Räumung des Dannenröder Forsts: Bis Danni!
Die letzten Bäume im Dannenröder Forst werden in diesen Tagen gerodet. Aus dem Streit um die A49 können besonders die Grünen was lernen.
Eine weiße Kristallschicht hat sich über die Gräser und Äcker gelegt, die Temperaturen erreichen in Dannenrod, Mittelhessen, kaum noch Plusgrade. Der Waldboden ist hart gefroren und an den gerodeten Baumstämmen bilden sich Eiszapfen. Es ist die vierte Woche der Räumung des Dannenröder Waldes und die Tage der Besetzung sind gezählt.
Wo 13 Baumhausdörfer mit je rund zehn gut befestigten Häusern in einer Reihe in den Wald gebaut worden waren, frisst sich nun eine breite Schneise von zwei Seiten in den Forst. Nur an einer Stelle berührt sie sich noch nicht: Da, wo die letzten beiden Barrios stehen, die Besetzer*innen nennen sie „Oben“ und „Unterwex“. In der kommenden Woche werden auch sie unter der Schotterschicht des letzten Teilabschnitts der Autobahn A49 begraben werden.
Dass sie den Wald nicht mehr retten können, mussten die Besetzer*innen sich im Laufe der vergangenen Tage eingestehen. Trotzdem geben sie noch nicht auf. „Wenn der Wald geräumt ist, steht hier immer noch keine Autobahn“, so ihr Credo. Über soziale Netzwerke mobilisieren die Aktivist*innen sogar noch für eine Aktionswoche, die am Samstag beginnen soll. Ende Gelände hat Busse gechartert, die am Freitag aus verschiedenen Städten nach Hessen fahren.
Der Aktionstag soll dieses Mal größer werden als zwei Wochen zuvor. Der letzte Kampf, obgleich er schon verloren ist, könnte mehr Leute mobilisieren als in den vergangenen Wochen, so die Hoffnung. „Bis Weihnachten etwa können wir die Mobilisierung noch hoch halten“, schätzt Lola, eine Sprecherin der Besetzer*innen. „Danach brauchen viele auch mal eine Pause.“
Comeback der Klimabewegung
Eine Pause – vor was? Ab der kommenden Woche gibt es hier keine Bäume mehr zu retten. Alle Appelle an die Grünen, alle Androhungen von Wahlniederlagen, sind im Wald verhallt. Der letzte Tropfen Hoffnung, die Pandemie könne die Räumung noch stoppen, weil der Polizeigroßeinsatz nicht zu verantworten sei, ist versiegt.
„Natürlich wird es weitergehen, die Wut auf das, was hier passiert ist, muss ja irgendwo hin“, sagt Charly Linde, eine andere Sprecherin der Besetzer*innen. Die Klimabewegung sei durch die Coronakrise geschwächt worden, aber der Danni sei ihr Comeback gewesen.
Linde steht auf der Rodungsschneise mitten im Wald, neben ihr stapeln sich gefällte Bäume. Im Hintergrund schiebt ein Bagger Holzreste über den Boden. „Wenn ich auf das hier gucke, schwanke ich zwischen Verzweiflung und Hoffnung“, sagt sie. „Verzweiflung, wenn ich die Zerstörung sehe. Hoffnung, wenn ich mir angucke, was wir hier alles aufgebaut haben.“
Um den Widerstand im Danni, der im Oktober 2019 mit einer Handvoll Menschen begann, hat sich ein Netzwerk an Unterstützer*innen aus den umliegenden Kleinstädten gespannt. Ältere Menschen fahren unermüdlich Aktivist*innen zwischen Bahnhof und Wald hin und her, backen veganen Kuchen, bringen Kleiderspenden, musizieren im Wald und stellen sich manchmal selbst vor die Polizeiketten. Auch auf den Baumhäusern sind sich Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern und politischen Kontexten nahegekommen.
Nach der Kohle kommt das Auto
„Wir sehen uns im nächsten Wald“, sagen sie sich angesichts des nahenden Endes. Der Weg zurück ins bürgerliche Leben, mit all seinen Zwängen und seiner Vereinzelung, wird einen Kulturschock mit sich bringen. Manche werden auch nicht zurückgehen. In Kiel versuchen Umweltaktivist*innen den Ausbau der A21 zu verhindern, dort wird man sich sicher über Unterstützung freuen.
„Das Gute ist“, sagt Charly Linde, „wenn die Bäume hier weg sind, sieht man die Frage, die eigentlich dahintersteht.“ Schließlich gehe es den Aktivist*innen weder ausschließlich um die alternative Lebensweise, noch ausschließlich um das konkrete Stück Wald. Sondern um etwas viel Größeres: die Verkehrswende. Ein sperriges, trockenes Thema, das nach Planergänzungsverfahren, EU-Rahmenrichtlinie und Bundesverkehrswegeplan müffelt, ist im Wald greifbar und attraktiv geworden.
Im Hintergrund bereiten Klimaaktivist*innen bereits Proteste gegen die nächste Internationale Autoausstellung im September 2021 vor. „Nach jahrelangen Protesten gegen Kohle ist das Auto dran“, sagt Linde.
Dieser Kampf könnte allerdings härter werden, schließlich haben die meisten Deutschen keinen Kohlebunker, aber einen Tiefgaragenstellplatz. Trotzdem wird sich etwas bewegen müssen: Seit das Bewusstsein für die Klimakatastrophe im Mainstream angekommen ist, ist es extrem unangenehm für eine regierende Partei, Wälder für Autobahnen roden zu lassen – vor allem für die Grünen.
Abrechnung bei den Wahlen
Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir bezeichnet den Weiterbau der A49 zwar als „falsche Entscheidung“. Doch sie sei demokratisch zustande gekommen und höchstrichterlich bestätigt worden. „Ob es mir passt oder nicht“, so der Grüne gegenüber der taz „die Rechtslage ist eindeutig, und ich muss mich an sie halten. Ich bin nicht Donald Trump, ich halte mich an Gesetze und akzeptiere Gerichtsentscheidungen.“
Doch es wird nicht der letzte Konflikt um einen Autobahnneubau gewesen sein. Der aktuelle Bundesverkehrswegeplan, das wichtigste Instrument der Verkehrsinfrastrukturplanung des Bundes, gilt noch bis 2030 und sieht noch Hunderte neue Autobahnen vor. Sollten die Grünen ab Herbst 2021 auch auf Bundesebene etwas zu melden haben, können sie zeigen, wie ernst es ihnen mit der Verkehrswende ist.
Und noch eins hat der Streit über den Forst gezeigt: Wenn man nicht mitregiert, ist etwa ein Moratorium für den Autobahnausbau leicht gefordert, wie Annalena Baerbock und Anton Hofreiter zeigten. Aber wo es eine Koalition zu erhalten gilt, verschwindet der Klimaschutz schnell hinter anderen Interessen.
Ob die Enttäuschung von der Ökopartei, die junge und alte Klimaschützer*innen in Hessen erleben mussten, sich im Wahlergebnis manifestiert, wird man im Herbst 2021 sehen.
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