Sächsischer BSW-Chef über seine Partei: „Habe lange Grüne gewählt“
Jörg Scheibe ist BSW-Chef in Sachsen. Der Ingenieur ist neu in der Politik. Ein Gespräch über die Ziele seiner Partei und Schnittmengen mit der CDU.
taz: Herr Scheibe, Sie sind seit drei Monaten Parteichef des Bündnisses Sahra Wagenknecht in Sachsen und jetzt Spitzenkandidat für die Landtagswahl im September. Wollen Sie ein richtiger Politiker werden?
Jörg Scheibe: Ja. Als Landtagsabgeordneter werde ich ein richtiger, hauptamtlicher Politiker sein.
Jörg Scheibe, 61, ist seit Februar einer der beiden Vorsitzenden des BSW-Landesverbands in Sachsen. Der Ingenieur und Unternehmer leitet in Chemnitz eine Firma, die Klima-, Sanitär, Heizungs- und Lüftungsanlagen für große Bauprojekte in Sachsen, Berlin oder im Nordirak plant. Außerdem lehrt er an der Studienakademie im sächsischen Glauchau Versorgungs- und Umwelttechnik.
Und Ihre Firma?
In meiner Firma bin ich Gesellschafter und Geschäftsführer. Da werde ich mich dann rausziehen, das geht nicht anders. Ich habe schon einen Prokuristen, den werde ich dann zum Geschäftsführer machen. Außerdem habe ich eine Professur an der Akademie in Glauchau und bin damit im öffentlichen Dienst beschäftigt. Wenn ich als Abgeordneter ein politisches Amt übernehme, werde ich für diese Zeit freigestellt.
Politik ist ein Handwerk. Beherrschen Sie das schon?
Vor einem halben Jahr habe ich damit noch nichts zu tun gehabt. Aber ich sehe das als neue Herausforderung. Und ich habe mal gelesen, dass Noah auch ein Anfänger war, als er die Arche gezimmert hat. Die „Titanic“ dagegen wurde von Profis gebaut (lacht).
Sind beim BSW in Sachsen viele Politneulinge wie Sie mit an Bord?
Wir haben eine gute Mischung aus Leuten, die schon mal in anderen Parteien waren oder in einem Parlament gesessen haben und wissen, wie das läuft. Für mich ist das neu. Aber ich fühle mich in der Lage, mich da einzuarbeiten. Ich habe dennoch Respekt vor dieser Aufgabe: Man steht viel mehr in der Öffentlichkeit, und so viele Interviewanfragen wie in letzter Zeit hatte ich noch nie.
Waren Sie schon mal in einer Partei?
Ich war einmal, 1988, ganz kurz in der SED und bin dann kurz vor der Wende wieder ausgetreten. Seitdem habe ich mich eigentlich nicht mehr politisch engagiert.
Wo lagen bisher Ihre politischen Präferenzen?
Ich habe viele Jahre lang die Grünen gewählt, aus ökologischer Überzeugung. Mittlerweile sind sie für mich nur noch die Olivgrünen, wegen ihrer Haltung zum Militär. Und das, was sie jetzt an Regierung machen, ist eine Katastrophe.
Inwiefern?
Ich bin sehr für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, um den CO₂-Ausstoß drastisch zu verringern und das Klima zu schützen. Aber das muss man mit der Bevölkerung machen, nicht gegen sie. Vor der letzten Bundestagswahl hatte ich den Eindruck, dass es in der Bevölkerung einen breiten Konsens gibt, dass man mehr für den Klimaschutz tun muss. Aber für die meisten Menschen ist das jetzt ein rotes Tuch. Das geht so weit, dass manche den Klimawandel ganz anzweifeln. Bestimmte Parteien befeuern das ja.
Sie nicht?
Nein. Der Klimawandel, den wir jetzt erleben, wird ganz wesentlich durch unsere Emissionen verursacht. Als Unternehmer habe ich berufsbedingt viel mit dem Thema zu tun, und damit aber leider auch mit solchen Dingen wie dem schlecht gemachten Gebäudeenergiegesetz. Meinen Auftraggebern muss ich erklären, was geht und was nicht. Und meinen Studenten an der Akademie muss ich erklären, was gilt. Ich muss meine Vorlesungen deshalb fast jedes Jahr komplett überarbeiten.
Welche Maßnahmen wären denn Ihrer Meinung nach sinnvoll?
Es ist ganz klar, dass wir auf erneuerbare Energien umstellen müssen, um irgendwann CO₂-frei zu werden. Bis vor wenigen Jahren, also bis zum Ukrainekrieg, galt Erdgas als sinnvolle Brückentechnologie, denn von den fossilen Energieträgern ist es der sauberste. Jetzt wurde politisch entschieden: kein Gas mehr aus Russland. Aber es wird mindestens 15 bis 20 Jahre dauern, bis wir auf fossile Energiequellen verzichten können, und als Hochindustrieland können wir nicht sagen, dann sitzen wir bis dahin eben im Kalten und heizen nicht mehr. Deshalb sollten wir weiter Erdgas aus Russland beziehen.
Das sieht Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer ähnlich. Könnten Sie sich eine Koalition mit ihm vorstellen?
Wir werden nicht der Steigbügelhalter für Herrn Kretschmer sein, damit er weiter regieren kann. Aber was wir an Inhalten durchsetzen können, hängt davon ab, wie gut wir abschneiden, und ob die Linke, die Grünen und die SPD in den Landtag kommen. Wenn man den Prognosen trauen kann, könnten wir drittstärkste Partei werden. Aber Prognosen sind bekanntlich schwierig – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.
Wo sehen Sie die größten Schnittmengen mit der CDU in Sachsen?
Wir haben mehrere Schnittmengen, etwa in der Migrationspolitik, oder beim Thema Russland. Michael Kretschmer setzt sich ja für eine Verhandlungslösung mit Russland ein und ist dafür, die zerstörte Pipeline Nord Stream 1 wieder in Betrieb zu nehmen. Das fordern wir auch. Michael Kretschmer steht in seiner Partei damit aber ziemlich allein da.
Haben Sie schon mal mit ihm gesprochen?
Wir haben uns schon mal unterhalten. Ich kenne den Ministerpräsidenten aus meiner beruflichen Tätigkeit: Er hat sich für das Kälte-Kompetenz-Zentrum Reichenbach im Vogtland eingesetzt, an dem die Berufsakademie Glauchau beteiligt ist, an der ich lehre. Offizielle Gespräche gab es aber noch nicht.
Welches Thema wäre Ihnen in Koalitionsverhandlungen am wichtigsten?
Das Thema Frieden. Da sind unsere Möglichkeiten in Sachsen zwar begrenzt, aber über den Bundesrat könnten wir schon etwas anstoßen. Die Migration zu begrenzen ist ebenfalls wichtig, weil das Thema vielen Menschen auf den Nägeln brennt. Meine Heimatstadt Chemnitz ist sicher kein Hotspot der Kriminalität. Aber ich höre von vielen, dass sie Angst haben, abends in die Stadt zu gehen, weil da halt immer mal wieder etwas passiert. Man muss offen darüber reden, dass die Täter oft Flüchtlinge sind.
Wird das nicht sehr häufig gesagt?
Man kann natürlich nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren: in meiner Firma arbeitet ein Syrer, der lebt mit seiner Familie hier, hat jetzt promoviert und verdient einen ordentlichen Lohn. Aber es gibt eben auch eine große Zahl an unbegleiteten Jugendlichen, die zu uns gekommen sind. Das sind alles junge Männer, und die machen ab und zu Probleme. Das wäre auch nicht anders, wenn das eine Gruppe junger deutscher Männer in einem anderen Land wäre. Da passieren halt Dinge, die sind nicht immer schön. Darauf muss die Politik reagieren, und die Polizei muss an manchen Orten mehr Präsenz zeigen.
In Ihrem Wahlprogramm steht, dass Sie ausländische Fachkräfte gewinnen möchten. Wie kommt das?
Wir brauchen ausländische Fachkräfte. Die USA machen das ja vor: Die werben weltweit Fachkräfte ab. Nicht umsonst haben sie so viele Nobelpreisträger. Die kommen aus aller Welt, aber leben und arbeiten in den USA.
Die Bundespartei ist bei dem Thema zurückhaltender.
Das ist ja auch ein zweischneidiges Schwert: Wenn wir hier Fachkräfte anwerben, dann fehlen die in ihren Ländern. Bei uns in Sachsen kommen viele Ärzte aus Osteuropa, aus Polen oder Ungarn. Man kann es ihnen nicht verübeln, dass sie hier eine Praxis eröffnen, weil ihre Ausbildung hier sofort anerkannt wird und sie hier ein höheres Einkommen erzielen. Aber in Ungarn fehlen massenhaft Ärzte, das ist dort ein riesiges Problem. Das kann daher nicht der richtige Weg sein.
Sondern?
Diese Menschen sind ja in ihren Ländern ausgebildet worden, und so eine Ausbildung zum Mediziner kostet richtig viel Geld. Wenn man sagt, wir werben von dort Fachkräfte an, müssten wir zumindest so fair sein, diesem Land die Ausbildungskosten erstatten.
Das steht so nicht in Ihrem Programm.
Dafür würde ich mich einsetzen.
Auch in der Landesregierung? Sie könnten sogar Minister werden.
Eine Regierungsbeteiligung liegt durchaus im Bereich des Möglichen, das stimmt. Aber jetzt müssen wir erst einmal einen ordentlichen Wahlkampf machen: erst für die Kommunalwahlen, dann für die Europawahl im Juni und dann für den Landtag im Herbst. Und dann sehen wir, mit wie viel Prozent und wie vielen Abgeordneten wir in den Landtag kommen und was sich daraus ergibt. Uns kommt es auf Inhalte an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen