Schlankere Verwaltung: Weniger Bürokratie kommt von allein
Seit die FDP regiert, sind die Ausgaben für Bürokratie entgegen allen Zielen immer weiter gestiegen. Das ist aber auch nicht weiter schlimm.
D iesen Konflikt kann Lisa Paus nur verlieren: Die grüne Familienministerin hat jüngst geschätzt, dass etwa 5.000 zusätzliche Stellen nötig seien, um die geplante Kindergrundsicherung zu verwalten. Die FDP konterte sofort, die Liberalen wollten den Sozialstaat „fitter, nicht fetter machen“.
Fakten zählen in diesem Streit nicht, denn „Bürokratie“ hat in Deutschland einen ganz schlechten Ruf. Politik und WählerInnen sind sich einig, dass sie „verschlankt“ werden muss. Das Schlagwort „Bürokratieabbau“ fand sich daher in allen Wahlprogrammen, auch bei den Grünen.
Entsprechend stolz war die Ampel, als sie kürzlich ein „Bürokratieabbaugesetz“ beschlossen hat, durch das die Wirtschaft 944 Millionen Euro im Jahr sparen soll. Wichtigster Punkt: Deutsche Gäste in deutschen Hotels müssen ihre Adresse nicht mehr hinterlassen. Tatsächlich war es lästig, ständig diese Formulare auszufüllen. Genauso hatten sich die WählerInnen den Bürokratieabbau schon immer vorgestellt.
Wer „Bürokratieabbau“ verspricht, hat einen politischen Konflikt schon gewonnen. Das nutzt vor allem die FDP kräftig aus. Sie tut in jeder Rede so, als ob es eine völlig neue Idee sei, die Behörden zu verschlanken. Doch tatsächlich währt der politische Kampf gegen die Bürokratisierung schon seit Jahrzehnten.
Deutschland geht nicht an seiner Bürokratie zugrunde
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
So wurde 2006 der Nationale Normenkontrollrat gegründet, der die Regierung beim Bürokratieabbau beraten soll. Zehn ehrenamtliche ExpertInnen verfassen jährlich einen Bericht, inwieweit die Kosten gestiegen sind, die der Wirtschaft durch die staatliche Verwaltung entstehen. Ergebnis: 2021/22 nahmen die Belastungen um 125 Millionen Euro zu, 2022/23 waren es 164 Millionen Euro zusätzlich.
Diese Zahlen sind durchaus amüsant, weil die FDP bekanntlich seit 2021 mitregiert – und bisher nur Kosten produziert hat. Auch bleibt abzuwarten, wie viel das neue „Bürokratieabbaugesetz“ tatsächlich bringt.
Insgesamt muss die deutsche Wirtschaft etwa 65 Milliarden Euro ausgeben, um die Auflagen der staatlichen Verwaltung zu erfüllen. Das klingt viel, entspricht aber nur 1,58 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Deutschland geht nicht an seiner Bürokratie zugrunde. Zudem sind viele Anforderungen sinnvoll, ob es nun um Krankenkassenbeiträge oder Umweltschutz geht.
Auch ist oft gar nicht klar, wie berechtigt Beschwerden von Unternehmen sind. Werden sie tatsächlich von der Verwaltung ausgebremst? Der Normenkontrollrat ist daher begeistert von einem Projekt, das der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck angestoßen hat: In seinem Haus gibt es jetzt „Praxischecks“, die an konkreten Fällen nachverfolgen sollen, ob die Bürokratie Investitionen verhindert.
Die Bürokraten fehlen
Auch ist es nicht fair, nur auf die staatlichen Verwaltungen zu starren. In privaten Firmen ist auch nicht jede Stelle nötig. Der US-amerikanische Anthropologe David Graeber hat vor einigen Jahren eine Umfrage durchgeführt, die in Großbritannien und in den Niederlanden ergab, dass 37 bis 40 Prozent der Angestellten ihre eigene Tätigkeit als „Bullshit Job“ empfanden. Das Gehalt war gut, aber die Aufgabe sinnlos.
Allerdings dürften sich diese Debatten demnächst sowieso erledigen. Der Bürokratieabbau wird kommen – weil die Bürokraten fehlen. Der Fachkräftemangel hat längst auch die Verwaltungen erreicht. Vielleicht dauert es nicht lange, bis alle nostalgisch zurückblicken: Wisst ihr noch, wie schön es war, als der Staat viele MitarbeiterInnen hatte?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist