Repressionen gegen Letzte Generation: Wer gefährdet hier die Demokratie?
Nach der Großrazzia bei der Letzten Generation zeigt sich: Behörden bekämpfen Aktivist:innen statt Missstände. Das hat Tradition in Deutschland.
„Man kennt es nur aus dem Film. Plötzlich wacht man auf, weil gegen deine Tür gedonnert wird. Und plötzlich steht ein Polizist mit schusssicherer Weste vor deinem Bett und richtet eine Waffe auf dich.“ So schildert die Klimaaktivistin Carla Hinrichs in einem Video die Durchsuchung ihrer Wohnung durch die Polizei am Mittwoch in Berlin-Kreuzberg. Sie habe noch geschlafen als die 25 Beamt_innen ihre Wohnungstür aufgebrochen haben. „Sie machen mir Angst“, sagt sie dann noch.
Law-and-Order-Methoden im Umgang mit der Letzten Generation sind kein Novum. Doch der Großschlag im Auftrag des bayerischen Landeskriminalamts und der Generalstaatsanwaltschaft München am Mittwochmorgen hatte eine neue Qualität: 15 Hausdurchsuchungen in sieben Bundesländern, zwei beschlagnahmte Konten und sichergestellte Vermögenswerte, eine beschlagnahmte und auf die Adresse der Polizei Bayern umgeleitete Webseite sowie mehrere gesperrte E-Mailadressen. Auf der Seite der Generalstaatsanwaltschaft wurde die Großaktion wie folgt begründet: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß §129 StGB dar!“
Empfohlener externer Inhalt
Doch das ist eine Lüge. Denn auch für linke Aktivist_innen gilt die Unschuldsvermutung, und bislang laufen lediglich Ermittlungsverfahren. In Bayern und Brandenburg wird der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 geprüft.
Der sogenannten Schnüffelparagraf ist ein hartes Kaliber, er ermöglicht verdeckte Ermittlungen und andere Überwachungsmethoden, kam schon bei Mitgliedern des IS, der Hells Angels oder bei Holocaustleugnern zum Einsatz. Die Entscheidung, ob die Letzte Generation auch darunter fällt, obliegt Gerichten.
Großer Einschüchterungsversuch
Dass ihre Aussage falsch war, hat mittlerweile auch die Generalstaatsanwaltschaft München einräumen müssen. Doch auch davon abgesehen, scheint das Vorgehen dieser Woche maßlos übertrieben. Mit 25 zumindest teilweise bewaffneten Polizist_innen die Wohnung einer schlafenden Klimaaktivistin stürmen? Die durch die Letzte Generation verursachten Staus mögen nerven, aber macht sie das wirklich zu einer „kriminellen Vereinigung“? Oder hält die Politik dem Druck, den die Aktivist_innen seit Monaten aufbauen, einfach nicht mehr stand? Das Ganze wirkt wie ein großer Einschüchterungsversuch.
Seit 2022 blockieren die Aktivist_innen Flughafenrollfelder, kleben sich auf Straßen, beschmutzen Mahnmale oder bewerfen Gemälde mit Lebensmitteln. Nicht aus Spaß an der Freude, sondern um darauf hinzuweisen, dass die Ampelregierung als aktive Umsetzungsblockade von wirksamen Klimaschutzmaßnahmen agiert. Und damit haben sie einen Punkt: Die Klimamaßnahmen in Deutschland reichen nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten, und die Regierung bekommt nicht mal ein Heizungsgesetz auf die Kette. Die Aktivist_innen protestieren friedlich und wehren sich nicht einmal dann, wenn sie von Passant_innen beschimpft, bespuckt oder gewalttätig angegangen werden.
Die eigenen Fehler und Untätigkeiten vorgeführt zu kriegen, mag schmerzhaft sein. Und die Ministerien und Behörden reagieren darauf wie bockige Kinder. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Aktionen der Letzten Generation kürzlich erst als „völlig bekloppt“ bezeichnet. Und auch sonst scheint kaum jemand einen angemessene Reaktion einzufallen. Die Großrazzia wirkt dabei wie eine Verzweiflungstat, um die eigene Ideenlosigkeit zu überdecken. Selbst die UN forderte nach den Razzien besseren Schutz für Klimaaktivist_innen.
Staatliche Repression als Antwort auf linken Widerstand hat in Deutschland Tradition. Während rechtem Treiben oft Gewähr gelassen wird, ist die Reaktion auf linken Aktivismus unverhältnismäßig. Das zeigte sich diese Woche auch an einem ganz anderen Fall. Die Lehrerin Bahar Aslan verlor nach einem antirassistischen Tweet nicht nur ihren Lehrauftrag an der Polizeihochschule, auch ihr Job als Hauptschullehrerin ist nun in Gefahr.
Polizeihochschule selbstentlarvend
Aslan twitterte vergangenen Samstag: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land. #Polizeiproblem.“ Es folgte ein rechter Shitstorm, angefeuert nicht nur durch einzelne Medien und die Polizeigewerkschaft GdP, sondern auch durch Politiker_innen der AfD und CDU.
Infolgedessen entschied sich die Polizeihochschule, die geplante Verlängerung von Aslans Lehrauftrag zu widerrufen. In einer Pressemitteilung begründete sie das selbstentlarvend wie folgt: Der Tweet habe „durch eine pauschalisierende Unterstellung das sensible und wichtige Thema Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden unangenehm in den Fokus gerückt“.
Mittlerweile steht für Aslan auch eine Entlassung als verbeamtete Lehrerin im Raum. Die Bezirksregierung Münster prüft, ob Aslans Tweet dienstrechtliche Konsequenzen hat. Juristisch haltbar ist das vermutlich nicht, doch als Drohgebärde natürlich wirksam. Unterstützung gab es dabei für Aslan weder aus dem CDU-geführten Innen- noch aus dem Bildungsministerium. Im Gegenteil.
Man könnte doch meinen, dass es eine demokratische Pflicht sei auf gesellschaftliche und politische Missstände aufmerksam zu machen. Doch wer bereit ist, für eine bessere Welt – sei es für Klimaschutz oder gegen Rassismus – zu kämpfen, erfährt Hass und Repression. Statt diese mutigen Menschen zu schützen, kämpft der Staat mit überzogenen Mitteln gegen sie, um sie mundtot zu machen. Denn unangenehm sind hier eben immer nur die, die gegen Missstände aufbegehren, nicht die, die sie produzieren. Am Ende macht der Staat dann das, was er seinen Kritiker:innen vorwirft: Demokratie gefährden.
Viel Solidarität
Doch nicht alle sind bereit, das hinzunehmen. Bahar Aslan und die Letzte Generation haben in den vergangenen Tagen viel Solidarität erfahren. Am Freitagvormittag veröffentlichte Zeit Online einen offenen Brief, in dem sich Hunderte Politiker_innen, Polizist_innen, Lehrer_innen und auch Angehörige der Opfer des rechtsextremen Attentats von Hanau hinter Aslan stellten. Die Letzte Generation hatte nach der bundesweiten Razzia um Spenden gebeten, Tausende waren der Bitte nachgekommen. In verschiedenen Städten war es auch zu Protestmärschen gekommen.
Dass die Härte der Verfolgung gegen linke Aktivist_innen so viel Aufmerksamkeit und Solidarität generiert, ist gut. Doch mit der Härte stellt sich die Politik selbst ein Bein. Ihre Aktionen haben eine Signalwirkung für andere: Vertrauen in staatliche Institutionen und Sicherheitsbehörden wird so geschwächt. Nach der Angst folgt Resignation. Wenn sich Aktivist_innen dann beginnen abzuschotten und zu radikalisieren, darf sich niemand mehr wundern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!