Enteignung unter Schwarz-Rot in Berlin: Ein Rahmen ohne Inhalt

CDU und SPD haben sich zwar auf ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ verständigt. Der Volksentscheid könnte so dennoch sabotiert werden.

Aktivisten der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" stehen vor dem Kurt-Schumacher-Haus in der Müllerstraße, während sich in der Landesparteizentrale der SPD der Landesvorstand trifft. Auf den Schildern steht: No "Giffey no Cry", "Fuck u CDU" und "Rücktrittsangebot annehmen".

Die Enteignungsini will sich nicht für dumm verkaufen lassen Foto: dpa | Jörg Carstensen

Im Sondierungspapier der SPD, in dem die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU empfohlen wird, findet sich ein Satz, der auf den ersten Blick irritiert: „Dem Volksentscheid ‚Deutsche Wohnen und Co. enteignen‘ wird im Fall eines entsprechenden Votums der Expertenkommission durch die Entwicklung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes Rechnung getragen.“

Wow, ein Enteignungsgesetz, könnte man denken. Das ist ja nun wirklich eine Trendwende für CDU und SPD, deren Parteispitzen Enteignungen vehement ablehnen – jedenfalls wenn es um Immobilienkonzerne und nicht um Grundstücke für Kohlegruben und Autobahnen geht. Sebastian Czaja, Chef der nun außerparlamentarischen Kleinpartei FDP, polterte auch gleich, die CDU knicke „ausgerechnet als Erstes bei Massenenteignungen ein“. Kommt nun also der Sozialismus durch die Hintertür einer schwarz-roten Koalition?

Natürlich nicht, auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt ist, worin genau die Pläne von CDU und SPD bestehen. Vermutlich aber dürfte die Crux in dem unscheinbaren Wortteil Vergesellschaftungs-rahmen-gesetz liegen. Denn ein Rahmengesetz ist kein Umsetzungsgesetz. Geregelt wird darin voraussichtlich nicht die Enteignung der Immobilienkonzerne, sondern die spezifische Systematik, wie auf Landesebene überhaupt vergesellschaftet werden kann. Passieren dürfte also zunächst gar nichts, kein Immobilienkonzern müsste um sein Eigentum bangen.

Volksentscheid tot?

Das klingt wieder mal wie ein Spiel auf Zeit: Ein solches Gesetz müsste zunächst geschrieben werden, wobei man sich Zeit lassen könnte, schließlich wird ja juristisches Neuland betreten. Dann müsste das Gesetz nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht geschickt werden, wo es wieder für etliche Monate liegen könnte.

Gisèle Bekouche, DW enteignen

„Das ist juristischer Quatsch und politische Verarsche“

Dabei darf bezweifelt werden, dass ein Rahmengesetz überhaupt nötig ist. Denn der Artikel 15 des Grundgesetzes gibt ja bereits einen Rahmen für Vergesellschaftungen vor. Zudem besteht die Gefahr, dass ein Rahmengesetz die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen effektiv erschweren würde. Als Erstes fallen könnte die von der Initiative gesetzte Grenze von 3.000 Wohnungen, ab der Immobilienkonzerne derzeit als reif für die Enteignung definiert werden.

Enteignung wäre dann kein Weg in eine Zukunft, in der das Leben der Menschen nicht mehr der Kapitalverwertung unterworfen ist, sondern eine Art Bestrafung für besonders mie­te­r:in­nen­feind­li­ches Verhalten. Die Kriterien könnten aber auch so eng gefasst werden, dass Vergesellschaftung praktisch unmöglich würde.

Ähnlich erklärte es Linken-Chefin Katina Schubert im taz-Interview. Ein Rahmengesetz sei auch ein Zugeständnis der Linken gewesen, damit es zur zwischenzeitlich gefundenen Einigung von Rot-Grün-Rot bei diesem Thema kommen konnte. Die Linke habe aber laut Schubert auf einem zusätzlichen Umsetzungsgesetz bestanden.

Auch sie wisse nicht, worauf sich CDU und SPD nun geeinigt haben. Schubert warnte aber: „Wenn sie es so machen, wie es die SPD uns ursprünglich vorgeschlagen hatte, dann wird es zu keiner Vergesellschaftung kommen. Der Volkentscheid wäre faktisch tot.“

Enteignungsinitiative: „Politische Verarsche“

Was ist wahrscheinlicher: dass CDU und SPD ihre Überzeugungen aufgeben oder dass sie sich einer beliebten Politikkunstform bedienen, bekannt aus dem Umgang mit der Klimakrise: Zu wirken, als würde man handeln, ohne tatsächlich zu handeln? Nur so ließe sich politisch überleben und etwas verhindern, wofür es einen direkten Auftrag – wenn auch keinen rechtlich bindenden – des höchsten demokratischen Souveräns, des Volks, gibt: die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne.

Entsprechend wütend ist die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. „Ein Rahmengesetz für etwas, das schon im Grundgesetz steht: Das ist juristischer Quatsch und politische Verarsche“, sagte Gisèle Bekouche, Sprecherin der Initiative. Jede Regierung habe den konkreten Auftrag zur Vergesellschaftung der Bestände großer Immobilienkonzerne. „Wir lassen uns von CDU und SPD nicht für dumm verkaufen“, so die Kampfansage der Initiative an den wahrscheinlichen künftigen Senat.

In der Tat steht für die linken sozialen Bewegungen mit dem Volksentscheid sehr viel auf dem Spiel. Die Kampagne hatte die gesellschaftliche Linke bundesweit elektrisiert, weil ein realpolitischer Weg gefunden schien, streng legal eine reale Machtverschiebung innerhalb des Kapitalismus durchzusetzen. Ein Erfolg könnte eine Tür hin zu einer Welt öffnen, in der demokratisch darüber entschieden werden kann, welche Bereiche des Lebens vom Diktat privater Profitinteressen bestimmt – und welche demokratisch selbstverwaltet werden.

Dass CDU und SPD dies verhindern wollen, entspricht den von der marxistischen Staatstheorie gut erforschten Mechanismen: Dass nämlich elementare Wirtschaftsinteressen im demokratischen Kapitalismus nicht zur Disposition stehen. Ausgerechnet die SPD-Basis könnte dem aber noch einen Strich durch die Rechnung machen, da sie über den fertigen Koalitionsvertrag abstimmen darf. Die Ge­nos­s:in­nen sollten dabei beachten, ob der Koalitionsvertrag dem eigenen Parteitagsbeschluss vom Juni 2022 gerecht wird. Darin heißt es: „Im Falle eines positiven Votums für die Möglichkeit einer Vergesellschaftung soll schnellstmöglich ein Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.