Scheine und Münzen als Auslaufmodell: Bares wird Rares
Kontaktlos mit Karte zahlen liegt im Trend, erst recht seit Corona. Doch Hygiene ist nur Vorwand, um Bargeld durch elektronische Systeme zu ersetzen.
Das Bargeld ist nicht nur in Belgien auf dem Rückzug. Der Trend hat längst auch Deutschland erreicht. „Wenn Bäckereien mit dem Gedanken spielen, neuartige Bezahlvarianten einzuführen, ist jetzt ein guter Zeitpunkt“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, Daniel Schneider.
Der Trend zum elektronischen Bezahlen sei zwar schon seit Jahren spürbar gewesen, so Schneider. Doch erst die Coronapandemie habe ihn massiv verstärkt. Mit ein paar Groschen aus der Hosentasche, so wie früher, wird beim Bäcker immer seltener bezahlt. Einige Unternehmen helfen sogar noch ein wenig nach – und drängen die Kunden zum elektronischen Zahlen.
Wer bei der Bäckerei-Kette Kamps auf Bares verzichtet, bekommt einen „Innovations-Rabatt“ von 3 Prozent. Die Zahlung via Karte oder Smartphone sei nicht nur schneller, sondern auch hygienischer, heißt es dazu bei Kamps. Mit dem Rabatt wolle man allen Kunden Danke sagen, die dem Unternehmen während der Coronakrise die Treue gehalten haben.
Die EU fördert den bargeldlosen Zahlungsverkehr
Dabei hat die Pandemie zunächst die Nachfrage nach Bargeld verstärkt. Im März 2020 stieg der Euro-Bargeldumlauf in Deutschland sprunghaft um 36 Milliarden Euro auf 1.344 Milliarden Euro an. Das war der höchste monatliche Zuwachs seit der Finanzkrise im Oktober 2008. Es war eine Angstreaktion – ähnlich wie die anfänglichen Hamsterkäufe beim Klopapier. Doch kaum, dass sich die Angst ein wenig gelegt hatte, stellten viele Deutsche ihr Verhalten um – und zahlten „kontaktlos“. Nicht nur Kamps half dabei nach. Auch in Supermärkten und Kaufhäusern wird der elektronische Zahlungsverkehr als sichere und schnelle „Hygienemaßnahme“ beworben.
Die EU-Kommission in Brüssel stimmt in den Chor ein. Die Coronapandemie habe gezeigt, wie praktisch das bargeldlose Zahlen sei, heißt es in der Brüsseler Behörde. Deshalb werde die EU es künftig noch mehr fördern.
Dabei gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis, dass von Münzen und Geldscheinen ein nennenswertes Ansteckungsrisiko ausgeht. Bisher sei noch keine Übertragung durch Banknoten nachgewiesen worden, betont die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Genf.
Es ist auch nicht erwiesen, dass der Verzicht auf Bargeld das Geschäft ankurbelt. Für den selbstständigen Bäcker um die Ecke und andere kleine Geschäfte ist die Umstellung sogar oft mit Einbußen verbunden. Denn die einzelnen Umsätze sind bei ihnen meistens niedrig, der Durchschnitts-Kunde beim Bäcker legt gerade einmal 2,60 Euro auf den Tresen.
Wenn so kleine Beträge mit der Karte gezahlt werden, ist die Provision, die der Kartenterminal-Betreiber oder die Bank verlangt (bei EC-Karten sind das meist 0,25 Prozent, bei Kreditkarten bis zu 3 Prozent), häufig höher als die Gewinnmarge des Bäckers. Mit anderen Worten: Es ist ein Verlustgeschäft, mit Karte lassen sich keine großen Brötchen backen.
Wenn es keine zwingenden Gründe für die Abschaffung von Münzen und Scheinen gibt – warum wird Bares dann trotzdem immer mehr Rares? Sind da dunkle Mächte am Werk, die uns von Kreditkarten-Konzernen wie Visa und Mastercard abhängig machen wollen? Gibt es eine geheime Lobby des elektronischen oder gar digitalen Geldes?
Ein schleichender Prozess
Nein, sagt Norbert Häring, der sich seit Jahren kritisch mit dem Thema auseinandersetzt. Weder am Bankenplatz Frankfurt, wo Häring als Wirtschaftsjournalist arbeitet, noch in Berlin würden Lobbyisten offen für die Abschaffung des Bargelds werben. Das Ganze sei eher ein schleichender Prozess – aber gerade das mache ihn so problematisch.
Denn mit der Abschaffung des Bargelds ist auch ein Verlust von Kontrolle verbunden. Nicht die heimische Sparkasse um die Ecke, sondern ausländische Großkonzerne wie Mastercard oder Visa profitieren vom Kartengeschäft. Zudem wird der Käufer zum gläsernen Kunden. Jede Transaktion hinterlässt Spuren, der Datenschutz wird zum Problem.
Die Anhänger neuer Zahlungsmittel treten denn auch nicht offen für die Abschaffung des Bargelds ein, schon gar nicht in Deutschland, wo die Menschen ganz besonders an „ihrem“ Geld hängen. Die Bundesbank und der Bundestag wachen hierzulande mit Argusaugen darüber, dass die Versorgung mit Bargeld gesichert ist.
Doch ausgerechnet diese beiden Institutionen arbeiten hinter den Kulissen auch daran, den Zahlungsverkehr zu entmaterialisieren. Im Namen des technologischen Fortschritts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit werden die Weichen für eine „Welt ohne Bargeld“ gestellt.
Normale Bürger nicht gefragt
Deutlich zeigte sich dies bei einer Anhörung des Bundestags im Juni. Geladen waren vor allem Vertreter der IT-Branche, Ingenieure und Finanzexperten. Einfache Bürger wurden nicht gefragt, Handel und Verbraucher spielten nur eine Nebenrolle. Einer der wenigen Mahner war Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland. Im Handel rücke der „Kipppunkt“ immer näher, an dem das Bargeld an den Rand gedrängt wird, sagt er. „Zu Beginn der Coronapandemie nahm man das Kippen des Systems in Kauf“, klagt Binnebößel – und fordert mehr Einsatz der Politik für das Bargeld.
Die Zahlen geben Binnebößel recht. Schon 2018 wurde in Deutschland mehr Geld per Karte ausgegeben als in Cash. Die Kartenzahlungen lagen damals mit 209 Milliarden Euro erstmals knapp vor den Bargeldbeträgen (208 Milliarden). Seither hat sich der Trend immer mehr verstärkt, Corona könnte das System vollends zum Kippen bringen.
Für viele Digital Natives kann dieser Kipppunkt, an dem das Bargeld endgültig ins Hintertreffen gerät und die Portemonnaies und Brieftaschen verschwinden, nicht schnell genug kommen. Deutschland hinke im Wettbewerb mit den USA und China hinterher, so ihr Argument.
Konkurrenz zum Euro aus den USA
Er sorge sich nicht um das Bargeld, sondern vor allem darum, dass Deutschland den digitalen Anschluss verlieren könnte, sagt Kurosch D. Habibi vom Bundesverband Deutscher Start-ups. US-Internetkonzerne wie Amazon würden jetzt schon vormachen, wie man sich auch als Plattform für finanzielle Transaktionen positionieren könnte. „Wenn wir das nicht machen, dann machen es andere“, mahnte der auf „Fintech“ spezialisierte Experte bei der Anhörung im Bundestag. Als warnendes Beispiel gilt Facebook, das mit seiner Kryptowährung Diem auch in Deutschland und der EU abkassieren will.
Das macht auch Politikern Sorge. Sie bekennen sich zwar zum Bargeld, rufen jedoch gleichzeitig nach Alternativen. Auch der linke Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi fordert, einen „digitalen Euro“ zu schaffen – also eine elektronische Form von Zentralbankgeld, für das die Bundesbank einstehen würde
„Der digitale Euro ist die einzige Chance, die zunehmende Finanzmacht von Facebook & Co. einzugrenzen“, so De Masi, der sich in der Wirecard-Affäre einen Namen gemacht hat. Er sei zwar keine Garantie gegen Geldwäsche und organisiertes Verbrechen, wie die Anhänger von digitalen Währungen gern behaupten – könne der EU aber helfen, sich gegen die USA zu behaupten.
Valdis Dombrovskis, EU-Finanzkommissar
Während man in Berlin noch diskutiert, werden in Brüssel schon Fakten geschaffen. Wohin die Reise geht, hat EU-Finanzkommissar Valdis Dombrovskis im September skizziert. „Die Zukunft des Finanzwesens ist digital“, erklärte er – und schlug vor, nicht nur neue, EU-weite elektronische Zahlungssysteme einzuführen, sondern auch gleich den „digitalen Euro“.
Ein Angriff auf die analoge Währung sei das nicht, betonte die Brüsseler Behörde. Man setze sich dafür ein, dass „Bargeld sowohl zugänglich als auch allgemein akzeptiert bleiben sollte“, sagte ein Sprecher der taz. Schließlich sei der Euro das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in der Eurozone.
Doch diesen Worten folgten keine Taten, die Bestandsgarantie steht nur auf dem Papier. Gegen die Flut von digitalen Kartenlesegeräten und Bezahl-Apps, die dem Baren den Garaus machen, unternimmt Brüssel ebenso wenig wie gegen die schleichende Abschaffung von Geldautomaten oder die Schließung von Bankfilialen.
Umso eifriger arbeiten EU-Kommission und Europäische Zentralbank (EZB) daran, digitale Alternativen zum Baren voranzutreiben. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Digitalisierung zu einer Top-Priorität erklärt – gleich nach dem Klimaschutz. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat dafür sogar eine Kehrtwende hingelegt.
Bei ihrem Amtsantritt vor einem Jahr war die Französin noch strikt gegen einen digitalen „E-Euro“. Nun setzt sie sich an die Spitze der Bewegung. Der Euro müsse „fit für das digitale Zeitalter“ werden, erklärte Lagarde im Oktober. Ein E-Euro würde alltägliche Zahlungen schneller, einfacher und sicherer machen, lockt die EZB. Spätestens Mitte 2021 soll es so weit sein.
Begründet wird die Eile damit, dass Facebook seine Digitalwährung Diem schon im Januar an den Start bringen könnte. Der US-Konzern plant eine digitale Münze, die an den Dollar angebunden wird. Dieser digitale Dollar könnte das Monopol des Euro infrage stellen, fürchtet die EZB – und will ihm so schnell wie möglich etwas entgegensetzen.
Dabei bleiben Transparenz und Demokratie auf der Strecke. Die EZB hat zwar eine öffentliche Anhörung zum „digitalen Euro“ gestartet, ein Meinungsbild wird aber erst Anfang 2021 erwartet. Doch hinter den Kulissen arbeiten Expertengruppen schon fieberhaft an der Einführung. Vor allem eine Frage treibt die Experten um: Soll das digitale Geld nur den Zentral- und Geschäftsbanken zur Verfügung stehen – oder auch den Bürgern?
Wenn der E-Euro nur bankintern verwendet wird, dürfte das den meisten Menschen ziemlich egal sein. Wenn er aber auch Otto Normalbürger zur Verfügung steht, wird das Bargeld noch entbehrlicher. Sogar Sparguthaben könnten digital angelegt werden. Der gute alte Sparstrumpf wäre dann ebenso überflüssig wie das Portemonnaie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm