Rolle der Grünen bei Waldrodung: Rechtsstaat vs. Recht haben
Haben die hessischen Grünen genug getan, um den Dannenröder Wald zu retten? Ein Pro und Contra.
D er Kampf um den Dannenröder Wald ist verloren, die Rodung ist fast abgeschlossen. Hätten die hessischen Grünen mehr tun können – mehr tun müssen, um den Wald zu retten? Ein Pro und Contra.
Ja
Der Kampf um den Dannenröder Wald hat gezeigt, was man von den Grünen erwarten kann, wenn sie regieren: nichts. Sie haben den Konflikt in Hessen ausgesessen, sich versteckt hinter Verwaltungsvorschriften und Entscheidungen, die getroffen wurden, als sie noch nichts zu melden hatten. Dass sie auch als kleinere Koalitionspartnerin durchaus Gestaltungsspielraum haben, verleugnen sie.
Dabei hätte es Ansatzpunkte gegeben. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte den Beschluss für den Ausbau der A 49 für fehlerhaft – auch wenn es den Beschluss selbst dadurch nicht infrage gestellt hat. Hier hätte der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) dennoch einhaken können. Stattdessen beauftragte er die für den A-49-Ausbau zuständige Autobahnfirma Deges mit der Vergabe eines Gutachtens. Der BUND holte ein Gutachten mit gegenteiligem Ergebnis ein. Um zu einem fundierten Ergebnis zu kommen, hätte das Verkehrsministerium ein Planerneuerungsverfahren anstoßen können.
Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, die Rodung wegen der Coronapandemie zu stoppen. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf wies zwischenzeitlich einen der höchsten Inzidenzwerte Deutschlands auf. Wer da einen wochenlangen Polizeigroßeinsatz verantwortet, muss das wollen. Zwar liegt das hessische Innenministerium in der Hand der CDU. Aber die Grünen haben nicht mal versucht, die Regierungspartnerin zum Abbruch zu bewegen. Weil ihnen der Erhalt der Koalition wichtiger war.
Niemand hat behauptet, dass Klimaschutz umsonst zu haben sei. Den Preis, diese Koalition aufzugeben, hätten die Grünen zahlen müssen. Die Autobahn hätten sie mit einem Koalitionsbruch nicht verhindert, aber sie hätten sich einen Rest Glaubwürdigkeit bewahrt. Stattdessen hat die Partei deutlich gemacht: Eine schwarz-grüne Koalition ist wertlos, was den Klimaschutz angeht. Wenn die Grünen zu geizig sind, einen Preis fürs Klima zu zahlen, sind sie ebenfalls wertlos.
Katharina Schipkowski
Nein
Die Rodung im Dannenröder Wald für eine Autobahn ist zwar ein Verlust für die Natur in Hessen und ein falsches Signal für die Klimapolitik, aber kein Weltuntergang für die Grünen.
Auf den ersten Blick sieht die Ökopartei natürlich schlecht aus, weil ausgerechnet eine von ihr getragene Landesregierung die traurigen Bilder von abgeholzten Bäumen und harten Polizeieinsätzen gegen Protestcamps produzierte. Am Ende schneite es auch noch. Der heiß umkämpfte „Danni“, so sieht man jetzt noch deutlicher, ist Schnee von gestern. Aber dass es zu dieser Rodung kam, haben nicht die Grünen veranlasst. Hier sollten die Verantwortlichkeiten nicht verwischt werden. Die politische Grundsatzentscheidung trafen nicht Tarek Al-Wazir und seine Parteifreunde in Hessen, sondern frühere Regierungen in Land und Bund, an denen die Grünen nicht beteiligt waren.
Es wäre falsch, den Grünen vorzuwerfen, dass sie eine Entscheidung umgesetzt haben, die von demokratisch legitimierten Gremien getroffen und von Gerichten bestätigt wurde. Privatleute können natürlich weiterprotestieren, aber Regierungsparteien müssen sich an gültige Beschlüsse halten. Sonst stellen sie Demokratie und Rechtsstaat in Frage. Und das kann niemand wollen. Denn auch eine Öko-links-Regierung in Berlin muss verlangen können, dass rechte Landesregierungen Entscheidungen umsetzen, die ihnen nicht gefallen.
Ob es wirklich noch eine reelle Chance gegeben hätte, den Rodungsbeschluss juristisch zu kippen, ist nicht bewiesen. Klar ist nur, dass die große Koalitionspartnerin CDU dies garantiert nicht mitgetragen hätte. Die Grünen hätten dafür die Regierung platzen lassen müssen. Das aber wäre nicht nur unverhältnismäßig gewesen – der Wald wäre trotzdem gerodet worden.
Mit dem Kopf durch die Wand kommen die Grünen auch im Bund nicht an die Regierung. Sondern nur, wenn sie sich an Gesetze halten und zu Kompromissen bereit sind.
Lukas Wallraff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion