Deutschland für Fachkräfte unattraktiv: „Oh, wow“

Nicht nur Finanzminister Lindner musste es kürzlich erleben: Für die viel beschworenen ausländischen Fachkräfte ist Deutschland kein begehrtes Ziel.

Christian Lindner spricht in Accra in Ghana in einem Hörsaal zu Studierenden

Sind leider nicht alle so nett und adrett in Deutschland: Christian Linder in Ghana am 3. Februar Foto: Leon Kuegeler/Photothek/picture alliance

Vor Kurzem stand Finanzminister Christian Lindner von der FDP bei einem Auslandsbesuch in Ghana in einem Hörsaal. Luftig in ein weißes Hemd gekleidet, hielt er in der Hauptstadt Accra einen seiner TED-Talks, ganz locker in den Reihen zwischen den Studierenden. Jemand filmte die Szene.

Lindner fragt in den Saal, wer von den Anwesenden sich vorstellen könne, nach Deutschland zum Arbeiten zu migrieren. Kurze Stille. Null Hände heben sich. Hinter der Kamera flüstert jemand: „Oh, wow“, es folgt ein verlegenes „Okay!“ vom Finanzminister. Dann gehen hier und da ein paar wenige Hände zögerlich doch noch hoch – eher aus Mitleid. Christian Lindner rettet sich mit dem Witz, dass er die Telefonnummern und E-Mail-­Adressen der skeptischen Freiwilligen höchstpersönlich einsammeln werde. Alle lachen.

Oft heißt es ja sinngemäß: Ganz Afrika wolle zu uns nach Deutschland kommen. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung, die man an sich kritisch lesen sollte, gibt nun weitere Anhaltspunkte, warum das nicht so ist. Unter den OECD-Ländern ist Deutschland demnach beim Ansehen unter ausländischen Fachkräften, Unternehmen und Start-ups von Platz 12 auf Platz 15 zurückgefallen. Hauptgrund dafür ist, dass andere Länder schlicht viel attraktivere Arbeits- und Lebensbedingungen bieten: Norwegen, Kanada oder Neuseeland zum Beispiel.

In der Studie wurden mehrere Faktoren beachtet: Aufstiegschancen, Höhe des Einkommens und der Steuern, Möglichkeiten für Familienmitglieder oder die Visa-Vergabe. Auf all diesen Feldern bietet Deutschland kein gutes Bild. Schaut man zum Beispiel in die Portale für die Terminvergabe für deutsche Visa-Anträge, herrscht gähnende Leere: Oft sind keine Termine weit und breit zu sehen. Fürs Auswandern nach Deutschland braucht man Geduld, Kontakte, viel Geld und noch mehr Willen. Den bringen aber viele gut ausgebildete Menschen in Sachen Deutschland nicht automatisch mit. An­trag­stel­le­r*in­nen beschweren sich über eine besonders ausgeprägte Bürokratie und ineffiziente Verfahren. Dabei wird ihnen von Finanzministern und Werbebroschüren gesagt, dass Deutschland sie dringend als Fachkräfte brauche. Diese Diskrepanz zwischen Diskurs und Realität kommt bei den Fachkräften selbst offensichtlich nicht gut an.

Arg abgerutscht

Beim Ansehen unter Unternehmen und Start-ups ist Deutschland sogar laut Studie von Platz 6 auf Platz 13 abgerutscht. Hauptgründe hier: die schleppende Digitalisierung mit riesigen Funklöchern und weiter heiß laufenden Faxgeräten in den Ämtern, ein zu hohes Mindestkapital bei Neugründungen und eine „geringe Akzeptanz von Zuwanderer*innen“ in der deutschen Gesellschaft. Für den letzten Punkt gibt es ein akkurateres Wort: Rassismus. Den gibt es auch in Norwegen, Kanada oder Neuseeland, nur hat sich herumgesprochen, dass es in Deutschland besonders bedrückend sei.

Spricht man zum Beispiel mit bei der deutschen Wirtschaft begehrten Studierenden, For­sche­r*in­nen und Fachkräften an deutschen Hochschulstandorten sind viele Neuankömmlinge wenig begeistert von der gesellschaftlichen Atmosphäre. In Städten wie Dresden oder Tübingen bekommen die neuen Bür­ge­r*in­nen schnell mit, dass dort politisch betrachtet eine rassistische Normalität herrscht. Einige entscheiden sich deswegen bewusst, den Standort zu wechseln. Auch weil hochqualifizierte Fachkräfte sehr mobil sind. Oft genug wandern sie weiter in ein anderes Land. Gut ausgebildete Fachkräfte folgen Entwicklungschancen auf dem eigenen Feld und höheren Löhnen. Wenn es dann noch an Anerkennung und basaler Menschlichkeit im Umgang hapert, dann schreckt das eben viele Menschen ab.

In Deutschland spielen daneben bestimmt auch andere Faktoren eine maßgebliche Rolle, die in der Studie nicht vordergründig auftauchen: Deutschland ist ein sehr deutschsprachiges Land. Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen haben oft keine Lust und noch weniger Zeit, sich in das Mysterium von „der, die, das“ einzuarbeiten. Zwar haben sich in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt Räume entwickelt, in denen Englisch die Arbeitssprache ist, dennoch sind ausländische Fachkräfte oft genug mit deutschen Führungskräften konfrontiert, die noch nicht mal Deutsch gut sprechen und teilweise schlechter ausgebildet und qualifiziert sind als die Neuen am Konferenztisch. Dazu kommen konkrete Probleme bei der Wohnungssuche oder bei der Kinderbetreuung, für die man nicht extra nach Deutschland einwandern muss, um zu wissen, wie schlimm es ist.

Die geringe Attraktivität des Standorts Deutschland liegt also am international ramponierten Image. Die spezielle deutsche Willkommenskultur spricht sich herum, und Menschen wenden sich mit einem zusätzlichen Blick auf die konkreten Bedingungen von Deutschland ab. Das wiederum hängt daran, dass sich Menschen mit relativ wenig Aufwand darüber informieren können, wie eine Mehrheitsgesellschaft so tickt. Und viele Yelp-Reviews für Deutschland weisen wenig Sterne auf.

Alles schön vermischen

Andauernd werden in Migrationsdebatten hierzulande zum Beispiel viele Dinge vermischt. So wird das Thema Flucht gegen den Fachkräftemangel ausgespielt, wenn es heißt, dass Deutschland nur qualifizierte Migration brauche. Viele bürgerliche Kräfte fordern ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild: Mit Doktortitel darf man dann kommen, alle anderen nicht. Dass die Arbeitsmigration mit der Flucht Schutzsuchender nicht viel zu tun hat, liegt auf der Hand, doch zeigt der verallgemeinernde Diskurs vielen Menschen auf der Welt auf, dass man hier eben allgemein nicht willkommen ist, sich nicht entfalten, geschweige denn wohl und sicher fühlen kann.

Wenn Menschen das Privileg haben, sich zu entscheiden, wohin es geht, entscheiden sie sich für Norwegen, Kanada oder Neuseeland oder bleiben einfach in ihren Ursprungsländern. Sodass sich Finanzminister Christian Lindner die wenigen Kontaktdaten der Ausreisewilligen sehr leicht einprägen kann.

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