Ringen um nächsten EU-Kommissionschef: Skandale qualifizieren für Topjob

Die Regierungschefs einigen sich endlich auf KandidatInnen für die zu besetzenden EU-Posten. Ursula von der Leyen soll Kommissionschefin werden.

Angela Merkel (r), Bundeskanzlerin von Deutschland, begrüßt Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, am Rande eines Sondergipfels mit EU-Kollegen zur neuen Führung der Europäischen Union.

Nach heftigen Diskussionen endlich einig. Merkel und Macron beim EU-Sondergipfel Foto: dpa

BRÜSSEL taz | Vergesst die (männlichen) Spitzenkandidaten, lasst uns über Frauen reden – nach diesem Motto haben die 28 Staats- und Regierungschefs der EU am Dienstag ihren Personalpoker in Brüssel fortgesetzt. Weil die beiden „Spitzen“ Manfred Weber und Frans Timmermans auch zu Beginn des dritten Gipfeltags auf massiven Widerstand stießen, wurde plötzlich über Christine Lagarde und Ursula von der Leyen geredet.

Die Bundesverteidigungsministerin von der Leyen soll nach dem Willen der EU-Staats- und Regierungschefs Präsidentin der EU-Kommission werden. Der Gipfel in Brüssel schlug zudem den belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel als Ratspräsident und den spanischen Außenminister Josep Borrell als EU-Außenbeauftragten vor. Neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) soll IWF-Chefin Christine Lagarde werden.

Auf Lagarde und von der Leyen hatten sich zuvor schon Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron geeinigt. Merkel habe sich auch mit den osteuropäischen Visegrad-Staaten beraten, hieß es in Brüssel. Diese hatten am Montag eine Verständigung auf den Sozialdemokraten Timmermans verhindert.

Allerdings waren noch andere Namen im Gespräch, etwa die liberale Dänin Margrethe Vestager. Die EU-Wettbewerbskommissarin ist wegen spektakulärer EU-Verfahren gegen US-Konzerne wie Apple die bekannteste Frau in Brüssel. Gegen Vestager gab es aber auch Vorbehalte, da sie nicht als offizielle Spitzenkandidatin ins Rennen um die Juncker-Nachfolge gegangen ist.

Empörung bei Konservativen

Bereits beim erfolglos abgebrochenen EU-Gipfel am Sonntag und Montag hatte sich das Personenkarussell wild gedreht. Allerdings hatte Kanzlerin Merkel in dieser Phase des Personalpokers noch versucht, das System der Spitzenkandidaten zu retten. Statt Weber schlug sie Timmermans als Kommissionschef vor. Dies führte zu einem Aufschrei der Empörung bei den Konservativen, die für Weber ins Rennen um die Juncker-Nachfolge gegangen waren und sich verraten fühlten. Am Dienstag legte Merkel die nächste gewagte Wende hin. Weil auch Timmermans nicht durch­setzbar schien, rückte sie vom System der Spitzenkandidaten ab.

Von der Leyen hat aus Merkels Sicht mehrere Vorteile: Sie gehört der CDU und damit auch der Europäischen Volkspartei an, die sich nach der Europawahl zum Sieger erklärt hatte. Die überzeugte Europäerin hat Regierungserfahrung und ist – weil sie für deutsche Aufrüstung eintritt – auch in Osteuropa vermittelbar.

In Brüssel gibt es jedoch Widerstand gegen deutsch-französische Machtspiele

Wegen diverser Bundeswehr-Affären wurde wiederholt über ein Ausscheiden von der Leyens aus der Bundesregierung und einen Wechsel nach Brüssel spekuliert. Allerdings dürfte „Flinten-Uschi“ der Sprung an die EU-Spitze nur in einer Paketlösung mit Frankreich gelingen. In Brüssel gibt es jedoch Widerstand gegen solche Machtspiele.

Am Montag hatten sich die Visegrad-Staaten, aber auch Italien, Kroatien und Irland gegen den deutsch-französischen Deal zugunsten von Timmermans ausgesprochen. Paris und Berlin könnten nicht den Kurs vorgeben, hieß es. Am Dienstag zogen Macron und Merkel jedoch wieder an einem Strang.

Sollte von der Leyen aber tatsächlich die Kommission übernehmen, so könnte CSU-Vize Weber nicht mehr wie bisher angedacht das Europaparlament leiten. Zwei Chefposten für Deutschland gelten als ausgeschlossen.

Mit dem neuestem Vorstoß der EU-Regierungschefs würde aber nicht nur Weber leer ausgehen. Auch das Europaparlament würde vor den Kopf gestoßen. Abgesehen von den Liberalen haben nämlich alle großen Parteien bisher darauf bestanden, einen Spitzenkandidaten zum nächsten Chef der EU-Kommission zu nominieren. Über dieses ebenso hehre wie umstrittene Prinzip haben sich die Regierungschefs hinweggesetzt.

Das könnte sich noch rächen – denn das Parlament muss die Kommissionsspitze per Wahl bestätigen. Von den Grünen kam schon vorab ein Schuss vor den Bug. „Von der Leyen als EU Kommissionspräsidentin?“, twitterte Europa-Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. „Eine sehr gute Lösung. Für die Bundeswehr.“

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