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Bayrischer RegelungswahnsinnChipsverbot nach 20 Uhr

Patrick Guyton
Kommentar von Patrick Guyton

Die CSU will Bayern entbürokratisieren, schafft aber Regeln für den Chipsverkauf in München. Das ist alles andere als „Liberalitas Bavarica“.

Zwar feinst säuberlich gestapelt und dennoch nicht den Regeln entsprechend: Chips ab 20 Uhr in der Münchner Innenstadt Foto: Mayra Perez Diaz/getty images

N eulich beim Konzert einer jungen, aufstrebenden und ziemlich harten Independent-Rockband in einem Münchner Jugendhaus: Einige ältere Besucher rauchen in der Pause draußen, knapp vor dem Begrenzungsstein des Areals und nicht dahinter. Die Sozialarbeiterin erteilt einen Rüffel – Jugendschutz, schlechtes Vorbild und so. Bitte 50 Zentimeter weiter treten. „Da kann ich sehr ungemütlich werden.“ Einer meint: „Und zum Kiffen müssen wir 50 Meter weggehen.“ Die Sozialarbeiterin verkauft übrigens selbst Augustiner Helles, das gemeinhin Gustl genannt wird, auf dem Konzert.

Spätkioske nahe der Universität dürfen nach 22 Uhr kein Bier mehr verkaufen. Chips sind nur bis 20 Uhr erlaubt

Womit wir beim Thema bayerische Regulierungswut, bayerische Kontrollen und bayerisches Bier sind. In München sorgt gerade ein Erlass des Kreisverwaltungsreferats (KVR), das ist eine Art städtisches Innenministerium, für Aufsehen, Verärgerung und Protest. Spät­kioske dürfen in der Outdoor-Feierzone um das Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität in der Maxvorstadt nach 22 Uhr kein Bier mehr verkaufen. Für Chips ist die Regelung noch schärfer, deren Abgabe ist nur bis 20 Uhr erlaubt.

Welches KVR-Hirn den Schmarrn mit der zeitlichen Differenzierung aufgebracht hat und was damit bezweckt werden soll, bleibt schleierhaft. Das zumeist jüngere Feier­publikum meint jedenfalls, dass Chips besser zum Bier passen als die auch später noch erhältlichen Süßigkeiten.

Das Aushungern und Austrocknen des Party­volks hat aber – egal ob nach 20 oder 22 Uhr – eine klare Stoßrichtung: Es soll weniger gefeiert werden auf der offenen und kostengünstigen Straße, viel weniger. Die Anwohner, zu denen wir noch näher kommen werden, beschweren sich. Es geht um Ruhestörung, also Lärm, um mit Müll verdreckte Straßen am Morgen danach. Es geht – um Großstadt. Und da muss man nicht die alt-abgestandene Debatte eröffnen, ob München eine solche ist oder eben nur ein großes Dorf.

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Ist das Entbürokratisierung

„Liberalitas Bavarica“ lautet eine bayerische Verheißung, übersetzt wird das mit „Leben und leben lassen“. Damit ist es oftmals nicht weit her. Die CSU will nach eigenem Bekunden zwar den Freistaat entbürokratisieren. Doch was hier beim Thema Ladenöffnungszeiten, Spätverkauf und Gastronomiegesetzgebung zusammenläuft, ist kompliziertester Regelungswahnsinn. Ja, scharfe Gesetze und scharfe Kontrollen müssen sein – wenn es etwa um Mieterschutz geht, um Arbeitsrecht oder Steuer- und Umweltkriminalität.

Auch in München ist es möglich, Spätis zu betreiben. Aber unter, sagen wir mal, erschwerten Bedingungen. Wer sich einlesen möchte, der google „bayerisches Ladenschlussgesetz“ sowie „erlaubnisfreie Gaststätte“. Da steht drin, welche Unterschiede es bei Süßigkeiten, Chips und Bier gibt.

Markus Söder möchte ins Weltall, München will die olympischen Sommerspiele holen. Doch in der Stadt, im Uni-Viertel, soll es keinen Lärm geben. Den gestopften Bürgern mittleren Alters, die so hip und offen tun, ist es am Starnberger See mit den ganzen uralten Ex-Managern viel zu langweilig. Sie leben im sanierten Luxus-Loft in der Maxvorstadt und wollen das Drumherum auch nach ihren Vorstellungen haben. Scampi beim Edel-Italiener – ja, gewissermaßen ein Grundnahrungsmittel. Junge Gustl-Trinker auf der Straße – nein.

Es geht um die große Frage, wem die Stadt gehört und wer sie wie nutzt. Darüber muss verhandelt werden, ohne dass die Münchner Reichen ihre guten Drähte in die Politik nutzen können. Gleich um die Ecke in der Türkenstraße wurden die alteingesessenen Mieter in einigen schönen Altbauten auf brutalste Weise vertrieben und die Häuser abgerissen. Gerade jetzt entstehen dort die „Maxhöfe“, 59 neue Eigentumswohnungen sind im Angebot, zwei Zimmer für über eine Million Euro, sechs Zimmer „über den Dächern der Maxvorstadt“ für knapp sechs.

Solche Beispiele gibt es zuhauf. Ein einst im Besitz des Freistaats befindliches Haus nahe dem Hofgarten mit vielen Ein-Zimmer-Apartments und einkommensschwachen, älteren Mietern wurde an einen Immo-Hai verscherbelt. Der verkauft die Wohnungen einzeln, und wenn der Mieter noch drin ist, haut der neue Eigentümer ihn raus. Die Proteste dagegen sind begrenzt. Die feiernden Jungen stören mehr.

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Patrick Guyton
Autor
Lebt in München, schreibt über mögliche und unmögliche bayerische Begebenheiten. Jahrgang 1967, aufgewachsen im Stuttgarter Raum. Studierte in München und wurde dort zum Journalisten ausgebildet. Es folgten viele Jahre als Redakteur in Ulm, zuständig für Politik und Reportagen. Nun frei atmend und frei arbeitend in der Bayern-Metropole.
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1 Kommentar

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  • @taz: Das ist doch Satire und ihr habt nur vergessen es bei „Die Wahrheit“ einzuordnen, oder?