SPD-Chef zu Koalitionsverhandlungen: „Müssen beim Klimaschutz klotzen“
Raed Saleh verteidigt die Verhandlungen mit der CDU in Berlin: Es gehe um Inhalte. Eine solche Koalition müsse sich am Klimaschutz messen lassen.
taz: Herr Saleh, die Koalitionsverhandlungen mit der CDU gehen auf die Zielgerade. Wie läuft's?
Raed Saleh: Insgesamt gut.
Woran liegt das?
Wir haben schon in den Sondierungsverhandlungen für Berlin wesentliche Punkte festgemacht: Die Stadt muss eine gute Arbeitgeberin bleiben, hier geht es um Tariftreue, Mindestlohn und die Rückführung der ausgegliederten Unternehmen etwa bei der Charité und Vivantes. Wir werden die Gebührenfreiheit der Bildung und unsere Errungenschaften bei der sozialen Teilhabe beibehalten, etwa das kostenlose Schülerticket und das kostenlose Essen für alle Grundschulkinder. Nun haben wir in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam neue Bereiche definiert, in denen wir die Berlinerinnen und Berliner weiter entlasten können, etwa durch die Gebührenfreiheit in der Meisterinnenprüfung und bei den Sozialassistenten. Und es geht darum, dass man in der Krise nicht spart, dass weiter investiert wird.
Wir haben den Eindruck, dass die CDU sehr viele SPD-Positionen akzeptiert hat – um nicht zu sagen: geschluckt.
Die CDU hat auch Punkte, die ihr wichtig sind – da gibt es mit uns Überschneidungen, etwa beim Thema Sicherheit im öffentlichen Raum und die damit verbundene temporäre und anlassbezogene Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten. Das war mit unseren bisherigen Partnern so nicht möglich.
In diesem Fall vor allem nicht mit der Linkspartei .
Raed Saleh
1977 geboren, ist seit 2011 Fraktionschef der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit 2020 ist er mit Franziska Giffey auch Parteivorsitzender. Sein Wahlkreis liegt in Spandau.
Die Linken waren bisher ein kritischer, aber verlässlicher Partner. Ich selbst unterstütze bekanntermaßen rot-rot-grüne Konstellationen – aber nicht, wenn man am Ende seine wichtigsten Inhalte aufgeben muss, also das Ziel gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, das Ziel der Entlastung und Gebührenfreiheit, das Ziel einer bezahlbaren Stadt, aus der niemand verdrängt wird.
Sie stellen Grüne und Linke als Gentrifizierer dar?
Mir ist wichtig, dass diese Stadt für alle bezahlbar bleibt. Daher bin ich froh, dass wir diese Punkte nun in den Koalitionsverhandlungen vereinbaren konnten. Die SPD darf die Menschen, die auf sozialdemokratische Politik angewiesen sind, nicht im Stich lassen. Na klar könnten wir es uns leicht machen und in die Opposition gehen und na klar habe ich auch darüber nachgedacht. Doch das hieße, es sich leicht zu machen, die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: Okay, wir überlassen die Stadt Schwarzen und Grünen. Aber was würde dadurch besser?
Berlins Juso-Chefin Sinem Tasan-Funke hat in der taz erklärt: „Eine CDU-geführte Regierung wäre ein Rückschritt für diese Stadt. Ihr konservatives Menschenbild ist mit unserem Grundverständnis der SPD als linke, progressive Volkspartei nicht vereinbar.“
Ich bin in ganz engem Austausch mit den Jusos. Sie tun das, was sie machen müssen. Doch mir geht es um unsere Inhalte. Wenn wir die im Augenblick am besten in dieser Konstellation umsetzen können – und danach sieht es nach jetzigem Stand in den Verhandlungen aus –, dann ist das jetzt der richtige Weg. Auch wenn, wie Sie wissen, ich kein Fan einer großen Koalition bin.
Die gar keine große ist, die Mehrheit beträgt acht Stimmen.
Einige in der SPD sagen, wir müssen gegen eine Koalition mit der CDU sein, das liegt in unserer DNA. Vor dieser Äußerung habe ich großen Respekt. In meiner DNA liegt aber, das Maximale für die Menschen herauszuholen. Auf der Suche danach, die Menschen, für die wir eine Verantwortung tragen, bestmöglich zu unterstützen, scheue ich keine Konflikte.
Im Wahlkampf hatten Sie CDU-Chef Kai Wegner als „einsamen Kai“ verspottet und als verlängerten Arm der Immobilienlobby bezeichnet. Wie sitzt es sich mit ihm an einem Tisch?
Schauen Sie auf das, was wir vereinbaren: Da werden Sie schwarz auf weiß sehen, dass unsere sozialen Themen auch im Bereich Wohnungspolitik fest vereinbart worden sind.
Die CDU hat den Mietendeckel weggeklagt…
… der verfassungsrechtlich auf wackeligen Beinen stand. Ich habe Erfahrungen mit einer Koalition mit der CDU. Wir haben von 2011 bis 2016 miteinander regiert. Und nochmal: Ich bin kein Fan einer großen Koalition; große Koalitionen dürfen immer nur eine Sache auf Zeit sein. Aber wir haben damals viele wichtige Dinge umsetzen können. Zum Beispiel den Rückkauf der Wasserbetriebe, die neue Liegenschaftspolitik, die Grund und Boden der Berlinerinnen und Berliner für kommende Generationen hält und nicht mehr verkauft, der Einstieg in die gebührenfreie Kita, die Einführung des Landesmindestlohns und vieles mehr. Wir haben die Menschen entlastet. Wenn die Menschen mehr Geld im Portemonnaie haben, ist das die beste Medizin gegen Gentrifizierung.
An der Wucht der Gentrifizierung hat das bisher noch nichts geändert.
Ich möchte keine Zustände wie in London oder Paris mit einer reichen Innenstadt, die sich die Mehrzahl der Menschen nicht leisten kann. Berlin muss bezahlbar bleiben. Dafür entlasten wir die Menschen.
Mit dem inhaltlichen Argumenten überzeugen Sie in Ihrer Partei längst nicht alle. Beim Mitgliederforum der SPD Mitte haben am Mittwoch viele angekündigt, sie würden gar nicht auf den Koalitionsvertrag schauen, weil es grundsätzlich nicht der CDU gehe.
Ja, ich höre oft in den letzten Tagen, dass sich „Politik gut anfühlen“ muss. Das allein reicht mir aber nicht, mir geht es darum: Was holt man für die Menschen raus? Bei wichtigen Fragen diskutiert die SPD seit jeher im Bund wie im Land intensiv und leidenschaftlich nach der richtigen Politik für die Menschen, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Das macht mich stolz. Diese Debatten bereichern unsere Partei.
In früheren Debatten waren die Fronten nicht so verhärtet wie jetzt.
Das sehe ich anders.
Was sagen Sie zur Kritik, mit den Grünen nicht genug verhandelt zu haben?
Ich empfinde den Vorwurf der Grünen, dass wir jetzt mit der CDU verhandeln, als falsch – denn die Berliner Grünen hatten längst Verabredungen mit der CDU getroffen. Und schauen Sie mal in viele andere Bundesländer: Da regieren die Grünen schon seit langem ganz munter mit der CDU.
Pro „Pragmatisch und lösungsorientiert“ verlaufen die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD bisher, sagt zumindest die Noch-Regierende Franziska Giffey. Bereits Ende dieser Woche sollen sie abgeschlossen sein.
Contra Die Partei ist uneins, ob sie mit der CDU gemeinsam regieren sollte. Bereits vier große Kreisverbände haben sich dagegen ausgesprochen. (taz)
Sie haben eben die Diskussionskultur in ihrer Partei gelobt. Machen sie deswegen keinen baldigen Parteitag in Präsenz? Daran gab es harsche Kritik.
Wir machen einen, am 26. Mai. Das ist längst verabredet.
Was ist dabei Thema? Der Mitgliederentscheid über die Koalition muss ja nicht noch mal bestätigt werden.
Wir müssen diskutieren, wie die Wahl anders – besser – hätte laufen können. Das ist notwendig, diesen Prozess brauchen wir, auch um es beim nächsten Mal besser zu machen.
Sie selbst leiten in den Koalitionsverhandlungen für die SPD die Arbeitsgruppe Vielfalt und damit das nach der Namensabfrage nach Silvester vielleicht kontroverseste Thema. Vergangene Woche haben 17 Initiativen in einem offenen Brief vor Rückschritten in diesem Bereich gewarnt.
Dass ich diese Arbeitsgruppe leite, ist auch ein Signal. Für meine Partei und für mich ist das Thema eine Haltungsfrage. Es gab gute Debatten in der Runde; die Ergebnisse, die sich wirklich sehen lassen können, stellen wir diese Woche vor. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich die Aussagen der CDU nach der Silvesterrandale falsch fand. Ich fand die einfach …
… rassistisch?
Ich glaube, die Aufgabe von Politik ist es, Menschen zusammenzuführen und nicht zu spalten.
Bisher gibt es keine Entschuldigung von Kai Wegner dafür.
Es gab ein Eingeständnis, wonach der Weg von Franziska Giffey, das Thema über einen Jugendgipfel zu bearbeiten, der richtige Weg sei. Es geht um Bildung, Integration und Teilhabe.
Das reicht Ihnen, nach dieser großen Empörung?
Die Haltung der SPD ist den potenziellen Koalitionspartner klar. Berlin ist das Zuhause von verschiedenen Menschen, Kulturen, Religionen und Lebensentwürfen. Diese Vielfalt bereichert Berlin und ist uns willkommen.
Das heißt auch, dass das Kopftuchverbot etwa für Lehrerinnen fällt?
Wir werden die Regelung der aktuellen Gesetzgebung anpassen. Das heißt, es werden Frauen mit Kopftuch unterrichten.
Was ist mit dem Wahlrecht auf kommunaler Ebene für nicht EU-Bürger*innen?
Das ist komplizierter, weil wir es als Land nicht allein machen können. Die Senkung des Wahlalters auf 16 bei Wahlen zum Abgeordnetenhaus können wir selbst entscheiden. Wir werden Mehrheiten für eine Verfassungsänderung suchen. So ist das in den Sondierungen mit der CDU verabredet.
Ein anderes derzeit stark diskutiertes Thema ist die Klimapolitik. CDU und SPD haben dafür ein Sondervermögen beschlossen in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro. Gibt es konkrete Ideen, was mit dem Geld passieren soll?
Gibt es – sie werden gerade in einer Unterarbeitsgruppe ausverhandelt. Ganz unabhängig von dieser möglichen Koalition ist doch klar: All diejenigen, die derzeit so tun, als gäbe es beim Thema Klima keine Herausforderung, die über alles hinausgehen muss, was wir bisher hatten, erkennen die Realität nicht an. Als ich diese 10 Milliarden Euro in den Verhandlungen angesprochen habe….
Es war doch eigentlich eine Idee der Linkspartei.
In den Debatten um Rot-Grün-Rot kam das von der Linken, stimmt, wurde aber von den Grünen vehement abgelehnt. Sie haben gesagt: Das Geld darf nicht durch Kredite, sondern muss durch Einsparungen zusammenkommen. Aber das kann ich nicht nachvollziehen, wir brauchen doch jetzt einen großen, ja den größten Wurf, nachdem sich gezeigt hat, dass während der Pandemie Investitionen genau der richtige Weg waren. Wir müssen gerade als Land Berlin ein Vorbild sein, alle anderen Bundesländer werden nachziehen. Davon bin ich überzeugt. Und die Menschen werden eben genau dann eine ambitionierte Klimapolitik mittragen und befürworten, wenn wir sie nicht durch Einsparungen im sozialen Bereich finanzieren.
In der Debatte um den Klima-Volksentscheid ist die Umsetzbarkeit der vielen notwendigen Maßnahmen eine große Frage. Viele sagen: Wegen Fachkräftemangel und Lieferkettenproblemen klappt das nicht bis 2030. Und auch zehn Milliarden Euro für den Klimaschutz in den nächsten dreieinhalb Jahren auszugeben ist eine Herausforderung.
Das weiß ich, ich habe meine Erfahrungen mit der Schulbauoffensive. Aber auch da hat sich inzwischen viel getan. Und was nicht ausgegeben wird, geht ja nicht verloren. Aber natürlich soll das Geld auch wirklich ausgegeben werden, es gibt ja auch gar keine Alternative. Dieses Geld soll eine Motivation sein, neue Firmen zu gründen oder weitere Mitarbeiterinnen einzustellen. Das ist ja auch ein Riesenkonjunkturprogramm des Landes. Wir müssen uns, sollte die schwarz-rote Koalition zustande kommen, am Klimaschutz messen lassen, wir müssen klotzen. Und die 10 Milliarden Euro sind dafür eine realistische Größenordnung.
Das heißt auch eine andere Verkehrspolitik?
Ja, zum Beispiel die Ladeinfrastruktur ausbauen, das war bisher schwierig. Eine andere Verkehrspolitik heißt aber nicht, eine Citymaut einzuführen und damit eine weitere Gentrifizierung anzustoßen, indem man sagt, wir machen die Stadt noch schöner, aber nur für wenige Berlinerinnen und Berliner. Wenn man will, dass die Leute ihr Auto stehen lassen, braucht es einen günstigen Öffentlichen Nahverkehr. Es braucht Anreize.
Das von SPD und CDU schon für Mai verabredete 29-Euro-Ticket lässt aber auf sich warten, weil die BVG sagt, sie sei derzeit ausgelastet mit dem neuen Deutschlandticket.
Ich erwarte, dass man dafür eine schnelle Lösung findet.
Klimaschutz geht ja auch einfach, indem man Sachen nicht macht, etwa die Verlängerung der A 100 durch Friedrichshain.
Gegen den Weiterbau gibt es einen klaren Parteitagsbeschluss.
Was ist mit einer Randbebauung am Tempelhofer Feld? Es braucht diese Frischluftschneise, um der Überhitzung der Stadt entgegenzuwirken.
Was die Randbebauung betrifft, bin ich persönlich skeptisch, aber mit dieser Haltung in meiner Partei in der Minderheit. Es gibt einen Parteitagsbeschluss, demnach soll es eine behutsame Bebauung am Rand geben. Bisher ist jenseits dieser Bebauung aber völlig unklar, was dort entstehen soll: Wie soll denn die Infrastruktur aussehen? Wird es soziale Angebote geben? Ich würde mir vor allem wünschen, den Ort zu verschönern und kreativ zu entwickeln. Auch ein respektvoller Umgang mit dem Ergebnis des Volksbegehrens muss mitgedacht werden.
Ein anderes kontroverses Thema ist die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids. Akzeptiert die CDU die Ergebnisse der von Rot-Grün-Rot eingesetzten Kommission?
Das ist die Verabredung im Sondierungspapier.
Warum braucht es das verabredete Rahmengesetz?
Das geht weiter als bisher gedacht. Berlin wäre das erste Bundesland mit so einem Gesetz.
In welchen Bereichen könnte es Anwendung finden?
Dort, wo es um Daseinsvorsorge geht.
Bei Energieunternehmen?
Der Weg einer Rekommunalisierung wie bei Wasser und Strom in öffentlicher Hand ist auch für Energieunternehmen ein kluger Weg, wobei ich hier die Beteiligung Privater nicht ausschließe.
Die Koalitionsverhandlungen gehen dem Ende entgegen, da stellt sich die Frage: Was macht Raed Saleh im neuen Senat?
Ich bin SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender und mache meine Arbeit gerne.
Was ist ihre Prognose: Werden die Mitglieder am Ende dem Koalitionsvertrag zustimmen?
Wir sind noch nicht fertig mit den Verhandlungen. Aber wenn die Ergebnisse am Ende stimmen, werden viele von denen, die noch Bauchschmerzen haben, am Ende sagen: Das ist der vernünftige Weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett