Berlin und der Kopftuchstreit: Geltendes Recht in der Wartezone

Ein Gericht hatte längst entschieden, dass auch in Berlin Lehrerinnen Kopftücher tragen dürfen. Jetzt hat es auch die Politik eingesehen.

Der Wind bläst in Berlin den Mantel einer Frau auf und lässt ihr Halstuch wehen

Frischer Wind in der Berliner Kopftuchdebatte Foto: picture alliance/dpa/Annette Riedl

BERLIN taz | Das Schöne am Rechtsstaat ist ja, dass es viele Mittel und Wege gibt, zu seinem Recht zu kommen, selbst gegen vermeintlich übermächtige Gegner. Leider stimmt das nur in der Theorie. Immer wieder passiert es, dass sich Organe des Staates selbst nicht an Recht und Gesetz halten. Klar kann man dann zum Beispiel eine Verwaltung verklagen – und sogar gewinnen. Aber was, wenn die Staatsmacht trotzdem weitermacht wie zuvor?

Beispiel Berlin und die Kopftuchdebatte. Bekanntlich hat die Hauptstadt das strengste „Neutralitätsgesetz“ im ganzen Land: Lehrer*innen, Po­li­zis­t*in­nen und Jus­tiz­be­am­t*in­nen ist das Tragen religiös konnotierter Kleidung bei der Berufsausübung verboten. Denn ausgerechnet hier, wo islamische Kopftücher im Alltag längst Normalität sind, geht im Rathaus die Angst vor der „Islamisierung der Schulen“ um.

Doch seit im August 2020 das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Rechtsstreit zwischen einer Berliner Lehrerin mit Kopftuch und der Bildungsverwaltung der Lehrerin recht gab, steht fest: Dieses Gesetz ist in seiner Allgemeinheit nicht zu halten – zumindest für Leh­re­r*in­nen. Ihnen kann das Tragen religiöser Kleidung nur untersagt werden, wenn im Einzelfall eine „konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden vorliegt, erklärte das BAG unter Berufung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015.

Doch die Berliner Exekutive wollte das Urteil nicht akzeptieren, die SPD-Bildungssenatorin legte beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde ein. Wenig überraschend wurde diese vor gut einer Woche abgelehnt. Eigentlich sind Verfassungsbeschwerden das vornehmliche Recht von Bürger*innen, um ihre grundgesetzlich garantierten Freiheiten gegenüber dem Staat durchzusetzen.

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Eine Landesregierung als Staatsorgan kann diesen Weg nur ausnahmsweise beschreiten, wenn ihre „Prozessrechte“ verletzt werden. Dass die obersten Richter Berlins Beschwerde ohne Begründung abgelehnt haben, zeigt: Der Fall war völlig aussichtslos. Nichts anderes war nach der Rechtsprechung der letzten Jahre zu erwarten.

Die „Prozesshanselei“ des Senats hatte also nur den einen Zweck: Zeit zu schinden. Zweieinhalb Jahre hat Berlin verstreichen lassen – Jahre, in denen der Leh­rer*­in­nen­man­gel immer offenkundiger und drängender wurde. Und dies nur, um aufzuhalten, was nicht aufzuhalten ist. Was die Sache noch schlimmer macht: Theoretisch hätte man das BAG-Urteil trotz der Beschwerde längst anwenden müssen – aufschiebende Wirkung hatte der Gang nach Karlsruhe nicht. Das Urteil ist seit August 2020 rechtskräftig. Desungeachtet werden bis heute Lehrerinnen, die ein religiöses Kopftuch tragen, bei Bewerbungen auf Stellen an allgemein bildenden Schulen nicht berücksichtigt. Eine Juristin, die auf solche Fälle spezialisiert ist, bestätigte der taz, dass sie immer wieder entsprechende Beschwerden von Frauen bekommt.

Nach der Klatsche aus Karlsruhe zeigt sich die SPD nun endlich einsichtig. Man werde die Entscheidung respektieren, so die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey – das Gesetz werde „zügig angepasst“.

Untertänigsten Dank, möchte man da zynisch rufen. Wie schön, dass die Exekutive endlich ihrer Pflicht, sich an geltendes Recht zu halten, nachkommen will. Übrigens, Frau Giffey oder wer immer demnächst Berlin regiert: Sie müssen nicht warten, bis das Gesetz geändert ist, Sie können Ihre Politik sofort ändern.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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