen weiter zu.
Dabei gehen die Gesundheitsämter davon aus, dass die realen Infektionszahlen höher liegen als die gemeldeten. Viele Infizierte verzichten auf einen PCR-Test und kurieren sich bei Symptomen oder nach einem positiven Selbsttest einfach zu Hause aus. Trotzdem stieg die bundesweite 7-Tage-Inzidenz in der vergangenen Woche an und lag am Freitag wieder bei 427.
Weshalb steigt die Zahl der Infizierten in Deutschland plötzlich so stark an?
Der Grund dafür liegt nicht nur darin, dass weniger Menschen Maske tragen. Vielmehr lässt sich der Anstieg vor allem auf die Coronavarianten BA.4 und BA.5 zurückführen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft sie als „besorgniserregend“ ein. Wie die bisher in Deutschland vorherrschende Coronavariante BA.2, gehören BA.4 und BA.5 zu den sogenannten Omikron-Subtypen.
Allerdings sind sie offenbar ansteckender und verdrängen deshalb die Variante BA.2. Laut den aktuellen Berichten des RKI verdoppelten sich die Anteile von BA.4 und BA.5 in den vergangenen beiden Wochen. Und laut dem neuesten Bericht des Instituts vom Donnerstag macht BA.4 mittlerweile 4 Prozent aller Infektionen aus, während BA.5 bei 23 Prozent ursächlich ist. Expert*innen schätzen allerdings, dass die realen Zahlen auch hier deutlich höher liegen.
Wie bedrohlich sind die Varianten BA.4 und BA.5 für das deutsche Gesundheitssystem?
Zu den häufigen Symptomen soll nun wieder Husten gehören, während sich BA.2 eher durch Schnupfen äußerte. Kopfschmerzen, Fieber und Müdigkeit bleiben weitverbreitete Coronasymptome. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass die Omikron-Varianten eine höhere Zahl an schweren Coronaverläufen verursachen, teilt unter anderem die EU-Agentur zur Kontrolle übertragbarer Krankheiten ECDC mit.
In Deutschland warnt zurzeit niemand vor einer Überlastung des Gesundheitswesens durch die neuen Varianten. Seit Mai steht im wöchentlichen Bericht des RKI nicht mehr, dass die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland „sehr hoch“ sei, stattdessen sei sie lediglich „hoch“. Eine erste Studie weist zudem darauf hin, dass Omikron-Infizierte seltener langfristige Symptome – also Post oder Long Covid – entwickeln. Dazu gibt es allerdings insgesamt wenige Studien, gerade bezüglich der neuen Varianten, die es erst seit kurzer Zeit gibt.
BA.4 und BA.5 wurden im Januar zuerst in Südafrika nachgewiesen und führten dort im April zu einer weiteren Infektionswelle. Die ging laut offiziellen Angaben bereits nach einem Monat wieder zurück. Das könnte daran liegen, dass in Südafrika viele Maßnahmen wie eine Maskenpflicht in Innenräumen weiter bestehen.
In Portugal, wo die BA.5-Variante mittlerweile ebenfalls dominant ist, infizierte sich ein höherer Anteil an Menschen während der aktuell bestehenden Welle. BA.5 hat auch das portugiesische Gesundheitssystem nicht überlastet, doch die Gesundheitsbehörde meldete einen Anstieg an Menschen, die auf Intensivstationen behandelt werden mussten. Es starben auch wieder mehr Menschen im Zusammenhang mit Corona.
Wie gut wirkt der Impfstoff gegen die neuen Varianten?
Wie es aussieht, schützen die bisherigen Impfungen oder eine bereits durchgemachte Infektion vor einem schweren Krankheitsverlauf. Allerdings verhindert beides keine Ansteckung. Schon bei der BA.2-Variante fiel es dem coronatrainierten Immunsystem schwer, das Virus wiederzuerkennen. BA.4 und BA.5 können es offenbar noch besser umgehen. Corona bleibt außerdem für ältere Menschen und für jene mit Vorerkrankungen weiterhin eine potenziell tödliche Krankheit. Durchschnittlich starben in dieser Woche etwa 70 Menschen pro Tag im Zusammenhang mit Corona. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) empfahl den Risikogruppen deshalb, sich eine vierte Impfung zu holen.
Gibt es bald einen angepassten Impfstoff, der eine Ansteckung verhindert?
Alle Impfungen haben eine Wirksamkeit von unter hundert Prozent, das lässt sich nicht ändern. Außerdem ist die Impfstoffentwicklung zwar immer schneller, braucht aber trotzdem Zeit: Das Mainzer Unternehmen Biontech gibt an, in den kommenden Wochen die Studienergebnisse zu seinem an Omikron-Varianten angepassten Impfstoff vorlegen zu wollen. Eigentlich war dies schon für April geplant, wie der SWR berichtet.
Der US-Hersteller Moderna ist da schon einen Schritt weiter und hat seine Studienergebnisse bereits in dieser Woche vorgestellt. Diese klingen verhalten optimistisch: Der an Omikron angepasste Impfstoff erhöht demnach die Menge an Antikörpern, die verschiedene Varianten des Virus abwehren könnten. Doch beide Impfstoffe kommen wohl zu spät, um die BA.5-Welle zu brechen, denn sie sind für den Spätsommer angekündigt. Und weil der neue Impfstoff bisher nur an BA.1 angepasst ist, ist er wahrscheinlich auch nicht besonders wirksam gegen die neuen Subtypen.
Ergreift die Bundesregierung nun wieder Maßnahmen, um die Welle einzudämmen?
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betonte am Freitag, die Sommerwelle sei zwar da, aber es sei auch „kein Alarm notwendig“. Wenn alle selbst vorsichtiger wären, könne der Sommer gut werden. Der Gesundheitsminister empfahl außerdem, in Innenräumen freiwillig Maske zu tragen.
Die deutsche Stiftung für Patientenschutz sprach sich hingegen dafür aus, mehr für den Schutz von Älteren und Vorerkrankten zu tun. Allerdings ist nach dem aktuellen Infektionsschutzgesetz nicht die Bundesregierung in der Verantwortung, stattdessen müssten die Länder Maßnahmen ergreifen.
In Schleswig-Holstein und Niedersachsen ist die Inzidenz zurzeit am höchsten, mit mehr als 700 Neuinfektionen in sieben Tagen pro hunderttausend Einwohner*innen. Doch selbst hier empfehlen die zuständigen Minister nur Eigenverantwortung. „Mit einer Kombination aus Masketragen, Abstandhalten und regelmäßigem Testen können wir uns auch vor dieser neuen und sehr ansteckenden Variante des Virus schützen“, teilte Manfred Böhling vom niedersächsischen Ministerium für Gesundheit am Dienstag mit.
Fällt dann wenigstens die Herbstwelle aus?
Wie die Pandemie im Herbst weiter verläuft, kann niemand sagen. Bisher war das Virus immer wieder für Überraschungen gut. Der Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung forderte jedenfalls in der vergangenen Woche, dass die Bundesregierung sich auf eine Herbstwelle vorbereiten solle. Dafür wäre eine bessere Datenlage nötig und das Infektionsschutzgesetz müsste entsprechend angepasst werden: Am 23. September läuft das bisherige Infektionsschutzgesetz aus. Nach eigenen Angaben arbeitet die Bundesregierung aber noch an keinem neuen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte vor einem Schnellschuss.
Während Lauterbach die Eckpunkte für den Winter schon vor der Sommerpause fixieren will, gab Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zuletzt an, er wolle das neue Gesetz erst danach fertigstellen. Buschmann will auf einen wissenschaftlichen Bericht warten, der Ende Juli erscheint und die bisherigen Maßnahmen auswertet. Dieser Bericht allerdings steht schon jetzt in der Kritik. Fachkreise bemängelten, dass bereits das erste Kapitel des Berichts handwerklich schlecht sei, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Das Kapitel sei einseitig und betone die negativen Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund